Stellungnahme vom 31.07.2008
Gerne nimmt der Deutsche Notarverein die Gelegenheit wahr, sich zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung des Rates über das Statut einer Europäischen Privatgesellschaft (SPE)[1] zu äußern.
A. Vorbemerkung
Der Deutsche Notarverein lehnt dabei den VO-Entwurf jedenfalls in seiner jetzigen Form aus folgenden Gründen ab:
(1) Soweit eine SPE ohne grenzüberschreitenden Bezug zum Binnenmarkt errichtet werden kann, fehlt der Europäischen Gemeinschaft die Gesetzgebungskompetenz.
(2) Das praktische Bedürfnis für eine SPE ist insbesondere angesichts der künftigen Möglichkeiten der deutschen GmbH (und auch anderer nationaler Kapitalgesellschaftsformen), ihren Sitz ins Ausland zu verlegen, nahezu vollständig entfallen. Somit steht auch der Subsidiaritätsgrundsatz der Verabschiedung des VO-Entwurfs entgegen.
(3) Der VO-Entwurf verzichtet – entgegen dem acquis communautaire – auf vorbeugende Rechtskontrolle. Die bereits heute im Vereinigten Königreich häufig auftretenden Fälle von Handelsregisterfälschungen werden hierdurch in der gesamten EU möglich, die SPE wird zur idealen Organisationsform für unseriöse bis hin zu kriminellen Aktivitäten.
(4) Das Kapitalschutzsystem des VO-Entwurfs bedient sich einer unzulänglichen und zugleich ökonomisch ineffizienten Regelungstechnik. Statt dem Mittelstand eine handhabbare und daher kostengünstige Rechtsform zur Verfügung zu stellen, wird ein Beschäftigungsprogramm für die rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe aufgelegt. Der Gläubigerschutz läuft, gerade auch wegen der im Verhältnis zum Standard der SE-VO und zur Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung fehlenden Schutzvorschriften, faktisch leer.
(5) Ökonomisch ineffizient ist der methodische Ansatz, mit „Regelungsaufträgen“ zu arbeiten, anstatt – entsprechend der europäischer Rechtstradition – einen dispositiven Rechtsrahmen für das Rechtsinstitut „SPE“ zur Verfügung zu stellen. Der die SPE vorgeblich nachfragende Mittelstand steht damit vor der Alternative, eine (noch nicht einmal vorhandene) Mustersatzung zu verwenden, die auf seine speziellen Bedürfnisse mit Sicherheit nicht passt, oder jedenfalls Beratungskosten in einem Umfang aufzuwenden, der das hierzulande Übliche um ein Vielfaches übersteigt.
(6) Schließlich läuft die Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch die SPE im Ergebnis leer.
B. Formelle Fragen
Die Gemeinschaft ist zum einen nach den ihr von den Mitgliedstaaten durch den EG-Vertrag zugewiesenen Kompetenzen daran gehindert, eine SPE-Verordnung zu erlassen, die wie vorliegend auf einen grenzüberschreitenden Bezug verzichtet. Zum anderen steht der Grundsatz der Subsidiarität der Einführung einer SPE entgegen.
I. Gesetzgebungskompetenz
Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft ist nach Art. 2 EG unter anderem die Schaffung bzw. Aufrechterhaltung des gemeinschaftsweiten Binnenmarktes. Ein Tätigwerden der Gemeinschaft setzt daher einen grenzüberschreitenden Bezug voraus. Reine Inlandssachverhalte sind der Regelungskompetenz der Gemeinschaft entzogen.
1. Fehlender grenzüberschreitender Bezug
Gleichwohl ist ein solcher grenzüberschreitender Bezug im VO-Entwurf nicht vorgesehen. Vielmehr steht die SPE als Rechtsform nach den Vorstellungen der Kommission künftig jedem Gründer auch für reine Inlandssachverhalte offen. Dies widerspricht jedoch der Kompetenzzuweisung der Mitgliedsstaaten an die Gemeinschaft, Art. 2, 3 EG.
2. Begründung der Kommission
Eine plausible Begründung für den Verzicht auf ein grenzüberschreitendes Element liefert die Kommission nicht.
Der VO-Entwurf führt hierzu zunächst aus, ein solcher transnationaler Bezug würde die Effektivität des Instruments potenziell schmälern. Ob dies in der Sache richtig ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Jedenfalls kann die Vermeidung einer eventuell entstehenden ungewünschten Rechtsfolge kein Argument für die Begründung einer Kompetenz der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedsstaaten sein. Der VO-Entwurf verwechselt insoweit das „Ob“ eines möglichen Instruments mit der Frage des „Wie“. Anders formuliert: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Gleiches gilt für die Behauptung, die Kompetenz ergebe sich aus der gegebenen Möglichkeit von Umgehungsgeschäften.
Die Anerkennung einer solchen Argumentation läuft auf eine begrenzte Kompetenz-Kompetenz der Gemeinschaft im Sinne etwa der US-amerikanischen „implied powers“ Lehre hinaus und ist dazu geeignet, die Vertragshoheit der Mitgliedstaaten effektiv auszuhebeln.
3. Grenzüberschreitender Bezug in einer SPE-Verordnung möglich und sinnvoll
Einen grenzüberschreitenden Bezug sicherzustellen ist nach Auffassung des Deutschen Notarvereins dabei sehr wohl möglich. Dieser ist entgegen der Auffassung der Kommission auch ohne besonderen Mehraufwand durch die Mitgliedstaaten nachprüfbar.
a) Abstellen auf Gründungswege der SE-Verordnung
So könnte man einerseits auf die Gründungswege der SE-Verordnung[2] abstellen. Insoweit ist bereits ein gemeinschaftsrechtlicher acquis für eine grenzüberschreitende Rechtsform erreicht, den es zu nutzen gilt. Hiernach käme es einmal darauf an, dass Gründer ihren Sitz bzw. Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedsstaaten hätten. Im Fall des Formwechsels in die SPE käme es auf das Vorhandensein einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat an.
Über den Kreis möglicher Ausgangsrechtsträger in der SE-Verordnung hinaus sollte man weiterhin den Formwechsel in die SPE allen Gesellschaften des Handelsrechts im Sinne des Art. 48 Abs. 2 des EU-Vertrages eröffnen. Sodann sollte natürlichen Personen mit Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten die Gründung einer SPE offen stehen. Um Umgehungen zu vermeiden, kann man auch hier auf das Zwei-Jahres-Kriterium des Art. 2 SE-VO abstellen.
Die komplexen Vorschriften der SE-Verordnung zu dieser Frage ließen sich damit etwa wie folgt auf die besonderen Bedürfnisse von KMU zuschneiden:
„Eine SPE kann gegründet werden
a) durch Zeichnung von Anteilen durch natürliche Personen oder durch Rechtsträger im Sinne des Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001, wenn mindestens zwei von diesen seit mindestens zwei Jahren in verschiedenen Mitgliedsstaaten wohnhaft sind oder dem Recht verschiedener Mitgliedsstaaten unterliegen;
b) durch Verschmelzung von Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrages, wenn mindestens zwei von ihnen seit mindestens zwei Jahren dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen;
c) durch SE, SPE oder SCE oder
d) im Wege der Umwandlung durch eine Gesellschaft des Handelsrechts im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrages, die seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates unterliegende Tochtergesellschaft hat.“
b) Abstellen auf Sperrminorität
Anstelle der Zweijahresfrist könnte man z. B. vorschreiben, dass Gesellschafter mit einem bestimmten signifikanten Einfluss auf die interne Willensbildung der Gesellschaft ihren Wohnsitz bzw. ihren Satzungssitz in einem anderen Mitgliedstaat haben müssen als die SPE selbst. Eine sinnvolle Schwelle, die bereits in Art. 27 Abs. 2 UAbs. 2 des VO-Entwurfs als Sperrminorität eingeführt ist, könnte insoweit mehr als ein Drittel der Stimmrechte sein.
Beide soeben aufgezeigten Wege würden einen grenzüberschreitenden Bezug nachhaltig sicherstellen. Über eine dann erforderliche Publizität des Verzeichnisses nach Art. 15 VO-Entwurf wäre eine Kontrolle insoweit auch unschwer möglich.
II. Subsidiarität
Weiter kommt die Schaffung einer SPE nach dem in Art. 5 EG-Vertrag angelegten Grundsatz der Subsidiarität nicht mehr in Betracht. Die heute bestehenden mitgliedstaatlichen haftungsbegrenzten Rechtsformen bieten inzwischen genügend Gestaltungsspielraum für die Unternehmen.
1. Anerkennung der Gründungstheorie ermöglicht gemeinschaftsweite Verwendung nationaler Rechtsformen
In allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft stehen heute schon haftungsbegrenzte Rechtsformen für unternehmerische Aktivitäten zur Verfügung, sei es die britische Ltd., die französische SARL, die niederländische BV oder die spanische SRL. Auf Basis des ergangenen Sekundärrechts[3] und der Rechtsprechung des Gerichtshofs[4] können diese mittlerweile unproblematisch gemeinschaftsweit eingesetzt werden. Die Anerkennung der Gründungstheorie stellt dies sicher.
