Grünbuch der EU-Kommission zur Abschlussprüfung

Stellungnahme vom 19.11.2010

Und sie laufen! Naß und nässer
Wird’s im Saal und auf den Stufen,
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! Hör mich rufen! –

(J.W. v. Goethe, Der Zauberlehrling, 1797)

 

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Abschlussprüfer erfüllt eine Aufgabe, die funktionell der vorsorgenden Rechtspflege durchaus vergleichbar ist. Allein das Erfordernis einer Prüfung wirkt präventiv.[1] Auch der Notar ist im Gesellschaftsrecht auf einen funktionierenden Prüferberuf angewiesen, etwa bei Werthaltigkeitsprüfungen im Rahmen von Kapitalmaßnahmen.

 

Nach einer Darstellung der Lage der Abschlussprüfung aus unserer Sicht (unten I.) und ihrer ökonomischen Beurteilung (unten II) bewerten wir die Vorschläge des Grünbuchs und dürfen ein paar Anregungen aus unserer Sicht geben (unten III).

 

I.       Lage

 

1.      Bilanzrecht

Nach § 24 des Preußischen Aktiengesetzes von 1843 war die innerhalb von drei Monaten aufzustellende Bilanz einer Aktiengesellschaft der Regierung des Gesellschaftssitzes mitzuteilen. Seit der Wirtschaftskrise 1929 ist diese vom Staat wahrgenommene Aufgabe (vergleichbar der heutigen Banken- oder Kapitalmarktaufsicht) auf den neuen Berufsstand des Abschlussprüfers übergegangen. Dieser sollte das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtmäßigkeit der Rechnungslegung sichern.

Grundlage der Rechnungslegung selbst waren Rechtsnormen, die den Bestandserhalt des Unternehmens selbst als oberstes Ziel hatten. Nicht der „Investor“ stand im Zentrum des klassischen Bilanzrechts Deutschlands, sondern die langfristige Sicherung der „Handlung“, also des Unternehmens selbst.[2]

Die Zeiten haben sich geändert. Die Macht der angelsächsischen Finanzindustrie reicht weit in die Politik hinein. Seit Jahrzehnten bestimmt sie das angelsächsische und damit auch das europäische Bilanzrecht. Dessen Grundprinzip einer am Kapitalmarkt orientierten Betrachtung ist letztlich an den Bedürfnissen des investment banking und dessen Interesse an kurzfristigen Erfolgszahlen (als Bemessungsgrundlage von boni etc.) ausgerichtet. Boni steigen, wenn der Börsenumsatz steigt. Dieser steigt, wenn die Anleger häufiger kaufen und verkaufen. Das tun sie, wenn eine kurzfristige Anlagestrategie erfolgversprechender erscheint und das tut sie, wenn die Rechnungslegung kurzfristige Gewinne sofort zeigt und langfristige Risiken ausblendet.

 

Die geschickte Vermeidung der Konsolidierung von Zweckgesellschaften oder die Regeln des US-GAAP zur Bilanzierung von Aktienoptionen sind nur prominente Beispiele für eine einseitig an Gruppeninteressen ausgerichtete Normsetzung (siehe hierzu Stellungnahme des Deutschen Notarvereins zum Entwurf des BilMoG vom 04.01.2008, erhältlich unter www.dnotv.de —> Dokumente —> Stellungnahmen —> 2008).

 

Weitere Folge ist die hohe Komplexität der internationalen Rechnungslegungsstandards, die sich unter dem Gezerre der Interessengruppen ähnlich in Regel, Ausnahme, Unterausnahme, Unter-Unterausnahme ausdifferenzieren, wie man es sonst nur im Steuerrecht findet. Folge hiervon ist auch die hohe Fehleranfälligkeit der internationalen Rechnungslegung (im Gegensatz zu der nach HGB). Das schlägt sich in den Verlautbarungen der Prüfstelle für Rechnungslegung nach § 342b HGB nieder.

Wesentliche Konsequenz der kapitalmarktorientierten Rechnungslegung ist der in die Zukunft gerichtete Ansatz. An die Stelle von Tatsachen treten Annahmen, die dann leicht mit Tatsachen verwechselt werden.

 

2.      Wirtschaftsprüfung

a)      Prüfungsmandate börsennotierter Gesellschaften

Die Prüfungsmandate börsennotierter Gesellschaften (sog. „319a-Mandate“, d. h. Mandate im Sinne des § 319a HGB) werden in Deutschland gehalten von

(1)    den Big Four (diese beherrschen faktisch das Segment des DAX 30);

(2)    etwa zehn mittelständischen Prüfungsgesellschaften, die je etwa 10-15 319a-Mandate halten;

(3)    weiteren 50-80 mittelständigen Prüfungsgesellschaften mit je einem 319a-Mandat.

