Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften

Stellungnahme vom 11.3.2022

Notarinnen und Notaren kommt als neutrale und unabhängige Instanz im Rahmen einer Hauptversammlung eine hervorgehobene Bedeutung zu (§ 130 AktG). Sie dient der präventiven Gewährleistung der gesetzlichen Verfahrensbestimmungen bei der Beschlussfassung sowie der rechtssicheren Dokumentation der Willensbildung zum Schutz der Beteiligten, aber auch der Gesellschaftsgläubiger und der Öffentlichkeit. Mit der Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde ausgestaltet werden durch die notarielle Niederschrift Zweifel über die wirksame Beschlussfassung verhindert und damit Rechtsstreitigkeiten vermieden.

 

A. Allgemeine Einschätzung des Gesetzentwurfs

Aus Sicht der notariellen Praxis haben sich die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG, im Folgenden kurz: COVMG)[1], darunter auch die Möglichkeit der virtuellen Hauptversammlung von Aktiengesellschaften nach § 1 Abs. 2 COVMG, im Wesentlichen insoweit bewährt, als der Gesetzgeber damit für die seinerzeit bestehende Ausnahmesituation ein praxistaugliches Instrument zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaften geschaffen hat. Bereits mit Stellungnahme vom 25. September 2020 hat der Deutsche Notarverein angemahnt, dass sich die pandemiebedingten Sonderregelungen zur virtuellen Hauptversammlung nicht als Vorbild eignen, da sich deren umfangreiche Beschränkungen der mitunter europarechtlich bzw. grundgesetzlich vorgeprägten Aktionärsrechte nur mit der damaligen Ausnahmesituation und den öffentlichen Beschränkungen haben rechtfertigen lassen.[2] Überspitz und oft zitiert war in der Literatur auch von einem „nordkoreanischen Parteitag online“[3] die Rede. Was zunächst überzogen erscheint, gibt doch Anlass zum Grübeln, wenn man einige virtuelle Hauptversammlungen nach dem Konzept des § 1 Abs. 2 COVMG verfolgt hat.

Der Gesetzgeber formuliert für die zwingende Online-Teilnahme einen Katalog gesetzlicher Mindestanforderungen, der unter anderem durch „gesteigerte Beteiligungsmöglichkeiten im Vorfeld“ die „Einschränkungen der Ausübungsmöglichkeiten in der Hauptversammlung“ kompensieren soll.[4] Damit werden ausweislich der Entwurfsbegründung Beteiligungsmöglichkeiten vorgeschrieben, die einige Gesellschaften bereits unter dem COVMG als „best practice“ etabliert hatten. Hierdurch werden zwar, nimmt man die „Covid-19-Hauptversammlung“ des COVMG als Vergleichsmaßstab, die Aktionärsrechte gestärkt. Legt man jedoch das in § 118 AktG gewachsene Leitbild einer präsenten Hauptversammlung mit Rede und Gegenrede zugrunde, sind die Aktionärsrechte nach der Konzeption der §§ 118a, 130a, 131 AktG-E weiterhin defizitär ausgestaltet. Auch eine der Präsenz- oder Hybridversammlung vergleichbare Diskussionsdynamik wird kaum erreichbar sein. Insofern ist bemerkenswert, dass die Entwurfsbegründung kaum würdigende Worte für die (fort-)bestehenden Vorteile einer Präsenzversammlung als gesetzlichen Regelfall übrig hat. Leitlinie sollte stets sein, dass Effizienzgewinne durch Digitalisierung der Prozesse nicht zulasten der Integrität des Rechtsverkehrs gehen. Vor diesem Hintergrund und der bereits nach dem geltenden AktG bestehenden Möglichkeit einer „volldigitalen“ Teilnahme aller Aktionäre (s. § 118 Abs. 1 S. 2-5 AktG) gibt der Deutsche Notarverein zumindest zu bedenken, ob eine virtuelle Hauptversammlung, die das Recht auf physische Präsenz aller Aktionäre – darunter viele ältere, mitunter technisch unkundige Personen – vollständig ausschließt, außerhalb der auf Kontaktvermeidung ausgerichteten Pandemiebekämpfung tatsächlich erforderlich und geboten ist.

Diese rechtspolitische Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bezüglich des „Ob“ der Einführung im Ausgangspunkt aber zugrundelegend, ist die Regelungskonzeption des Gesetzesvorschlags aus unserer Sicht grundsätzlich gelungen. Zu begrüßen ist insbesondere, dass der Entwurf das seinerzeit in einem Sondergesetz geschaffene Instrument einer rein virtuellen Hauptversammlung nunmehr einer systemimmanenten Lösung innerhalb des Aktiengesetzes zuführt, die – von den vorstehenden Vorbehalten einmal abgesehen – die rechtliche Bedeutung der Hauptversammlung als zentrales Organ der Aktiengesellschaft im Vergleich zum COVMG wieder stärkt.