Mit der Reform des § 4a GmbHG durch das MoMiG ist auch die deutsche GmbH grenzüberschreitend ohne Probleme einsetzbar. Ähnlich wie schon zuvor in Deutschland Auslandsgesellschaften, etwa des englischen Rechts, populär und bekannt geworden sind, kann nun auch die GmbH gemeinschaftsweit von deutschen Unternehmen eingesetzt werden, indem diese unselbständige Zweigniederlassungen gründen.
Die GmbH als typische Rechtsform des deutschen Mittelstandes bietet den Unternehmern hierfür eine kostengünstige und zugleich universell einsetzbare rechtliche Plattform, die etwa bei Banken und Kunden gleichsam großes Vertrauen genießt.
Verlässliche Register, aber auch bestehende Anzeigepflichten (vgl. § 54 EStDV) stellen zudem sicher, dass auch die Interessen der Allgemeinheit bei einer haftungsbegrenzten Rechtsform angemessen berücksichtigt werden. Dies betrifft etwa die Verhinderung von Geldwäsche, Steuerflucht und Firmenbestattungen zu Lasten der Gläubiger, Kunden und Arbeitnehmer, sowie eine gerechte Risikoverteilung zwischen allen Beteiligten.
Die Verwendung unselbständiger Zweigniederlassungen bietet gegenüber der Verwendung einer SPE den Vorteil, dass noch nicht einmal zwei verschiedene Rechtsordnungen zu beachten sind, sondern nur das auf die heimatliche Gesellschaft anzuwendende deutsche Recht.
Viele der Fortschritte des MoMiG bei Gläubigerschutz und Transparenz drohen nun durch den VO-Entwurf für die SPE wieder zunichte gemacht zu werden. Konnte das MoMiG Missbrauchsmöglichkeiten durch Verwendung der haftungsbegrenzten Rechtsform GmbH wirksam beschränken, werden diese in weit größerem Umfang durch den VO-Entwurf wieder eröffnet.
Dies liegt aber weder im Interesse der Bundesregierung noch der deutschen Wirtschaft.
Auch Kostengesichtspunkte sprechen für den grenzüberschreitenden Einsatz der GmbH. Eine vom VDMA und Baker & McKenzie mit Presseerklärung vom 26.06.2008[5] vorgestellte Studie, wonach die Gründungskosten von ca. 46.000 Euro für die Gründung von 5 Tochtergesellschaften in 5 verschiedenen Mitgliedsstaaten durch eine SPE um 80 % gesenkt werden könnten, entspricht nicht dem, was an Kostenersparnis bei Verwendung von GmbH oder Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) möglich ist bzw. sein wird.
Die Kosten für die Gründung und Eintragung von 5 Einmann-GmbH mit dem gesetzlichen Mindestkapital belaufen sich, wenn für alles die Dienste eines deutschen Notars in Anspruch genommen werden und kein einziger Entwurf selbst erstellt wird, auf zusammen etwa 3.500 Euro[6], also auf 7,61 % des in der genannten Studie ermittelten Betrags (Kostensenkung um 92,39 %). Verwendet man mittels des Gründungsprotokolls gegründete Unternehmergesellschaften mit geringerem Stammkapital, lassen sich die Kosten noch weiter senken. Für die Entwicklung einer Gesellschaftsform, die schon nach den Berechnungen ihrer Befürworter mehr als das Doppelte kostet – und wegen der ineffizienten Regelungstechnik werden die Kosten dieses Ausmaß noch weit übersteigen – muss man keine Steuermittel aufwenden. Statt dem erhofften europatauglichen sparsamen Hybridauto erhält man ein durstiges SUV.
2. Fortbestehende Probleme
Auch bei Einführung einer weitgehend harmonisierten Rechtsform für KMU bleibt eine Vielzahl von Problemen bestehen, denen Unternehmer im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr begegnen. Diese Probleme sind weitaus gewichtiger und kostenintensiver als die Frage der Unternehmensform.
So stellen 23 Amtssprachen in der Gemeinschaft ein ebenso gewichtiges Problem für unternehmerisches Engagement im Ausland dar, wie unterschiedliche Steuersysteme bzw.
-sätze. Diese beiden genannten Probleme sind aber auf absehbare Zeit als kaum abänderbare Gegebenheiten des europäischen Binnenmarktes hinzunehmen.
Gleiches gilt für verschiedene Rechnungslegungsstandards, die Frage der Arbeitnehmerrechte, unterschiedlichen Insolvenzordnungen in den einzelnen Mitgliedstaaten und das divergierende öffentliche Recht, etwa im Gewerbe-, Bau- und Umweltrecht sowie das Vertriebsrecht. Auch insoweit werden die Unternehmen künftig mit verschiedenen Rechtsordnungen konfrontiert werden[7].
Nicht zuletzt ist auch eine im Mitgliedsstaat A gegründete SPE, die im Mitgliedsstaat B eine Niederlassung eröffnen will, gehalten, sich der oft mühevollen Prozedur der Errichtung einer ausländischen Zweigniederlassung zu unterziehen. Die oben zitierte Studie von VDMA und Baker & McKenzie geht auf den hiermit verbundenen Aufwand nicht ein. Insoweit verweisen wir auf unsere Vorschläge im Rahmen unserer Stellungnahme „vereinfachtes Unternehmensumfeld“ vom 12. Oktober 2007 zu KOM (2007) 394 endg.
3. Beschränkter Mehrwert einer SPE
Gegenüber der durch das MoMiG reformierten GmbH hat die SPE für die deutsche Wirtschaft vor diesem Hintergrund allenfalls zwei Vorteile:
a) Strukturierung von Akquisitionsvehikeln
Die SPE kann die Veräußerung von Akquisitionsvehikeln erleichtern. Sie schafft eine gesellschaftsrechtlich einheitliche „Währung“ für den M&A-Sektor.
Dieser Aspekt dürfte allerdings im wesentlichen für Finanzinvestoren von Bedeutung sein, für die allermeisten KMU hingegen keine Rolle spielen. So könnte ein internationaler Konzern seine Hauptniederlassung in der Rechtsform einer SE betreiben und alle seine Tochtergesellschaften als SPE strukturieren. Dies mag für manche Konzerne ein wünschenswertes Ziel sein, mit der Förderung von KMU hat dieses Ziel aber nichts gemein.
b) „Europäisches Label“
Weiterhin verfügt die SPE über ein „europäisches Label“, wie auch die Kommission in der Begründung ihres VO-Entwurfs bemerkt. Manch ein Unternehmer mag sich davon einen Imagegewinn versprechen. Wie die Wirtschaft diesen Vorteil im europäischen bzw. weltweiten Wettbewerb bewertet, ist offen. Ein Imagegewinn würde jedoch voraussetzen, dass die SPE als Kapitalgesellschaft im „Premiumsegment“ angesiedelt wäre. Diesen Anforderungen genügt der VO-Entwurf jedoch noch nicht einmal ansatzweise, wie nachfolgend dargelegt werden wird.
Das „europäische Label“ der SPE ist kein Qualitätsmerkmal, sondern steht vielmehr für die Nivellierung von Gläubigerschutz und Arbeitnehmerinteressen. Transparenz und Registerpublizität werden auf dem niedrigsten vorstellbaren Niveau der gesamten Gemeinschaft zementiert. Der VO-Entwurf ist nicht eine Synthese von „best practices“ der einzelnen Mitgliedstaaten, sondern ein Konvolut fauler Kompromisse, geprägt von einem „race to the bottom“ in allen relevanten Fragen.
4. Kein ausreichendes Bedürfnis für supranationale Rechtsform
Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität besteht daher kein ausreichendes Bedürfnis, auf Gemeinschaftsebene eine weitere supranationale Rechtsform einzuführen. Der europäische Gesetzgeber sollte vielmehr den Wettbewerb nationaler Rechtsformen zulassen, den der EuGH mit seinen vorgenannten Entscheidungen angestoßen hat. Aus diesem Wettbewerb werden sich mittelfristig gemeinschaftsweit best practices ergeben. Auf der Basis dieser best practices kann dann eine Harmonisierung betrieben werden.
C. Materiellrechtliche Fragen
Seitens des Deutschen Notarvereins bestehen nicht nur die oben geschilderten grundsätzliche Bedenken gegen die Schaffung einer SPE, sondern auch noch Einwände gegen den VO-Entwurf im speziellen. Der VO-Entwurf ist durch eine Vielzahl regelungstechnischer Mängel geprägt.
I. Gründung, Registrierung und Satzungsänderung der SPE
Die Regelungen im VO-Entwurf über die Gründung, Registrierung und Satzungsänderung der SPE sind unzureichend. Weder wird der gemeinschaftsrechtliche acquis berücksichtigt noch werden die in den Mitgliedstaaten bereits vielfach vorhandenen effizienten Strukturen genutzt.