Für 319a-Mandate ist ein besonderes und mit anderen Mandaten nicht vergleichbares Leistungsniveau vorzuhalten. Dies erhöht die Kosten pro Gesellschaft und favorisiert Anbieter mit besseren Skalierungsmöglichkeiten.

 

b)      Preiswettbewerb

Die Mandatsvergabe erfolgt heutzutage bis weit in den Bereich der KMU hinein durch Ausschreibungen. Mangels Kenntnis der Ausschreibenden von den Kriterien einer qualitativ hochwertigen Prüfungsleistung gibt bei diesen allein der Preis den Ausschlag. Die Ausschreibung des Prüfungsmandats der Deutsche Telekom AG ist nur ein prominentes Beispiel.

Durch Ausschreibung erzielte Kostensenkungen werden öffentlichkeitswirksam als Erfolg gefeiert. Welche Leistung damit aber „eingekauft“ worden ist, wird nicht diskutiert. Angebote im Rahmen solcher Ausschreibungen werden seitens der Bewerber typischerweise unter der Prämisse eines ordentlich organisierten zu prüfenden Unternehmens erstellt. Friktionen bei der Beschaffung der Unterlagen und ähnliche Erschwernisse werden dann durch längere – unbezahlte – Arbeitszeiten des Prüfers oder durch verstärkten Einsatz kostengünstigerer Prüfungsassistenten aufgefangen.

 

c)      Formalisierung der Prüfungstätigkeit

Die Prüfungstätigkeit selbst orientiert sich zunehmend an Checklisten und ist durch steigende Dokumentationsanforderungen gekennzeichnet. Der Blick fürs „große Ganze“ ist nicht gefragt. Die Prüfung eines Konzerns kann man aber nicht nach dem Vorbild der Überholung eines Passagierflugzeugs in der Werft der Deutschen Lufthansa gestalten. Z. B. spielen auch Interdependenzen zwischen Unternehmensstrategie, Bilanzpolitik und Unternehmensfinanzierung eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle.

 

3.      Kommunikationsdefizite

Trotz des neuen § 100 Abs. 5 AktG könnte die Kommunikation zwischen Prüfer und Aufsichtsorgan der zu prüfenden Gesellschaft besser sein. Oft steht fehlende Zeit einer intensiveren Befassung des Aufsichtsorgans mit dem „Frühwarnsystem“ der Abschlussprüfung der effizienten Nutzung dieses Instruments entgegen. Ein Grund hierfür könnte die fehlende Bereitschaft der Anteilsinhaberseite sein, Aufsichtsräte im Sinne angelsächsischer „non-executive-directors“ angemessen zu vergüten. Die umsatz- und ertragsteuerliche Diskriminierung der Aufsichtsratsvergütung tut ein Übriges.

 

4.      Erwartungslücke

In der Öffentlichkeit kommt eine Erwartungslücke bezüglich der Funktion des Abschlussprüfers hinzu. Nach dem Gesetz hat der Abschlussprüfer nur (i) die Ordnungsgemäßheit des Jahresabschlusses im Sinne des Bilanz- und Gesellschaftsrechts  (§ 317 Abs. 1 HGB) sowie (ii) die Plausibilität der Vorstellungen der Unternehmensführung von Lage, Chancen und Risiken zu untersuchen (§ 317 Abs. 2 HGB).

In der Öffentlichkeit werden „Ordnungsgemäßheit“ und „Plausibilität“ allzu oft mit einem „Gütesiegel für den wirtschaftlichen Erfolg“ verwechselt. Der Abschlussprüfer wird so zu einer Mischung von „Sozialingenieur“ und „Heilsbringer“. Auch das Grünbuch selbst ist von dieser eschatologischen Sichtweise nicht frei, wenn es etwa in „zukunftsorientierten Analysen“ eine Lösung sucht (S. 10). Durch das angelsächsische Bilanzrecht wird das Missverständnis noch größer. Der Abschlussprüfer wird so rasch zum haftungsrechtlichen Sündenbock.

 

II.      Lagebeurteilung

 

1.      Konzentration und Attraktivitätsverlust

Durch die Faktoren „Preiswettbewerb“, „Formalisierung“ und „Negativimage“ wird die Tätigkeit als Abschlussprüfer zunehmend wirtschaftlich wie fachlich unattraktiv.