Unter diesem vorausgeschickten Gesamteindruck stehen die folgenden Anmerkungen zu einzelnen Punkten:

 

B. Der Entwurf im Einzelnen

I. Anwendungsbereich der virtuellen Hauptversammlung

1. Beschränkung auf Aktiengesellschaften und verwandte Rechtsformen

Die im Entwurf vorgesehene Eingrenzung des Anwendungsbereichs auf Aktiengesellschaften (AG) und die mit ihnen verwandten Rechtsformen der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) und des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) ist zu begrüßen. Dass das Instrument der virtuellen Hauptversammlung wiederum für alle Aktiengesellschaften, nicht nur für börsennotierte, verfestigt werden soll, ist folgerichtig und vermeidet Brüche in der Anwendung. Auf eine mögliche Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften im Hinblick auf die Einschränkungen der §§ 130a, 131 AktG-E wird allerdings noch zurückzukommen sein (unter B. II. 3. lit c).

Zu Recht nicht erfasst ist die Rechtsform der GmbH, deren Organisationsverfassung mit Blick auf ihre weitgehende Satzungsautonomie und umfassende Weisungskompetenz der Gesellschafter als zentrales Entscheidungsorgan[5] gegenüber der Geschäftsführung (§ 45 GmbHG) deutlich personalistischer geprägt ist als die der AG. So ist im GmbH-Recht bereits eine gesellschaftsvertragliche Regelung zur virtuellen Gesellschafterversammlung anerkannt; für Vereine und Genossenschaften gilt bei entsprechender Satzungsgrundlage nichts anderes.

 

2. Hybride Hauptversammlung

Gerade für nicht-börsennotierte Aktiengesellschaften hat die notarielle Praxis im Übrigen positive Erfahrungen mit hybriden Hauptversammlungen festgestellt; auch aus Kostengründen erscheint das hybride Modell gerade für kleinere Aktiengesellschaften attraktiv. Dass der Referentenentwurf von der Regelung eines über die Ermöglichung der elektronischen Teilnahme nach § 118 Abs. 1 S. 2 AktG hinausgehenden, in Bezug auf die gesetzlichen Mindestanforderungen fortentwickelten Hybridkonzepts absieht, ist insofern bedauerlich. So wäre eine gesetzliche Ausgestaltung möglich, nach der ein Teil der Aktionäre persönlich vor Ort teilnehmen und ein Teil in stärkerem Maße als bisher unter gesetzlich formulierten Mindestvorgaben und Ausgestaltungen hinsichtlich der Aktionärsrechte virtuell teilnehmen könnte. Jedenfalls sollte die Bedeutung eines hybriden Modells gerade für nicht-börsennotierte Aktiengesellschaften nicht herabgestuft werden. Daher geben wir zu bedenken, dass die Begründung auf S. 14 des Referentenentwurfs insofern missverständlich erscheint, als sie suggeriert, hybride Gestaltungsformen wären per se zu komplex und teuer. Dem ist nach unserer Einschätzung nicht so.

 

II. Zu den Voraussetzungen der rein virtuellen Hauptversammlung gemäß § 118a AktG-E

1. Satzungsermächtigung (§ 118a Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 4 AktG-E)

Die Entscheidung für die virtuelle Hauptversammlung bedarf nach § 118a Abs. 1 S. 1 AktG-E einer entsprechenden Satzungsgrundlage; zutreffend bildet damit die Präsenzversammlung weiterhin den gesetzgeberischen Regelfall. Nach dem vorgeschlagenen § 118a Abs. 1 S. 1 AktG-E kann die Satzung die rein virtuelle Durchführung der Hauptversammlung entweder selbst generell anordnen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten abgehalten wird. Dass die Regelung in der Satzung oder die entsprechende Ermächtigung des Vorstands gemäß § 118a Abs. 3, 4 AktG-E auf bis zu fünf Jahre befristet werden muss, ist richtig. Damit wird gewährleistet, dass über die Legitimation der Entscheidung in einem regelmäßigen Turnus und in der jeweils aktuellen Zusammensetzung der Anteilseigner Beschluss gefasst wird.

Kritisch bewertet der Deutsche Notarverein, dass nach ersterer Variante durch bloße Regelung in der Satzung eine bindende Durchführung der rein virtuellen Hauptversammlung ermöglicht werden soll, mit anderen Worten für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren die Abhaltung einer Hauptversammlung in Präsenzform oder hybrider Form untersagt werden kann. Eine bloße Ermächtigung des Vorstands hat gegenüber einer zwingenden statutarischen Anordnung der virtuellen Hauptversammlung den maßgebenden Vorteil, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung weiterhin die Freiheit hätten, in Einzelfällen eine Präsenz- oder Hybridversammlung einzuberufen, wenn dies, etwa im Rahmen besonders sensibler oder komplexer Angelegenheiten, sinnvoll erscheint. Wir regen daher an, den Gesetzentwurf auf die Variante der Ermächtigung des Vorstands zu beschränken.