Die Regelungen des VO-Entwurfs laden statt dessen dazu ein, die SPE für kriminelle Machenschaften wie Geldwäsche, Betrug und Steuerhinterziehung zu missbrauchen.
Das Konzept des VO-Entwurfs beruht auf einer unkritischen Übernahme des englischen Rechts, das in diesen Punkten Art. 10 der Ersten Richtlinie 68/151/EG (Publizitätsrichtlinie) nicht entspricht. Anstatt den seit Jahrzehnten andauernden Vertragsverstoß endlich angemessen, d.h. im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission gegen das Vereinigte Königreich (und die Republik Irland) zu verfolgen[8], soll nun der Rechtsbruch durch Übernahme in europäisches Recht zu Lasten aller vertragstreuen Mitgliedstaaten quasi geheilt werden.
1. Keine Nutzung des gesellschaftsrechtlichen acquis
Die Anforderungen der Publizitätsrichtlinie werden für die Gründung einer SPE durch den VO-Entwurf nicht erfüllt.
Art. 10 der Richtlinie schreibt vor, dass die Gründung eine Gesellschaft entweder einer präventiven Prüfung durch eine Behörde, ein Gericht oder ein sonstige zuständige Stelle zu unterliegen hat, oder öffentlich zu beurkunden ist. Den Mitgliedstaaten ist freigestellt, dies auch kumulativ vorzusehen.
Für die SPE soll letzteres nicht gelten, Art. 10 der Publizitätsrichtlinie soll hier insoweit nicht anwendbar sein.
Die SPE soll vielmehr nur mit einem privatschriftlichen Vertrag der Gesellschafter gegründet werden können, Art. 8 VO-Entwurf. Bei der Gründung soll eine vorbeugende Kontrolle durch nur eine Instanz stattfinden, Art. 10 Abs. 4 VO-Entwurf. Die Satzungsänderung wird nach Art. 10 Abs. 5 VO-Entwurf von der Gesellschaft dem Register nur mitgeteilt und unterliegt entgegen der Publizitätsrichtlinie keinerlei Prüfung mehr. Deren Eintragung ist, selbst bei Kapitalmaßnahmen, offenbar deklaratorisch. Damit orientiert sich der VO-Entwurf am angloamerikanischen Rechtskreis (bloße Schriftform, keine präventive Kontrolle), ohne jedoch zu stringenten Lösungen zu kommen.
Art. 10 Abs. 1 des VO-Entwurfs sieht für die SPE weiterhin zwingend die Möglichkeit einer Online-Anmeldung vor. Diese Norm scheint dabei vordergründig in Einklang mit Art. 3 Abs. 2 der Publizitätsrichtlinie zu stehen. Gleichwohl geht auch hier der VO-Entwurf einen Schritt weiter und legt im Wege der Vollharmonisierung (statt der Schaffung von Mindeststandards) abschließend fest, welche Anforderungen an eine solche Online-Anmeldung geknüpft sein können. Sicherheitsaspekte spielen dabei offenbar keine Rolle.
Eröffnet die Publizitätsrichtlinie den Mitgliedsstaaten Spielraum und gibt nur Mindeststandards vor[9], so ist dies bei dem abschließenden VO-Entwurf nicht der Fall. Der VO-Entwurf legt vielmehr abschließend fest, dass keinerlei Mindestanforderungen an die Online-Anmeldung geknüpft werden dürfen.
Die Mitgliedstaaten müssten danach künftig etwa auf die öffentliche Beglaubigung der Handelsregisteranmeldung verzichten. Gegenüber den praktizierten best practices der allermeisten Mitgliedstaaten ist dies eine Verkürzung der bisherigen Standards. Auch dies dürfte ein Zugeständnis an einzelne Mitgliedstaaten wie etwa das Vereinigte Königreich darstellen.
Erfordert die Gründung einer SPE aber keine präventive Kontrolle durch eine Behörde oder durch öffentliche Beurkundung und erfordert der Registerverkehr der SPE nicht die öffentliche Beglaubigung der jeweiligen Anmeldungen, so ist eine (eindeutige) Identifizierung der handelnden Personen nicht mehr sichergestellt.
2. Folgen für den Rechtsverkehr
Die Missachtung des bestehenden acquis durch die Vorschriften über Gründung, Registrierung und Satzungsänderung nach dem VO-Entwurf würden bei Implementierung der SPE gravierende negative Folgen für den Rechtsverkehr nach sich ziehen. Die mangelnde Transparenz würde die SPE zum bevorzugten Vehikel unseriöser, wenn nicht gar verbrecherischer Aktivitäten werden lassen. Das Handelsregistern wird insgesamt entwertet.
a) Aufgabe des „Vier-Augen-Prinzips“
Konkret beschränkt Art. 10 Abs. 4 VO-Entwurf die Kontrolle der einzureichenden Dokumente auf maximal eine Stelle. Es ist – im Gegensatz zu Art. 10 der Ersten Richtlinie – nur entweder eine gerichtliche Prüfung oder eine notarielle Beglaubigung möglich.
Das in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten bestehende und bewährte „Vier-Augen-Prinzip“ der Zusammenarbeit von Notar und Registergericht wird so grundlos zunichte gemacht.
Nach dem VO-Entwurf hätten die Mitgliedstaaten nunmehr nur noch die Wahl, entweder dem Notar die Eintragung direkt ins Register zu überlassen, oder die Registergerichte mit einer Flut ungefilterter Anträge zu belasten. Die großen Erfolge des EHUG würden zu Lasten des gesamten Rechtsverkehrs wieder verspielt, die nicht unerheblichen Investitionen der Länder im vergangenen Jahr wären vertan.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Registergerichte mit der „Limited“ und den heute deutlich messbaren Erfolgen des elektronischen Rechtsverkehrs im Bereich des Handelsregisters durch die Zusammenarbeit von Notar und Registergericht sollte der deutsche Gesetzgeber diesen Weg aber gerade nicht beschreiten. Es ist vielmehr das heute praktizierte Vier-Augen-Prinzip und die praktizierte Vorprüfung von Handelsregisteranmeldungen durch den Notar, die das deutsche Handelsregister transparent und fehlerfrei machen.
b) Erfolge des MoMiG gefährdet
Durch die SPE geht diese Transparenz aber verloren. Bleibt unklar, wer hinter einer SPE steht, so macht dies diese Rechtsform besonders attraktiv für unseriöse und kriminelle Machenschaften. Es ist bezeichnend, dass die SPE die Anforderungen, welche an die Identifizierung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch das Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz[10] gestellt werden, kaum erfüllen könnte, obwohl die SPE als Kapitalgesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist. Dies darf beinahe als Einladung verstanden werden, die SPE als Träger krimineller Machenschaften zu missbrauchen.
Nicht nur Geldwäsche wird aber ohne eine eindeutige Identifizierung erleichtert, auch Insolvenzantragspflichten und damit der Gläubiger- und Arbeitnehmerschutz laufen dort leer, wo die verantwortlichen Personen nicht genau feststehen. Schließlich wird auch die Zustellung an die Gesellschaft erschwert, was die (gerichtliche) Durchsetzung von Ansprüchen verkompliziert. Hinzu kommt, dass europarechtlich die SPE noch nicht einmal einen Sitz bzw. eine registrierte Geschäftsanschrift haben muss (vgl. Art. 8 Abs. 1, 10 Abs. 2 lit. a) und b) sowie Anhang I des VO-Entwurfs). Z.B. für Geschäftsleute, die sich mangels einer Zustellmöglichkeit den Verbraucherschutzvorschriften entziehen wollen, ist daher die Rechtsform der SPE ideal.
Ermittlungsbehörden benötigen nämlich dokumentierte Anknüpfungspunkte für ihre Arbeit. Fachkreise sprechen insofern von „der Spur des Papiers“, der es zu folgen gilt. Ohne Identitätskontrolle der handelnden Personen ist ein solcher Anknüpfungspunkt aber nicht mehr gegeben. Die Erfolge des MoMiG, des Gesetzes zur Modernisierung und zur Bekämpfung von Missbräuchen im GmbH-Recht, wären damit vertan.
Es ist nachgerade paradox, dass einerseits die Anforderungen an die betroffenen Kreise (Geschäftsführer, Banken, Notare) im Geldwäschebereich bzw. im Sicherheitsrecht allgemein immer strenger werden, dass aber andererseits die Gründung von Gesellschaften möglichst ohne jede Identifizierung und Kontrolle möglich sein soll. Eine Unternehmensgründung binnen weniger Tage, im Eilfall auch binnen 24 Stunden, ist auf der Basis des geltenden deutschen Rechts heute unproblematisch machbar. Es ist daher kaum einsichtig, warum der europäische Gesetzgeber nicht dieses System als Muster heranzieht, sondern sich an weniger effizienten Systemen bedient, bei denen der Gläubigerschutz und die Interessen der Allgemeinheit auf der Strecke bleiben.
c) Keine Kontrolle bei Satzungsänderungen
Satzungsänderungen sollen nach dem VO-Entwurf einer präventiven Prüfung durch Gericht oder Notar gänzlich entzogen werden, Art. 10 Abs. 4 VO-Entwurf. Dies ist bedenklich. Eine solche Regelung ist eine Einladung an potenzielle Firmenbestatter und andere unseriöse Geschäftsleute. Zu Lasten von Gläubigern und dem Rechtsverkehr ist eine Verschleierung der tatsächlichen Satzung und damit der tatsächlichen Machtverhältnisse bei der SPE, anders als bei der GmbH, völlig unproblematisch möglich.