 

a)      Konzentration

Die genannten Faktoren führen zu einer immer weitergehenden Konzentration innerhalb der Prüfungsgesellschaften. Die Anzahl der Berufsgesellschaften geht seit Jahren zurück. Weiter werden die 319a-Mandate, die derzeit noch im prüferischen Mittelstand bearbeitet werden (siehe oben I. 2. a)), großteils zu den Big-Four abwandern, da die Mittelständler sich die Vorhaltekosten nicht weiter leisten können.

Jedoch auch die Big Four müssen Skalen- und Quersubventionierungseffekte nutzen, um insgesamt wirtschaftlich arbeiten zu können.

Aus betriebswirtschaftlichen Gründen muss die Abschlussprüfung daher immer weiter standardisiert werden. Weltweit einheitliche Vorgaben für die Prüfungstätigkeit machen zum einen schon jetzt den Prüfer vor Ort letztlich zu einem reinen Exekutivorgan mit immer geringerem eigenen Entscheidungsspielraum. Die berufliche Unabhängigkeit leidet hierunter ebenso wie die Prüfungsqualität, da der Blick des Prüfers auf „kreative“ Gestaltungen jenseits der Legalität durch die Fixierung auf Schemata verstellt wird.

Die Abschlussprüfung ist im Verhältnis zur betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Beratung der Subventionsempfänger innerhalb der Berufsgesellschaft. Dies schlägt sich auch in den Vergütungen der Abschlussprüfer nieder. Im Beratungssektor wird mehr verdient. Damit hat die Abschlussprüfung als solche schon jetzt keine eigene betriebswirtschaftliche Daseinsberechtigung mehr. Sie dient auch bei den großen Gesellschaften letztlich nur als Vehikel zur Akquise von Beratungsmandaten.

 

b)      Nachwuchsprobleme

Bei den Berufsträgern selbst handelt es sich um hochqualifizierte Fachleute, die sich mit Erfolg einer der wohl schwierigsten Berufszugangsprüfungen Deutschlands unterzogen haben. Sie hätten es verdient, in einem rechtlichen wie organisatorischen Umfeld zu arbeiten, das ihnen eine bessere Entfaltung ihrer Fähigkeiten und eine leistungsgerechte Bezahlung ermöglicht.

Es verwundert daher nicht, wenn – wie man aus den Kreisen der Berufsträger hört – der Berufsstand im Bereich der Abschlussprüfung zunehmend Probleme hat, Nachwuchs zu gewinnen, die jenseits von  Sebastian Hakelmacher, der bekannten Satirefigur der Zeitschrift „Die Wirtschaftsprüfung“, denken und handeln können.

 

2.      Marktversagen

Die Entwicklung des Prüfermarkts ist ein klassisches Beispiel dafür, wie es neoliberalen Ideologen gelungen ist, ein Marktversagen mit erheblichem Schaden für das gemeine Wohl herbeizuführen. Unter dem Banner des freien Spiels der Kräfte hat man das Bilanzrecht zu einem Vertriebsinstrument für Finanzberater gemacht. Die Leistung des Abschlussprüfers wird, ähnlich wie die eines Parkwächters, als austauschbare Ware gesehen. Die Abschlussprüfung ist immer mehr ihres Gemeinwohlbezugs entkleidet.

Die Vertreter der reinen Markttheorie haben hierbei zwei Dinge verkannt: Zum einen ist der Abschlussprüfer nicht Teil des Marktes, sondern Teil der Marktaufsicht. Zum anderen handelt es sich bei der Abschlussprüfung um eine Leistung, deren Qualität sich nur Fachleuten erschließt. Auf dem „Markt“ für Prüfungsleistungen herrscht ein strukturell hohes Informationsgefälle zwischen Anbietern und Nachfragern.

Die Folge ist die Herausbildung eines Prüfungsoligopols mit der Tendenz, unter Kostendruck das Niveau zu senken. Im Sinne der Institutionenökonomie liegt hier nachgerade ein Lehrbuchfall für ein Versagen der neoliberalen Theorie vor.

 

III.     Was tun?[3]

Versagt der Markt, so ist es Aufgabe des Staates, wichtige Gemeinschaftsgüter wie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtmäßigkeit der Rechnungslegung zu schützen. Offenbar hat auch die EU-Kommission die Notwendigkeit einer „intelligenten Regulierung und effizienten Überwachung“ erkannt (so das Editorial von EU-Kommissar Michel Barnier in: Wpg 2010, Heft 21 vom 01.11.2010, S. 1).

