Stellungnahme vom 11.01.2021
Das Bundeskabinett hat am 18.11.2020 den Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts beschlossen (BT-Drucks. 19/24445). Der Deutsche Notarverein hatte zum Referentenentwurf Stellung genommen,[1] einige Anmerkungen aus der Stellungnahme wurden erfreulicherweise berücksichtigt. Nicht berücksichtigt wurden indes folgende Punkte, die aus unserer Sicht weiterhin kritikwürdig sind:
- Das angedachte Ehegattenvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten (§ 1358 BGB-E) wird von uns weiterhin im Grundsatz kritisch bewertet. Will der Gesetzgeber rechtspolitisch gleichwohl am „Ob“ der Regelung festhalten, bedarf es aus unserer Sicht jedenfalls einer Konkretisierung des normativen Anwendungsbereichs und einen funktionierenden Schutz des Vertretenen durch eine verpflichtende Einsicht in das Zentrale Vorsorgeregister seitens der behandelnden Ärzte (Ziff. A.).
- Der Umfang der Genehmigungspflicht für handels- und gesellschaftsrechtliche Rechtsgeschäfte (§ 1852 BGB-E) umfasst in zu weitgehender Weise selbst Kleinstbeteiligungen an Kapitalgesellschaften, und zwar selbst bei Annahme eines lediglich rechtlichen Vorteils (Ziff. B).
A. Einführung eines Ehegattenvertretungsrechts (§ 1358 BGB-E)
I. Beschränkung auf Fälle der Bewusstlosigkeit oder einer akuten Krankheit (§ 1358 Abs. 1 BGB-E)
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird zu Recht auf die „Akutversorgung“ bei Bewusstlosigkeit oder im Anschluss an eine akute schwere Erkrankung abgestellt und unterstrichen, „dass es sich bei dem Ehegattenvertretungsrecht nur um eine Notvertretung handelt“ (S. 177 f.). Zur Rechtsklarheit sollte dies auch im Gesetzestext entsprechend Niederschlag finden, etwa durch eine normative Fassung des Anwendungsbereichs in § 1358 Abs. 1 BGB-E auf die Fälle
„von Bewusstlosigkeit oder einer akuten Krankheit“
(Hervorhebung nur zur Klarstellung).
II. Defizitärer Schutz des zu vertretenden Ehegatten
1. Elektronische Einsicht des behandelnden Arztes in das ZVR (§ 1358 Abs. 3 Nr. 2 lit. a BGB-E)
Richtig ist, dass zur Gewährleistung des Schutzes des Selbstbestimmungsrechts von Ehegatten der Entwurf in Artikel 5 die Möglichkeit vorsieht, in das Zentrale Vorsorgeregister (ZVR) künftig auch einen Widerspruch gegen eine Vertretung durch den Ehegatten im Sinne von § 1358 Abs. 3 Nr. 2 a) BGB-E eintragen zu lassen.
Der Betroffene muss sich jedoch gerade in Anbetracht der in Rede stehenden höchstrangigen Rechtsgüter darauf verlassen können, dass sein im ZVR registrierter Widerspruch im Notfall auch wirklich berücksichtig wird. Die bloße Möglichkeit des behandelnden Arztes zur kurzfristigen Einsichtnahme in das ZVR nach der Konzeption des Regierungsentwurfes reicht dazu offensichtlich nicht aus. Aus unserer Sicht wäre vielmehr eine gesetzliche Pflicht zur entsprechenden Abfrage innerhalb einer bestimmten Frist bzw. vor Ausstellung der schriftlichen Bestätigung nach § 1358 Abs. 4 Nr. 1 BGB-E sachgerecht.
Insbesondere die im Falle einer Akut- bzw. Notversorgung im Regelfall aufgesuchten Krankenhäuser sollten mit ihren bestehenden Verwaltungsstrukturen dazu auch unproblematisch in der Lage sein. Dies würde nicht nur der Gewährleistung des Schutzes des Selbstbestimmungsrechts des zu vertretenden Ehegatten dienen, sondern auch der Absicherung der behandelnden Ärzte.
Nach dem derzeitigen Wortlaut des Gesetzentwurfes wären alle Ärzte vom Einsichtsrecht tatbestandlich umfasst; also neben Krankenhausärzten auch niedergelassene Ärzte, Zahnärzte oder z.B. Radiologen. Aus Sicht der Praxis erscheint es jedoch ausreichend und aus Datenschutzgründen empfehlenswert, das Einsichtsrecht und ggf. auch die Einsichtspflicht in das ZVR auf Krankenhausärzte zu beschränken. Nur diese sind im Regelfall im Rahmen der Akut- bzw. Notversorgung tätig.