Wie bereits angedeutet lässt sich diese Abweichung von Art. 10 der Publizitätsrichtlinie nur so erklären, dass die Kommission insoweit einigen Mitgliedstaaten entgegenkommen will, welche in vertragswidriger Weise die Publizitätsrichtlinie nur teilweise umgesetzt haben. Zu Lasten der Allgemeinheit will die Kommission offenbar bei der SPE den niedrigen Standard dieser Länder übernehmen. Vertragsbruch sollte aber nicht durch Übernahme desselben in das europäische Sekundärrecht geheilt werden.
d) Fernwirkungen auf das deutsche Handelsregister
Bislang bietet das deutsche Handelsregister einen hohen Grad an Verlässlichkeit, der durch das Zusammenwirken aller daran beteiligten Akteure garantiert wird. Der VO-Entwurf droht zumindest für die SPE diese Verlässlichkeit zunichte zumachen, wenn keinerlei Mindeststandards für die Überprüfung der Identität der handelnden Personen vorgeschrieben werden.
Langfristig wird sich dies dann auch auf die Verlässlichkeit des Registers insgesamt auswirken. Ein verlässliches Handelsregister ist aber ein effizientes und kostengünstiges Werkzeug im Rechtsverkehr, das die Bundesregierung nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte.
Register, die heute schon weniger strenge Anforderungen an die präventive Prüfung von Satzungen, Anmeldungen und die Identität der Anmeldenden stellen, bieten die Verlässlichkeit des deutschen Handelsregisters nämlich bei weitem nicht. Die eminente Bedeutung von gefälschten Registereintragungen etwa im Vereinigten Königreich lässt sich bereits durch eine einfache Internetrecherche belegen. Sucht man bei Google nach den englischen Stichworten „identity fraud“ und „identity theft“ so erhält man etwa 22.000.000 Treffer, darunter auch an prominenter Stelle die Warnhinweise des englischen Companies House[11] vor gefälschten Eintragungen in das Register. Sucht man stattdessen die deutschen Begriffe „Identitätsbetrug“ und „Identitätsdiebstahl“ so erhält man nur ca. 80.000 Treffer, regelmäßig mit Bezug auf das anglo-amerikanische Ausland oder auf etwa Mail-Order Betrug.
Weiter soll nach einem Bericht des Daily Telegraph vom Dezember 2006[12] der jährliche Schaden durch Handelsregisterfälschungen allein beim Companies House bei 50 Millionen britischer Pfund liegen.
Diese Zahlen und Fakten sprechen für sich:
Sind in den USA oder England falsche, betrügerische Eintragungen in Register an der Tagesordnung, so ist dieses Phänomen in Deutschland praktisch unbekannt. Warum die Kommission für die Schaffung einer neuen Rechtsform diese Erkenntnisse nicht gewinnbringend nutzt, ist unerfindlich.
3. Zusammenfassung
Der Deutsche Notarverein schlägt daher vor, dass Art. 10 der Publizitätsrichtlinie auch für die SPE in vollem Umfang Anwendung finden sollte. Für die Gründung, Satzungsänderung und die entsprechende Registrierung kann direkt auf die Richtlinie Bezug genommen werden. Was die Online-Anmeldung anbelangt, sollte der VO-Entwurf ebenfalls auf den gesamten acquis der Publizitätsrichtlinie zurückgreifen, damit das heute bestehende Schutzniveau auch bei Einführung einer SPE langfristig gehalten werden kann. Soweit Mitgliedsstaaten die Publizitätsrichtlinie nicht umgesetzt haben, ist es Aufgabe der Kommission, dem mit den Mitteln des EU-Vertrages nachzugehen.
II. Anteilsabtretung
Defizite bestehen auch bei den Regelungen der Übertragung von Gesellschaftsanteilen nach dem VO-Entwurf.
Zum einen scheinen andere Verfügungen wie Verpfändung oder Belastung mit einem Nießbrauch außerhalb der Vorstellungswelt der Kommission zu liegen, was nicht gerade von Praxisnähe zeugt. Offenbar sind solche Verfügungsgeschäfte nicht zulässig. Sind dann Anteile an einer SPE auch nicht pfändbar? Welches Recht gilt für Nießbrauchsbestellung, Pfändung und Verpfändung, wenn denn überhaupt eines gilt?
Zum anderen schafft der VO-Entwurf keine Transparenz der Beteiligungsverhältnisse.
1. Identifizierung der Gesellschafter erschwert
Die Übertragung von Geschäftsanteilen bedarf nach dem VO-Entwurf lediglich der Schriftform, Art. 16 Abs. 2 VO-Entwurf. Dritten gegenüber ist die Abtretung wirksam, wenn sie in eine interne – interessengeleitet geführte – Liste aufgenommen wurde, die von Dritten allenfalls vor Ort (Europa ist groß) eingesehen werden kann (Art. 16 Abs. 4, 15 Abs. 3 VO-Entwurf). Das stellt eher ein Transparenzverbot dar, als eine Maßnahme zu deren Schaffung.
Gesellschafterwechsel sind damit ohne jede Identitätskontrolle möglich. Das Verzeichnis nach Art. 15, 16 VO-Entwurf ist beliebig (und mangels valider Haftungsansprüche des Rechtsverkehrs auch letztlich sanktionslos) manipulierbar. Sicherheit über die Person eines Gesellschafters ist auf dieser Basis ausgeschlossen, und zwar sowohl für Gläubiger eines Gesellschafters als auch für einen potenziellen Anteilserwerber.
Die fehlende Transparenz von Geschäftsanteilsabtretungen wird neben der fehlenden Transparenz bei Gründung und Registrierung dazu führen, dass die SPE bevorzugte Rechtsform für unseriöse Machenschaften, Firmenbestattungen und Geldwäsche werden wird.
Zugleich wird die fiskalische Erfassung von Anteilsabtretungen aber auch von Dividendenzahlungen erschwert, wenn Finanzämter nicht mehr zuverlässig Kenntnis von der Identität der Gesellschafter erlangen. Gerade im grenzüberschreitenden Bereich wird die SPE sich damit hervorragend zur Umgehung von steuerlichen Pflichten nutzen lassen. Dem sollte die Bundesregierung entschieden entgegentreten.
2. Nur scheinbare Kostenvorteile
Auch für die Gesellschafter ist die scheinbar einfache Möglichkeit, Anteile schriftlich abzutreten, in Wirklichkeit nur begrenzt vorteilhaft. Kommt es nämlich zu etwa einem Verkauf der Gesellschaft oder auch nur einzelner Anteile, so machen die von Laien aufgesetzten Anteilsabtretungen ohne verlässliche Gesellschafterlisten eine umfangreiche und kostenträchtige due dilligence notwendig. Je mehr Zeit ins Land geht und je mehr Veränderungen stattfinden, desto höher wird der damit verbundene Aufwand. Fragen der Haftung des Führers des Verzeichnisses schiebt der VO-Entwurf in das nationale Recht ab (Art. 31 Abs. 5 VO-Entwurf), dem hier und anderorts die Aufgabe eines juristischen Reparaturbetriebs für das Unvermögen des Verordnungsgebers zufallen soll. Ohnedies wird die Frage nach der Realisierbarkeit und der Werthaltigkeit einer solchen Haftung erst gar nicht gestellt.
Überdies kann bezweifelt werden, ob die Geschäftsführung einer SPE zur Führung des durchaus komplizierten Verzeichnisses nach Art. 15 VO-Entwurf ohne teuren internen oder externen Rechtsrat in der Lage ist. Verwiesen werden soll hier nur auf die Frage, wann Bedingungen einer Anteilsübertragung eingetreten sind und wann daher der Erwerber als neuer Gesellschafter in das Verzeichnis aufzunehmen ist. Es ist lebensfremd anzunehmen, dass dies ohne Rechtsrat funktionieren wird.
3. Weitere Nachteile des VO-Entwurfs
Ein gutgläubiger Erwerb, wie er nunmehr zum Vorteil des Rechtsverkehrs bei der GmbH möglich sein wird, ist bei der SPE mit solchen Strukturen von vorne herein ausgeschlossen. Denn auf privatschriftliche (beliebig datierbare) Abtretungsverträge und interne Verzeichnisse kann sich kein Rechtsschein stützen.