 

1.      Präventionsmodell

Nach den bisherigen Ausführungen liegen drei Lösungsansätze nahe:

Zum einen sollte das Recht der Rechnungslegung (wieder) darauf ausgerichtet sein, der Öffentlichkeit ein zutreffendes Bild des Unternehmens zu vermitteln.[4] Der Abschlussprüfer kann nicht besser sein als das Recht der Rechnungslegung selbst. Es ist nicht Aufgabe der Abschlussprüfung, das zu adeln, was nach den Wunschvorstellungen eines tantiemetrunkenen Managements in der rosigen Zukunft einmal sein soll. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, hat Bundeskanzler Helmut Schmidt 1980 einmal gesagt.

Zum anderen muss die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers massiv gestärkt werden. Dafür gibt es nur einen Weg: die Übernahme von Prüfungsmandaten muss ohne cross-selling mit dem Beratungsgeschäft wirtschaftlich attraktiv sein. Ein probates Mittel zur Herstellung solcher Bedingungen kann auch eine gesetzlich vorgegebene Gebührenordnung sein.[5]

Beide Vorschläge sind eher auf Vorbeugung denn auf Folgenbeseitigung ausgerichtet und lassen sich als „präventiver Regulierungsansatz“ bezeichnen.

Zum dritten sollte die Berufsaufsicht über Wirtschaftsprüfer überdacht werden. Statt sich im Kleinkrieg der Auslegungsfragen der Rechnungslegung nach IFRS zu verstricken (so der Eindruck eines Außenstehenden von den WPK-Inspections), wäre z. B. das Hauptaugenmerk auf die institutionelle Sicherung der beruflichen Unabhängigkeit zu richten. Vielleicht wäre es sinnvoller, z. B. die berufsrechtliche Zulässigkeit zentraler Vorgaben aus London für einen Abschlussprüfer bei einem deutschen Mittelständler zu hinterfragen. In Deutschland sollten daher die Verfahren nach §§ 57a ff., 62b WiPrO evaluiert werden.

 

2.      Repressionsmodell

Blickt man auf die Lösungsansätze des Grünbuchs, so fällt auf, dass man die negativen Folgen neoliberaler Deregulierungseuphorie mit sehr dirigistisch anmutenden Regulierungsansätzen einzudämmen versucht.

Erwogen werden etwa Haftungsverschärfungen (S. 8), Zeugnisnotenzwang in Testaten (S. 9), Zwang zur zukunftsorientierten Analyse in der Abschlussprüfung (S. 10), Schaffung einer europaweiten staatlichen Bilanzaufsicht (S. 13), Zwang zum Prüferwechsel (S. 14 ,18 f.), Verbot von Beratungsleistungen (S. 13 f.), Verbot eines Mandats mit zu hohem Umsatzanteil (S. 14), Veröffentlichung des Abschlusses der Prüfungsgesellschaft selbst (S. 14), Aufnahme von Fremdkapital bei Prüfungsgesellschaften (S. 15), Aufnahme von Nichtprüfern in die Organe von Prüfungsgesellschaften (S. 14. f.), Einbeziehung des Konzernabschlussprüfers in die Einzelabschlussprüfung (S. 15 ), joint audits (S. 18) bis hin zum Verbot von „Big-Four-Klauseln“ in Verträgen (S. 19) oder einem Notfallplan für „systemrelevante“ Prüfungsgesellschaften, also die Schaffung von verschiedenen Klassen des Abschlussprüfers (S. 19).

Prämissen dieser Regelungsansätze sind der offenbar immer noch vorhandene Glaube (i) an die prophetischen Gaben des Abschlussprüfers, (ii) an die Wirksamkeit von Sanktionen, um intelligente Menschen dazu zu bringen, ohne adäquate Gegenleistung geistig anspruchsvolle Arbeit zu verrichten, und (iii) an die Möglichkeit normativ erzwungener beruflicher Unabhängigkeit.

Wenn der Buchhalter seinen WP, der bei der Prüfung etwas beanstandet, natürlicherweise fragt, wie man es denn richtig macht: soll der WP diesen denn an den Steuerberater verweisen? Damit würde die Abschlussprüfung zur reinen Betriebsprüfung werden.[6] Das aber ist  lebensfremd.

Im Sinne einer „Entbürokratisierung“ will man zudem KMU weiter von den Rechnungslegungsvorschriften entlasten (S. 22 f.). Damit sind diese zum einen den internen Vorgaben ihrer Banken ausgeliefert, ohne sich auf einen demokratisch legitimierten Standard berufen zu können. Kosten werden dadurch nicht gespart. Die Anforderungen der Rechnungslegung für Besteuerungszwecke bleiben überdies. Zudem hat diese Idee mit den zu lösenden Problemen der Abschlussprüfung nichts zu tun. In Konsequenz dieser Überlegungen läge letztlich die Abschaffung eines rechtlich regulierten Rechnungswesens und damit auch einer gleichmäßigen Unternehmensbesteuerung. Soll es das sein?