Die Schaffung eines Einsichtsrechts für Krankenhausärzte in das ZVR macht im Übrigen aus unserer Sicht auch völlig unabhängig davon Sinn, ob sich der Gesetzgeber für die Einführung eines Ehegattenvertretungsrechts in Gesundheitsangelegenheiten entscheidet. Auch ohne Bedürfnis für einen Widerspruch gegen das Ehegattenvertretungsrecht erscheint es zur möglichst umfassenden Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Bürger sinnvoll und wohl auch überfällig, dass sich der behandelnde Arzt durch einen schnellen Blick in das ZVR selbst über das Vorhandensein von Vorsorgeurkunden versichern kann, ohne einen „Umweg“ über ein Betreuungsgericht gehen zu müssen.
Die Bundesärztekammer und die Bundesnotarkammer stehen aktuell in einem intensiven Austausch darüber, wie das Einsichtsrecht für (Krankenhaus-)Ärzte technisch so ausgestaltet werden könnte, dass der Ärzteschaft ein einerseits maximal sicheres, andererseits aber auch möglichst leicht handhabbares System zur Verfügung steht. Diese Entwicklungen werden von uns begrüßt.
2. Schutzdefizit bei Vorliegen von Zweifeln (§ 1358 Abs. 3 Nr. 2 BGB-E)
Problematisch erachten wir weiterhin, dass der Arzt die Vertretung durch den Ehegatten nur dann ablehnen darf, wenn er positive Kenntnis von einem gesetzlichen Ausschlussgrund hat. Hat er nur Zweifel, dann muss er das Handeln des vertretenden Ehegatten anerkennen und dessen Weisungen befolgen. Es sind insoweit Fälle denkbar, in denen das gesetzliche Vertretungsrecht besteht, obwohl dieses schädlich wäre.
Beispiel: Ehegatten leben nicht getrennt. Ein Ehegatte verletzt den anderen Ehegatten bei häuslichem Konflikt absichtlich oder fahrlässig schwer.
Nun muss der Arzt das Handeln des vertretenden Ehegatten anerkennen und dessen Weisungen befolgen. Eine Einschränkung sieht das Gesetz nicht vor, obwohl ein Gericht hier den Täter wohl nicht zum Betreuer bestellen würde, wenn der Arzt dem Gericht mitteilt, dass ein Fall häuslicher Gewalt vorgelegen haben könnte.
B. Genehmigung für handels- und gesellschaftsrechtliche Rechtsgeschäfte (§§ 1643, 1852 BGB-E)
I. Umfang und Reichweite
Die Genehmigungspflicht für handels- und gesellschaftliche Rechtsgeschäfte hat zwar bislang wenig praktische Bedeutung im eigentlichen Betreuungsrecht, aber wirtschaftlich größere Bedeutung über die Verweisung im elterlichen Sorgerecht. In zunehmender Zahl wünschen Eltern, ihre minderjährigen Kinder an Vermögenswerten durch Beteiligungen an entsprechenden Gesellschaften – sei dies in Form kleinerer Beteiligungen an gewerblich tätigen Unternehmen oder an vermögensverwaltenden Gesellschaften („Family-Pools“) – zu beteiligen.
Es ist zu begrüßen, dass in der Kabinettsfassung der Genehmigungsvorbehalt sinnvoll weiter konkretisiert wurde und nunmehr auch Anteile an rein vermögensverwaltenden Personen- oder Kapitalgesellschaften nicht vom Genehmigungsvorbehalt umfasst sind. Ferner begrüßen wir die nunmehr neu aufgenommene Konkretisierung in der Begründung zu § 1852 BGB-E (S. 286 der Kabinettsfassung), dass der Erwerb von Aktien nicht als handels- oder gesellschaftsrechtliches Geschäft, sondern als Erwerb von Wertpapieren (§ 1849 BGB-E) angesehen wird.
Gleichwohl geht die pauschale Fassung des § 1852 Nr. 1 BGB-E weiterhin zu weit und würde in ihrer gesetzgeberischen Konzeption erhebliche zusätzliche Hemmnisse für innerfamiliäre Nachfolgeplanungen begründen.