Rechtsdogmatisch lässt der VO-Entwurf unberücksichtigt, dass die Abtretung von Geschäftsanteilen einen Spezialfall der Zession einer Forderung darstellt. Für diesen Spezialfall soll nach dem Willen der Kommission nun eine Vollharmonisierung erfolgen, während die lex generalis weiterhin dem Recht der Mitgliedsstaaten unterliegt. Hiervon ist aber dringend abzuraten:
Die Abtretung von Forderungen beruht innerhalb der verschiedenen Rechtsordnungen der Gemeinschaft auf völlig unterschiedlichen Prinzipien. Common law und die einzelnen Rechtsordnungen des kontinentaleuropäischen Rechts weisen in kaum einem anderen Bereich so verschiedene Ausgangspunkte auf. Eine Rechtsordnung, die näher am römischen Konzept der Zession der actio durch novatio und delegatio steht, denkt die Forderungszession als Übertragung des Klagerechts vor der litis contestatio, mithin als einen Fall des vorprozessualen Parteiwechsels (vor diesem Hintergrund daher z.B. Art. 1690 des frz. Code Civil einerseits). Eine Rechtsordnung, die auf dem Konzept des Anspruchs im Sinne Bernhard Windscheids beruht, kann zu dessen Übertragbarkeit kommen und den Dritten nur durch Vorschriften über seine Befreiung von der Schuld schützen (vgl. § 407 BGB andererseits).
Überdies ist die Abtretung einer Forderung in den einzelnen Ländern mit einer Vielzahl von Folgeproblemen (Schicksal von Pfandrechten einschließlich der Vollstreckung, steuerlichen Fragen wie etwa die englische stamp duty) verknüpft. An Fragen der Pfändung/Verpfändung der Anteile knüpfen schließlich eine Vielzahl von Folgefragen (Rang, Verhältnis zu besitzlosen Generalpfandrechten, Verwertung) an. Wegen der Einzelheiten dürfen wir auf unsere Stellungnahme zum Referentenentwurf der Reform des Internationalen Gesellschaftsrechts vom 07.03.2008 (S. 6 ff.) verweisen.
Alle diese Folgeprobleme lassen sich im Rahmen einer Vollharmonisierung nicht abdecken. Zivilistische Grundfragen wie das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht und hieraus folgend von Anspruch und Klagerecht müssten erst gelöst werden. Letztlich geht es um die Frage, was ein subjektives Recht ist.
Eine stringente Suche nach einer Antwort hat z.B. in Deutschland im späten 18. Jahrhundert begonnen, konnte ihre bisherigen Ergebnisse nur dank der Hochblüte der deutschen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert erreichen und dauert im übrigen auch heute noch an, wie die Diskussion über die dogmatische Erfassung von Kreditverkäufen an sog. „Heuschrecken“ zeigt. Die Verfasser des VO-Entwurfs scheinen noch nicht einmal bedacht zu haben, an welche Grundsatzprobleme des gemeinen abendländischen Zivilrechts hier gerührt wird.
Mit der Regelung des VO-Entwurfs droht damit nicht nur Unsicherheit über den tatsächlichen Anteilsinhaber, sondern auch über das Schicksal des Anteils selbst. Zum Wohle des Rechtsverkehrs sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass es nicht soweit kommt.
Für die Frage der Anteilsabtretung sollte das SPE Statut daher den Mitgliedstaaten Freiraum lassen, selbst geeignete Konstrukte zu schaffen. Ebenso wie Gründung, Satzungs- und Strukturänderung sollte auch die Anteilsübertragung dem Recht des Staates unterliegen, in dem die SPE gegründet worden ist.
III. Ineffiziente Regulierung durch Regelungsaufträge
Entgegen eigenem Bekunden folgt der VO-Entwurf nicht dem Prinzip „think small first“, wenn er für die privatschriftlich zu verfassende Satzung der SPE insgesamt 44 Regelungsaufträge („drafting tasks“) aufstellt.
1. Unnütze Regelungsaufträge
Juristische Laien dürften mit den derzeit angedachten 44 (mit einer – derzeit fehlenden – Regelung des Sitzes und Kapitals: 46) Regelungsaufträgen heillos überfordert sein. Lediglich Unternehmen mit eigenen Syndici dürften die vorgegebenen Fragestellungen beantworten können, ohne auf externen Rat zurückgreifen zu müssen. Angesichts dessen, dass die SPE eine Rechtsform gerade für KMU sein soll, ist diese Regelungstechnik eine verfehlte Ausgeburt praxisferner Theorie. Das deutsche GmbHG kommt in § 3 Abs. 1 mit 5 (fünf) Regelungsaufträgen aus, das deutsche Aktiengesetz in § 23 Abs. 3 und 4 mit 8 (acht) solchen „drafting tasks“.
Die Formulierung der einzelnen Aufträge im Anhang I („ob“) bedeutet, dass man sich zu jedem Punkt in der Satzung äußern muss, ohne dass man die betreffende Bestimmung überhaupt braucht.
Selbst die Satzung einer Einmann-SPE in einem Konzern müsste daher zahlreiche Einzelbestimmungen vorsehen wie etwa die Folgende (ausformuliert zu Anhang I Kapitel III 7. Spiegelstrich):
„§ … Übertragung der Anteile
Die Übertragung der Anteile ist weder eingeschränkt noch verboten. Regelungen für den Fall des Todes eines Anteilseigners werden nicht getroffen. Wird die Auflösung eines Anteilseigners beschlossen, so hat dessen Liquidator, bevor der Anteilseigner erloschen ist, über den Anteil nach Maßgabe der für die Liquidation des Anteilseigners geltenden Regelungen zu verfügen.“
In diesem Stil hat man durch die gesamte Anlage I durchzugehen. Der Gründer der SPE wird also gezwungen, Satzungen aufzustellen, die aus seiner Sicht zu 90 % aus evidentem Unsinn bestehen.
2. Fehleranfälligkeit des Systems
Ob alle Gründer ausreichend qualifizierten Rechtsrat vor Abfassung der Satzung einholen, ist zweifelhaft. Dies und die fehlende Kontrolle durch eine vorsorgende Rechtspflege bei der Eintragung der Gesellschaft werden zu einer Vielzahl von Satzungen mit sinnlosen oder gar fehlerhaften Bestimmungen und damit einer Vielzahl späterer Rechtsstreitigkeiten führen, die die Gerichte unnötig belasten. Die Frage nach den Rechtsfolgen nicht oder unzureichend erfüllter Regelungsaufträge bleibt zudem offen. Wieder schiebt die Begründung des VO-Entwurfs diese lästige Aufgabe in das nationale Recht ab. Wenn eine SPE mehrfach ihren Sitz nach Art. 35 ff. VO-Entwurf verlegt hat, steht der Berater oder das Gericht dann vor der reizvollen Aufgabe, zu entscheiden, welches dieser Rechte dann zur Anwendung kommt.
Nach dem Modell der Regelungsaufträge müsste wohl der EuGH letztlich die Lücken des SPE-Statuts durch Auslegung und Rechtsfortbildung schließen. Nach Struktur und Kapazitäten ist der EuGH aber nicht in der Lage, derartige Details verbindlich in einer für den Rechtsverkehr akzeptablen Weise zu beurteilen. Die Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen überlanger Verfahrensdauer ist vorprogrammiert. Auf welcher Basis der EuGH hier Rechtsfortbildung betreiben soll, ist ebenso unklar. Der VO-Entwurf selbst enthält zu vielen Fragen nur rudimentäre Regelungen. Der europäische Gesetzgeber würde damit seine Rechtssetzungskompetenz auf die Judikative delegieren. Dies ist ein auch unter Gesichtspunkten der Gewaltenteilung bedenklicher Vorgang.
3. Ökonomische Ineffizienz
Gründer, die eine SPE sicher und gerichtsfest gestalten wollen, werden demgegenüber auf teuren Rechtsrat weniger Experten zurückgreifen müssen.
Das System der Regelungsaufträge ist letztlich nur ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für diejenigen juristischen Berater, die auf Stundenhonorarbasis abrechnen. Es dient der Maximierung der „billable hours“. Ist es dem Notar noch möglich, zu den Sätzen der Kostenordnung eine zweiseitige Satzung für eine Einmann-GmbH zu entwerfen, so wäre bereits die Satzung der Einmann-SPE nach dem VO-Entwurf zwingend mindestens zehn Seiten lang, nur um alle Regelungsaufträge „abzuarbeiten“. Eine derart ineffiziente Regulierung ist damit auch volkswirtschaftlich schädlich.