Der Ansatz, Unabhängigkeit durch Verbote erreichen zu wollen, ist untauglich. Man kann niemanden durch Strafen zur Erbringung einer hochwertigen Leistung zwingen.

Die Überlegungen, den Vertragsparteien zu verbieten, sich auf einen bestimmten Abschlussprüfer zu einigen, zeigen das zugrundeliegende Freiheitsverständnis ebenfalls deutlich.

Gleiches gilt für Überlegungen, die Rechtsordnung auf die Big-Four nicht in gleicher Weise anzuwenden – getarnt hinter dem Unwort „systemrelevant“. Ob große Prüfungsgesellschaften wegen der globalen Aktivität ihrer Mandanten erforderlich sind oder ob mittelständische Netzwerke dies ebenso gut leisten können, können wir nicht beantworten. Jedenfalls hat der Zusammenbruch von Arthur Andersen vor einigen Jahren keine Auswirkungen gehabt, die auch nur annähernd dem Fall „Lehman Brothers“ vergleichbar wäre. Die Teams von Arthur Andersen sind jeweils geschlossen und großenteils mit ihren Mandaten im Markt „untergekommen“. Im Gegensatz zu einer Bank besteht das wesentliche „asset“ einer Prüfungsgesellschaft im Humankapital. Dieses ist aber auch nach einem Zusammenbruch noch vorhanden. Insoweit erscheint die Übertragung der Kategorie „systemrelevant“ auf Prüfungsgesellschaften nicht zwingend.

Die Forderung nach einer europäischen Super-Aufsichtsbehörde für Abschlussprüfer gibt Anlass zur Vermutung, dass es hier letztlich in erster Linie Macht, Posten und Positionen geht und nicht primär um die Sache (bezeichnend Michel Barnier, a. a. O.). Wer soll diese Behörde denn bezahlen?

Der Vorschlag, die Aufnahme von Fremdkapitalgebern in eine Prüfungsgesellschaft aufzunehmen, überrascht. Welcher Fremdkapitalgeber finanziert wohl ein unrentables Unternehmen wie eine Prüfungsgesellschaft ohne Beratungskomponente? Wo bleibt die Unabhängigkeit, wenn sich Dritte wie etwa Banken oder Rating-Agenturen an Prüfungsgesellschaften beteiligen?

Bereits in zahlreichen Ländern nicht bewährt haben sich die vorgeschlagenen Gruppenprüfungen, die Rotation und joint audits[7]. Die Wirtschaft wird kaum bereit sein, für so etwas ohne einen für sie greifbaren Mehrwert mehr zu bezahlen. Wie will man verhindern, dass, wie etwa in Frankreich, beim joint audit der „kleine“ Wirtschaftsprüfer seinem „großen Bruder“ von den Big-Four bei der Prüfung gerade einmal über die Schulter sehen darf und als Vergütung die Brotsamen aufsammelt, die vom Tisch des Reichen fallen?[8]

Ideologisch ist das Grünbuch eine interessante Mischung von einem unerschütterlichen Glauben an das neoliberale Marktmodell, kombiniert mit rigidem Staatsdirigismus, der fast schon an planwirtschaftliche[9] Ansätze erinnert.[10] Der selbst gestellte Anspruch einer „intelligenten Regulierung“[11] ist damit nicht eingelöst. Die Geister, die man rief, wird man so nicht bannen.

[1]           So instruktiv Kämpfer/Kayser/Schmidt, DB 2010, 2457, 2461.
[2]           Siehe etwa Art. 28 – 40 ADHGB.
[3]           Nach einem Essay von Vladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, Stuttgart 1902.
[4]           So auch Kämpfer/Kayser/Schmidt, DB 2010, 2457 f.
[5]           In diese Richtung auch Kämpfer/Kayser/Schmidt, DB 2010, 2457, 2459 linke Spalte, die von einem „Kriterienkatalog“ sprechen.
[6]           So zu Recht Kämpfer/Kayser/Schmidt, DB 2010, 2457, 2459 rechte Spalte unten.
[7]           Siehe Kämpfer/Kayser/Schmidt, DB 2010, 2457, 2459, 2462 rechte Spalte f.,
[8]           Vgl. Markus 7, 28 und Lukas 16, 21.
[9]           Daher die Überschrift dieses Abschnitts.
[10]          Geistesgeschichtlich drängt sich auch die Parallele zum Merkantilismus des frz. Ministers Jean-Baptiste Colbert (1619-1683) auf.
[11]          Barnier, a. a. O.

 

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