II. Notwendigkeit einer gesetzlichen Einschränkung
Die bisherige vielfältige Rechtsprechung zur Frage der Genehmigungsbedürftigkeit gesetzgeberisch nachzubilden, erscheint uns als zu schwerfällig und würde zugleich die Gefahr in sich bergen, der Vielfalt der gesellschaftsvertraglichen Regelungsmöglichkeiten nicht hinreichend gerecht zu werden. Hinzu kommt, dass auch die geltende Rechtslage in diesem Zusammenhang teils zu seltsamen Ergebnissen führen kann. Im Falle eines lediglich rechtlich vorteilhaften Geschäfts können etwa die Eltern ohne Beteiligung eines Ergänzungspflegers für ihr Kind handeln, benötigen aber zum Teil eine familiengerichtliche Genehmigung. Der beschränkt geschäftsfähige Minderjährige kann aufgrund des lediglich rechtlichen Vorteils den gleichen Vertrag aber auch selbst abschließen, ohne dass dafür aber eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich wäre.[2] Auch im Fall der Veräußerung eines Grundstücks durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der ein Minderjährige beteiligt ist, können sich de lege lata Wertungswidersprüche ergeben.[3]
Im Zentrum einer Kodifizierung sollte daher vielmehr der ursprüngliche gesetzestechnische Zweck des Genehmigungsvorbehaltes stehen, mit dem der Betreute/Minderjährige bei Erwerb eines Erwerbsgeschäfts/Beteiligung vor umfassenden Haftungen geschützt werden soll.[4] §§ 1643, 1850 ff. BGB-E sollen den Minderjährigenschutz ergänzen, aber keine zusätzlichen Hürden schaffen, wenn Minderjährige selbst wirksam handeln könnten:
- Hier könnte z. B. in § 1643 BGB-E (alternativ zumindest speziell in § 1852 BGB-E) ausdrücklich aufgenommen werden, dass das Genehmigungserfordernis nicht besteht, wenn das Rechtsgeschäft lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Das würde insbesondere auch sicherstellen, dass nicht jede Schenkung von Gesellschaftsanteilen, selbst wenn im Einzelfall keine Haftungsrisiken bestehen, die Genehmigungsbedürftigkeit auslöst.
- Da sich die vorgesehene Regelung jedoch auf den Erwerb und die Veräußerung von Anteilen erstreckt, die Veräußerung aber wohl nie „lediglich rechtlich vorteilhaft“ ist, müssten zusätzlich zumindest der Erwerb und die Veräußerung kleinerer Beteiligungen an Kapitalgesellschaften vom Anwendungsbereich ausgenommen sein. .
Die §§ 1843, 1852 BGB-E könnten unter Berücksichtigung der vorstehenden Anregungen wie folgt gefasst werden (Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf sind kenntlich gemacht:):
„§ 1643 Genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäfte
(1) Die Eltern bedürfen der Genehmigung des Familiengerichts in den Fällen, in denen ein Betreuer nach den §§ 1850 bis 1854 der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedarf, soweit sich nicht aus den Absätzen 2 bis 5 etwas anderes ergibt oder sofern mit dem Rechtsgeschäft der Betreute nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt.
(2) …“
„§ 1852 Genehmigung für handels- und gesellschaftsrechtliche Rechtsgeschäfte
Der Betreuer bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts
-
- zu einer Verfügung und zur Eingehung der Verpflichtung zu einer solchen Verfügung, durch die der Betreute
- a) ein Erwerbsgeschäft oder
- b) einen Anteil an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft, die ein Erwerbsgeschäft betreibt, sofern es sich nicht nur um eine nicht wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft handelt,
erwirbt oder veräußert,
-
- (…)“.
Fußnoten:
[1] Stellungnahme des Deutschen Notarvereins v. 10.8.2020, abrufbar unter: https://www.dnotv.de/stellungnahmen/gesetz-zur-reform-des-vormundschafts-und-betreuungsrechts/.
[2] Vgl. Bock, DNotZ 2020, 643, 649; Menzel, MittBayNot 2020, 272, 273.
[3] Vgl. Götz, in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 1821 Rn. 3 ff.
[4] Vgl. insoweit bereits 2. Diskussionsteilentwurf zur Reform des Vormundschaftsrechts des BMJV vom 18.6.2016, 215 ff.; ferner Huber, in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2020, § 1643 Rn. 1; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, 181 (182) = NJW-RR 2001, 145.