4. Mustersatzung als scheinbarer Ausweg
Die Antwort der Entwurfsverfasser[13] und der ihnen Nahestehenden[14] ist die Forderung nach „ausgewogenen Mustersatzungen“, da andernfalls „der Arbeits- und Kostenaufwand bei der Gründung einer Gesellschaft sehr hoch“ bliebe. Wohl wahr, nur: wer wird diese „ausgewogene Mustersatzung“ entwerfen? Schon für das nationale Recht haben die empirischen Untersuchungen von Bayer/Hoffmann/Schmidt[15] gezeigt, dass bereits die zweigliedrige GmbH ein zu hohes Maß an Satzungskomplexität[16] für gesetzlich vorgegebene Muster aufweist und eine Mustersatzung allenfalls für die Einmanngesellschaft[17] in Betracht kommt. Gerade dort aber zeigt sich die Unsinnigkeit des Konzepts der Regelungsaufträge, das auch bei Einmanngesellschaften zur „Abarbeitung“ aller 44 Regelungsaufträge zwingt. Um Potenzen komplexer würde die Aufgabe der Erstellung „ausgewogener Mustersatzungen“, wenn
(1) diese in 23 Sprachen jeweils eindeutig übersetzt werden müssten und
(2) diese den Erwartungen unterschiedlichster Rechtskulturen an das Austarieren einer gesellschaftsrechtlichen Binnenstruktur genügen müssten.
Wenn jetzt – Jahre nach erstmaliger Präsentation dieser Konzeption – immer noch weder kurze noch ausgewogene, sondern schlicht gar keine Mustersatzungen vorgelegt worden sind[18], dann belegt dies den nicht erbrachten proof of concept, also die Untauglichkeit des gewählten methodischen Ansatzes.
5. Modell ohne funktionierendes Vorbild
Nicht von ungefähr ist das Konzept von Regelungsaufträgen ohne subsidiär geltende dispositive Auffangnormen in der europäischen Rechtskultur auch neu. Bisher sind jedenfalls die juristischen Praktiker jeder Rechtsordnung, seit es Recht gibt, auch im common law[19], den Weg gegangen, zunächst einmal die für ein zu gestaltendes Rechtsgeschäft (Satzung, Vertrag etc.) geltenden Normen des objektiven Rechts festzustellen, sie nach ihrem zwingenden und nach ihrem dispositivem Gehalt zu scheiden und bei letzteren zu fragen, ob der gesetzliche (und demokratisch legitimierte) „default set“ ausreicht oder ob eine Sonderregelung erforderlich ist.
Mit dem Abschieben der eigentlichen „Hausaufgaben“ in Regelungsaufträge hat der Gesetzgeber seine Aufgabe, einen normativen Rahmen für das Zusammenleben in einer Gesellschaft vorzugeben, nicht erfüllt. Der VO-Entwurf ist legislatorischer déni de justice.
Dass das Aufsetzen eines Rechtsinstituts auf eine vollständige Auffangrechtsordnung sich letztlich bewährt, zeigt das Beispiel der SE. Nach einer am 23.07.2008 durchgeführten Abfrage unter www.handelsregister.de gibt es in Deutschland 71 Europäische Gesellschaften. Die SE könnte damit die KGaA zahlenmäßig überholt haben. Damit nimmt Deutschland unter den Nutzern der SE einen Spitzenplatz ein. Warum? Dank des Aufsetzens auf das Aktien- und Umwandlungsrecht ist die Gründung einer SE relativ einfach. Zudem lassen sich SE in Deutschland dank der Wert- und Gebührenobergrenzen in §§ 39 Abs. 4, 47 KostO auch sehr kostengünstig gründen, wenn man sich nicht der Klagen von Berufsaktionären erwehren muss. Möglicherweise ist daher auch unsere Rechtsordnung ursächlich für den Erfolg einer neuen Rechtsform, der in diesem Ausmaß nicht erwartet worden war.
Wir empfehlen daher, den VO-Entwurf wegen konzeptioneller Unzulänglichkeit abzulehnen und einen vollständigen Rechtsrahmen mit dispositiven Auffangnormen des europäischen oder des nationalen Rechts einzufordern.
IV. Kapital- und Gläubigerschutz
Der VO-Entwurf entscheidet sich vorschnell in den Art. 19-24 für eine dann allerdings nur unvollkommen gelungene Übernahme des angelsächsischen Modell des Kapitalschutzes[20].
1. Angelsächsisches Modell
Das angelsächsische Modell des Kapitalschutzes ist in groben Zügen gekennzeichnet durch[21]:
(1) Fehlen eines Mindestkapitals bei der „private company““[22] (vgl. Art. 19 Abs. 4 VO-Entwurf);
(2) Fehlen einer Einzahlungspflicht im Zuge der Gründung (entsprechend der company limited by guarantee daher Art. 19 Abs. 3 VO-Entwurf);
(3) Teilweise relativ dicht reguliertes und daher umständliches Verfahren der Kapitalerhaltung, d.h. Regelungen über unmittelbaren oder mittelbaren Anteilsrückkauf, Gewinnverwendung, Verlust des hälftigen Grundkapitals sowie Kapitalherabsetzung[23] (vgl. Art. 23, 24, wobei Regelungen zur financial assistance im VO-Entwurf fehlen);
(4) Fehlen von Beschränkungen bei Sacheinlagen (jedes vermögenswerte Recht ist einlagefähig; hingegen bestehen auch im englischen Recht Restriktionen für börsennotierte Gesellschaften[24]), Art. 8 Abs. 1, 20 Abs. 1 i.V.m. Anlage 1[25];
(5) Fehlen einer primären Insolvenzantragspflicht der Organe (im VO-Entwurf ebenfalls nicht vorgesehen)[26];
(6) Als Korrelat von (5) Haftung der Geschäftsführer für wrongful trading und für fraudulent transfer sowie letztlich aufgrund der deliktischen Generalklausel[27] bzw. aus Auftragsrecht (agency) – Regelungen hierzu fehlen im VO-Entwurf völlig[28];
(7) Ausschüttungen auf der Basis eines Bilanz- oder Solvenztests mit Prognoseelementen (Art. 21)[29], wobei die im VO-Entwurf auch nicht vorgesehene Haftung der Organe im common law bremsend wirkt[30].
(8) Einzelvertragliche Absicherung von Gläubigern mit hinreichender Verhandlungsmacht (Banken, Lieferanten, etc.) durch Verpflichtung der Gesellschaft zur Einhaltung bestimmter Kennzahlen (financial covenants)[31]; kleine Gläubiger (Arbeitnehmer, Verbraucher) sind auf ein effizientes Mahn- und Zahlungsüberwachungssystem angewiesen[32].
(9) Klägerfreundliches Prozessrecht, gekennzeichnet durch weite auch vorprozessuale Mitwirkungspflichten der Parteien an der Sachverhaltsaufklärung (pre-trial discovery) und der Sanktion der punitive damages[33].
Überspitzt formuliert ließe sich dies wie folgt zusammenfassen: Im Ergebnis setzt das angelsächsische System auf die Angst der Organe einer Gesellschaft vor persönlicher Haftung.
Vor allem die Kosten für die Überwachung, ob financial covenants stets eingehalten werden, und ob Ausschüttungen möglich sind, (oben (7) und (8)) sind hoch und werden von den Verfassern der KPMG-Studie, obschon genannt, nicht den Gesamtkosten des Kapitalschutzsystems zugerechnet (ohnedies werden externe Beratungskosten nicht berücksichtigt[34]).
Auf diese Weise wird das (wohl erwünschte) Ergebnis zumindest im executive summary[35] erreicht, dass die Kosten aller Systeme in etwa gleichauf liegen. Hieran bestehen jedoch erhebliche Zweifel[36]. Die KPMG-Studie belegt vielmehr, dass das angelsächsische System – von den ökonomischen Interessen der Beratungsberufe determiniert – einen Paradefall ineffizienter Regulierung darstellt.
Hinzu kommt, dass dieses System ohne die oben gezeigten Rückbindungen in das Zivilrecht des common law in den VO-Entwurf übernommen worden ist.
2. Kontinentaleuropäisches System
Das herkömmliche kontinentaleuropäische System ist dem gegenüber gekennzeichnet durch:
(1) Mindestkapital;
(2) Kapitalaufbringungspflicht mit vorbeugender Rechtskontrolle durch das Registergericht bei Sacheinlagen;
(3) Kapitalerhaltung als Primärpflicht, wenngleich eine Kapitalherabsetzung technisch einfacher durchzuführen ist als im angelsächsischen System;
(4) Primäre haftungs- und strafbewehrte Insolvenzantragspflicht der Organe[37];
(5) Zentrale Sachwalterfunktion des Insolvenzverwalters in bezug auf die Gläubigerinteressen;
(6) Geringe Bedeutung von financial covenants[38], allerdings auch infolge der dank eines effizienten Sachenrechts zur Verfügung stehenden Kreditsicherheiten (Eigentumsvorbehalt, Sicherungszession, Grundpfandrechte, Gesellschafterbürgschaften);
(7) Ausschüttungsbemessung nur aufgrund HGB-Bilanz ohne Prognoseelemente[39];
(8) Wahrung der Waffengleichheit der Parteien im Zivilverfahrensrecht (keine pre-trial discovery, keine punitive damages).
Im Ergebnis setzt das kontinentaleuropäische System auf den Insolvenzverwalter als Sachwalter der Gläubiger und sanktioniert daher die unterlassene Stellung des Insolvenzantrags erheblich.
Das kontinentaleuropäische System ist damit unter Einbeziehung der von der KMPG-Studie in deren executive summary nicht in Ansatz gebrachten Faktoren sowohl rechtssicherer als auch sonst ökonomisch effizienter, insbesondere kostengünstiger. Seine offene Flanke liegt jedoch in den Fehlanreizen für eine masselose Insolvenz. Der hohe Anteil an Entscheidungen über Haftung der Geschäftsführer an den gesellschaftsrechtlichen Gerichtsentscheidungen überhaupt[40] spricht insoweit für eine systemische Schwachstelle.
3. Gläubigerschutz im VO-Entwurf
Was nun den VO-Entwurf anbelangt, so ist der Gläubigerschutz dort nur dürftig geregelt. Wer Gesellschafter der SPE ist, kann der Gläubiger höchstens vor Ort durch Einsicht in ein interessengeleitet erstelltes Gesellschafterverzeichnis feststellen (Art. 15 Abs. 3 VO-Entwurf). Die Pfändung des Anspruchs der Gesellschaft auf Leistung versprochener Einlagen der Gesellschafter führt in unlösbare Beweisprobleme bzw. Probleme der hier anwendbaren einzelstaatlichen Rechtsordnung (Art. 20 Abs. 3 VO-Entwurf). Gleiches gilt für die Rückforderung von Ausschüttungen (Art. 22 VO-Entwurf).
Warum der Gläubigerschutz bei Kapitalherabsetzung (Art. 24 VO-Entwurf) nicht auf den acquis communautaire, insbesondere die Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 der RL 2005/56/EG (Verschmelzungsrichtlinie) bzw. Art. 8 Abs. 4 der SE-Verordnung zurückgreift, bleibt unerfindlich. Bei der Sitzverlegung wird das Problem, anstatt es konform zum acquis zu lösen, wieder einmal dem nationalen Gesetzgeber zugeschoben (Art. 36 Abs. 6 VO-Entwurf).
Art. 31 Abs. 2 VO-Entwurf schließlich gewährt den Geschäftsführern gegenüber Dritten im Ergebnis faktisch Immunität. Angesichts der Formulierung muss man sich fragen, ob diese nicht sogar einen Anspruch nach § 826 BGB ausschließt. Wie sich Absatz 2 aber zu Absatz 4 verhält, der wiederum auf das nationale Recht rekurriert, ist offen. Welches nationale Recht ist überhaupt anwendbar? Das Recht des Landes, in dem die SPE ihren Sitz hat, falls sie überhaupt einen solchen hat? Das Recht des Landes, in dem sie registriert ist? Das Recht des Landes, in dem ihre Verwaltung geführt wird? Das Recht des Landes, in das sie ihren Sitz verlegt?
4. Lösungsmöglichkeiten
Die vorstehenden Ausführen zeigen, dass es mit einem einfachen Überstülpen des einen Systems auf das andere daher nicht getan ist. Dem europäischen Gesetzgeber bleibt vielmehr nur, entweder einen gemeinsamen Nenner aller relevanten Systeme zu finden, oder, wie bei der SE-Verordnung, für Kapitalaufbringung und –erhaltung auf das nationale Recht zu verweisen.
5. Verzicht auf Mindestkapital
Zu Unrecht verzichtet der VO-Entwurf weiterhin auf ein Mindestkapital. Die allermeisten europäischen Rechtsordnungen sehen ein Mindestkapital als wichtige Maßnahme des Gläubigerschutzes an. Auch die UG hält an diesem für Deutschland bewährten Prinzip fest, wenn diese Gesellschaftsform eine Thesaurierung von Gewinnen vorschreibt, um das Mindestkapital der GmbH über einen gewissen Zeitraum hinweg kontinuierlich anzusparen.
Das Vermögen einer SPE kann hingegen dauerhaft nur € 1 betragen, Art. 19 Abs. 4 VO-Entwurf.
Die Kommission verkennt, dass ein Mindestkapital allein zwar als Gläubigerschutzmaßnahme sicherlich nicht ausreichend ist, jedoch für die Gründung der Gesellschaft eine wichtige Seriositätsschwelle darstellt. Gerade für eine europäische „Premiummarke“ scheint es unverzichtbar.
Die Gründung einer Kapitalgesellschaft mit Haftungsbegrenzung ist nach deutschem Verständnis mit einem „Preis“ gegenüber der Gründung einer nichthaftungsbegrenzten Personengesellschaft verbunden. Dieser Preis ist neben etwa strafbewehrten Insolvenzantragespflichten ein gewisses Mindestkapital. Wie auch strafrechtliche Vorschriften hat das Mindestkapital eine verhaltenssteuernde Wirkung, da es für den Gesellschafter ein gewisses Interesse am Erhalt seiner Investition nach sich zieht. Es garantiert somit eine Verbundenheit des Gesellschafters mit dem Unternehmen, was für den Mittelstand in der Regel sowohl unproblematisch als auch gerade wünschenswert ist.
Die SPE sollte daher ein zwingend vorgeschriebenes Mindestkapital haben. Die Schwierigkeit, ein solches für die Gemeinschaft festzulegen, sollte dabei kein Hinderungsgrund sein. Mit Art. 4 Abs. 2 SE-VO ist dies ebenso gelungen wie mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/91/EWG[41]. Etwa € 10.000,- bis € 25.000,- dürften gemeinschaftsweit durchsetzbar sein.
Diese Summe sollte für jedes Unternehmen, das grenzüberschreitend tätig werden will, völlig unproblematisch aufzubringen sein, gleich ob es sich um ein deutsches, ein französisches oder ein bulgarisches Unternehmen handelt. Unternehmen mit geringerem Kapital dürften kaum den erforderlichen grenzüberschreitenden Bezug haben.
6. Insolvenzrecht
Keine Regelungen enthält das Statut zur Frage des anwendbaren Insolvenzrechts. Ohne insoweit ins Detail gehen zu wollen, erscheint eine Anknüpfung an den mit dem Satzungssitz übereinstimmenden Verwaltungssitz der Gesellschaft erforderlich. Anderenfalls droht ein gemeinschaftsweites „forum shopping“ im Insolvenzrecht, das schlussendlich auf dem Rücken von Arbeitnehmern und Gläubigern ausgetragen werden wird.
V. Mitbestimmung
Defizite weist der VO-Entwurf auch auf, soweit es die Arbeitnehmermitbestimmung anbelangt. Erneut verzichtet der VO-Entwurf auf eine Berücksichtigung wesentlicher Errungenschaften vieler Rechtsordnungen der Gemeinschaft.
Der VO-Entwurf eröffnet die Möglichkeit, Satzungssitz und Verwaltungssitz zu trennen, Art. 7 Abs. 2 VO-Entwurf. Zugleich verweist Art. 34 Abs. 1 VO-Entwurf für das Recht der Mitbestimmung aber auf das Sitzland.
Aus hiesiger Perspektive eröffnet diese Kombination verführerische Möglichkeiten für eine Flucht aus der Mitbestimmung.
Wählt eine in Deutschland gegründete und ausschließlich von Deutschland aus operierende SPE als Satzungssitz etwa London, so unterliegt das Unternehmen keinerlei Regelungen mehr über Mitbestimmung, schlicht weil in England das Recht der Mitbestimmung unbekannt ist.
Anders als bei Scheinauslandsgesellschaften, wie etwa der ausschließlich in Deutschland operierenden Ltd., ist dann eine Erstreckung des deutschen Rechts auf die SPE wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts ausgeschlossen.
Es droht mit der SPE daher der massive Verlust von Arbeitnehmerrechten und auch in dieser Frage ein gemeinschaftsweites „race to the bottom“. Anders als bei der SE, die lediglich zu einer „Versteinerung“ der Mitbestimmung führt, droht bei der SPE die vollständige Abschaffung jedweder Mitbestimmung. Dies sollte die deutsche Bundesregierung aber nicht zulassen.
Zusätzliche Brisanz gewinnt diese Frage auch durch die Äußerungen der Kommission in ihrer „Mitteilung über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld“[42] dahingehend, künftig eine Aufspaltung von Satzungssitz und Verwaltungssitz auch bei der SE zulassen zu wollen. Auch insoweit droht das Ende der Mitbestimmung.
Unklar ist dabei auch noch, was bei Verschmelzungen gilt. Art. 34 Abs. 3 VO-Entwurf verweist für die Verschmelzung zweier SPE oder einer SPE mit einer nationalen Gesellschaftsform auf die Verschmelzungsrichtline[43], offen bleibt aber, was bei Verschmelzung zweier nationaler Gesellschaften zu einer SPE gilt. Gilt hier Art. 34 Abs. 3 VO-Entwurf nicht, was der Wortlaut nahe legt, so wäre es für jedes deutsche Unternehmen ein leichtes, sich der Mitbestimmung vollständig durch Verschmelzung mit einer geeigneten ausländischen Kapitalgesellschaft[44] zu einer SPE zu entziehen. Auch das legt nahe, einen stärkeren grenzüberschreitenden Bezug bei der Gründung der SPE zu verlangen.
Die Bundesregierung sollte sich daher für einen Gleichlauf von Verwaltungssitz und Satzungssitz aussprechen, da alleine diese Maßnahme Missbräuche wie oben aufgeführt zu verhindern vermag. Gleichzeitig werden auch die Gefahren eines „forum shoppings“ im Insolvenzrecht (s.o.) vermieden. Alternativ erscheint möglich, die Mitbestimmung kumulativ anzuknüpfen.
F. Alternativvorschlag
Wir fügen diesem Schreiben noch den Entwurf eines SPE-Statuts bei, der unserer Überzeugung nach die vorstehend geschilderten Probleme vermeidet. Wir würden uns wünschen, dass die Bundesregierung diesen Vorschlag in ihre Überlegungen mit aufnimmt.
Sollte sich die Situation ergeben, dass die Bundesregierung zum VO-Entwurf entsprechend unseren Kritikpunkten Änderungen fordern möchte, so stehen wir allerdings auch gerne bereit, entsprechende Formulierungsvorschläge anzubringen. Auch im europäischen Gesellschaftsrecht wollen wir unseren Beitrag zu Transparenz und Rechtssicherheit wie bisher leisten.
Anlagen
– Screenshots Companies House –
– Entwurf eines SPE-Statuts –
[1] KOM (2008) 396 endg.; nachfolgend als „VO-Entwurf“ bezeichnet.
[2] Art. 2 der Verordnung (EG) 2157/2001.
[3] Wie etwa der Zweigniederlassungsrichtlinie: Richtlinie 89/666/EWG.
[4] Etwa in den Rechtsachen Überseering (C-208/00), Inspire Art (C-167/01) und für Wegzugsfälle nun wohl auch Cartesio (C-210/06).
[5] Abrufbar unter www.vdma.org. Dort kann die Studie auf Anfrage bezogen werden.
[6] Die von der Studie genannten Beratungskosten für Satzungsentwurf etc. entfallen bei Beauftragung eines Notars; sie sind in den Beurkundungskosten bereits enthalten. Hingegen werden die Kosten z.B. für arbeitsrechtliche Beratung auch bei Verwendung einer SPE in unverminderter Höhe anfallen.
[7] Dieser Aspekt kommt in der genannten Studie des VDMA zu kurz.
[8] Gleiches gilt für die fehlende Umsetzung der Gesamtrechtsnachfolge bei Verschmelzung und Spaltung durch das Vereinigte Königreich (Art. 19 RL 78/855/EWG, Art. 17 RL 82/891/EWG, Art. 14 RL 2005/56/EG.
[9] So ausdrücklich der sechste Erwägungsgrund zur Richtlinie 2003/58/EG zur Änderung der Publizitätsrichtlinie.
[10] Entwurf der Bundesregierung vom 05. Mai 2008, BT Drucksache 16/9038.
[11] http://www.companieshouse.gov.uk/index.shtml Das Companies House sieht sich gleich auf der Startseite zu Warnhinweisen an alle Gesellschaften genötigt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bekämpfung von „identity fraud“ wirken dabei hilflos. Ein effektives Konzept zur Bekämpfung von „identity fraud“ hat England bislang nicht entwickelt. Wir erlauben uns dieser Stellungnahme entsprechende Screenshots als Anlage 1 beizufügen.
[12] Hierzu auch Clausnitzer, DNotZ 2008, 484, 486 unter Hinweis auf den Daily Telegraph vom
4.2.2008 (Schadenssumme in einem Einzelfall von mehreren Hunderttausend Pfund).
[13] Siehe Begründung des VO-Entwurfs sub 5. a.E.
[14] Silja Maul/Victoria Röhricht, BB 2008, 1574, 1579.
[15] GmbHR 2007, 953 ff.
[16] Zu deren Messung Bayer/Hoffmann/Schmidt, GmbHR 2007, 953, 957.
[17] Der Anteil von Gesellschafter-Geschäftsführer-GmbH liegt aber unter 50 % der Gründungen, vgl. Bayer/Hoffmann/Schmidt, GmbHR 2007, 953, 955. Bei SPE wird er wegen der Dominanz von Fremdgeschäftsführung noch deutlich niedriger liegen.
[18] Man sollte meinen, dass zumindest der Sachverständigenausschuss der Europäischen Kommission zur Corporate Governance und zum Gesellschaftsrecht hierzu in der Lage wäre, da man andernfalls die Frage nach der Berechtigung dieses Gremiums aufwerfen müsste. Ausweislich der Begründung „arbeitet“ diese Gruppe an Beispielen für die Bestimmungen der Satzung. In der Praxis kann aber niemand Monate auf seine Satzung warten.
[19] Hierzu exemplarisch Scott J. Burnham, Drafting Contracts, 2. Aufl. 1993, S. 217 ff. (chapter 15). Auch das detailreiche britische Gesellschaftsrecht basiert auf der dort geltenden Zivilrechtsordnung, insbesondere dem Recht der agency und dem Deliktsrecht.
[20] Ausführlich zu dieser Entscheidung Landfermann/Richard, BB 2008, 1610-1614. Aus der breiten Diskussion Kübler in Hopt/Wymeersch, Capital Markets and Company Law, 2003, S. 95-114 und Hertig/Kanda in Kraakman/Davies/Hansmann, The Anatomy of Corporate Law, 2004, S. 71-99.
[21] Siehe hierzu statt aller Gower/Davies, Principles of Modern Company Law, 2003, chapter 11-
13.
[22] Hierzu KPMG, Feasibility Study on Capital Maintenance – Main Report, 2008 S. 118. (Erhältlich unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/capital/intex_en.htm. nachfolgend „KPMG-Studie“.
[23] KPMG-Studie, S. 134 – 141 (UK), 174-180 (Delaware), 193-198 (Kalifornien), 228-233 (Australien). Zu Gewinnverwendung siehe weiter unten.
[24] KPMG-Studie, S. 123 einerseits bzw. Appendix I, S. 332 andererseits.
[25] Maul/Röhricht, BB 2008, 1574, 1576.
[26] KPMG-Studie, S. 142 (UK), 182 (Delaware), 199-200 (Kalifornien), 215-216 (Kanada), 234-235 (Australien).
[27] Leitentscheidung etwa Hedley Byrne & Co. Ltd. v. Heller & Partners Ltd. [1964] AC 465 (HL). Hierzu allgemein Gower/Davies, aaO, S. 286-287.
[28] Hierzu Maul/Röhricht, aaO, S. 1577.
[29] KPMG-Studie, S. 126-134 (UK), 167-174 (Delaware), 187-193 (Kalifornien), 222-228 (Australien).
[30] KPMG-Studie, S. 129 (UK), 173, 174 (Delaware), 190 (Kalifornien), 224 (Australien). Letztlich droht eine quasi deliktische Haftung der Organe auch den Gläubigern gegenüber.
[31] KPMG-Studie, S. 118, 141 ff. (UK), 180-182 (Delaware), 198-200 (Kalifornien), 214-216 (Kanada), 233-234 (Australien).
[32] Besonders deutlich KPMG-Studie, S. 214 und 233.
[33] Diese Aspekte lässt die KPMG-Studie unberücksichtigt, ebenso wie eine vertiefte Behandlung des law of tort.
[34] Zu den Kosten siehe KPMG-Studie S. 125, 137, 140, 141 (UK), 173, 177, 179, 181 (Delaware), 192, 196, 199 (Kalifornien), 210, 212, 213, 215 (Kanada) und 227, 229, 231, 234 (Australien) mit teilweise sehr lückenhaftem Datenmaterial und auffälligen Abweichungen der Zahlen trotz ähnlicher Systeme.
[35] KPMG-Studie, S. 1-5.
[36] Die Kostenaufstellungen belegen, dass die Behauptung von Landfermann/Richard, BB 2008, 1610, 1614, der Solvenztest sei einfach durchzuführen, empirisch eher falsifiziert ist.
[37] KPMG-Studie, S. 49 (Frankreich), S. 75 (Deutschland),
[38] KPMG-Studie, S. 48 (Frankreich), 74-75 (Deutschland).
[39] KPMG-Studie, S. 36-42, 62-67 (Deutschland): „…the risk of liability for the company’s management to be low. The reason for this is mainly the very clear cut legal provisions on profit distributions which, due to their simplicity, provide a high level of legal certainty.” (aaO, S. 67 – nahezu wortgleich für Frankreich aaO, S. 41).
[40] Statistik bei Vossius, notar 2004, 107, 112.
[41] Zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie – Kapitalrichtlinie.
[42] Vom 10. Juli 2007, KOM (2007) 394.
[43] Richtlinie 2005/56/EG.
[44] Diese kann natürlich ausschließlich für den Zweck der Verschmelzung gegründet / erworben werden.