 

2. Einberufung einer Präsenz-Hauptversammlung aufgrund eines Minderheitenquorums

Ferner regen wir an, den Gesetzentwurf um ein Recht der Aktionärsminderheit auf Einberufung einer Präsenzhauptversammlung, die gegebenenfalls ergänzt um die elektronische Teilnahme als hybride Versammlung stattfinden kann, zu ergänzen. Damit würde gerade in sensiblen Angelegenheiten dem berechtigten Anliegen einer Aktionärsminderheit nach einer Präsenzversammlung als Grundform der partizipatorischen Willensbildung und Entscheidungsfindung mit diskursiver Austauschmöglichkeit Rechnung getragen werden können. Ohne ein solches Minderheitenrecht würde es ein mehrstufiges Verfahren voraussetzen, wollten die Aktionäre im Einzelfall doch eine Präsenzversammlung herbeiführen: Zunächst müsste entsprechend der Satzungsregelung eine virtuelle Hauptversammlung durchgeführt werden, auf der sodann mit einer Mehrheit von drei Viertel des bei Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (vgl. § 179 Abs. 2 AktG) eine Streichung der Satzungsregelung beschlossen wird, um sodann wiederum nach Eintragung der Satzungsänderung im Handelsregister eine Präsenzversammlung einberufen zu können. Bereits andernorts ist vorgeschlagen worden, in Anlehnung an § 122 Abs. 1 AktG ein 5 %-Quorum anzusetzen.[6] Dem ist zuzustimmen.

 

3. Zu den Voraussetzungen der § 118a Abs. 1 S. 2, 130a, 131 AktG-E

Unter den in § 118a Abs. 1 S. 2 AktG-E i.V.m. §§ 130a, 131 AktG-E formulierten Voraussetzungen sollen ausweislich der Gesetzesbegründung die Aktionärsrechte gewährleistet werden.[7] Immerhin ist mit dem Entwurf gegenüber dem Konzept des § 1 Abs. 2 COVMG eine Stärkung der Aktionärsrechte verbunden. Insgesamt ist eine Verlagerung der Wahrnehmung der Aktionärsrechte zeitlich in das Vorfeld der Hauptversammlung festzustellen. Die Ausdehnung des Rede- und Fragerechts in das Vorfeld der Hauptversammlung stellt grundsätzlich eine praktikable Grundlage für die virtuelle Hauptversammlung dar und kann auch eine Qualitätssteigerung der Entscheidungsbildung sowie eine fundierte Information in der Versammlung bewirken. Im Detail sind dazu aus unserer Sicht jedoch folgende Punkte erwähnenswert:

 

a) Anträge und Gegenanträge (§§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 126 Abs. 4 AktG-E)

Zu Recht hat der Gesetzentwurf im Vergleich zum COVMG nachgebessert und den Aktionären in § 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AktG-E nun das ihnen notwendig zustehende (versammlungsgebundene) Beschlussantragsrecht in der virtuellen Hauptversammlung eingeräumt. Was Gegenanträge zu den Vorschlägen der Verwaltung und damit die „Opposition“ von Aktionären betrifft, wird ihnen gemäß § 126 Abs. 4 S. 2 AktG-E eine Antragstellung direkt in der virtuellen Hauptversammlung hingegen nicht ermöglicht.[8] Stattdessen sollen Gegenanträge aufgrund der pauschalen Fiktion nach § 126 Abs. 4 S. 1 AktG-E unter Verweis auf § 126 Abs. 1-3 AktG geltenden Fassung künftig nur noch bis spätestens 14 Tage vor der virtuellen Hauptversammlung gestellt werden können. Andernfalls sind sie präkludiert. Diese strenge Präklusionsfrist ist aus unserer Sicht zu lang und fügt sich im Übrigen auch nicht bruchfrei in die Gesetzessystematik des geltenden § 126 AktG.

§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 5 AktG-E sieht vor, dass den Aktionären spätestens sechs Tage vor der Versammlung der Bericht des Vorstands oder sein wesentlicher Inhalt zugänglich zu machen ist. Diese Vorgabe ist geeignet, die Aktionärsinformation im Vorfeld der Versammlung deutlich zu verbessern. Eine solche Vorverlagerung erfordert aber auch, dass den Aktionären hinreichende Reaktionsmöglichkeiten im Rahmen des Aktienrechts verbleiben. Mit der gewählten Frist von 14 Tagen wäre dies jedenfalls für einen Gegenantrag nicht mehr gegeben, der sich möglicherweise erst aus dem Bericht heraus vollständig erschließt. Die geltende 14-Tages-Frist des § 126 Abs. 1 AktG erklärt sich im Übrigen aus ihrem Regelungszweck heraus, als die Norm eine frühzeitige Information der Aktionäre über beabsichtigte Opposition bezweckt, allerdings keine Präklusion vorgibt, sondern allein eine Pflicht zur Zugänglichmachung der Anträge. Es steht also nach dem geltenden § 126 Abs. 1 AktG jedem Aktionär frei, oppositionelle Beschlussanträge erstmals in der Hauptversammlung zu stellen. Die Vorschrift regelt damit – entgegen der Überschrift – nicht das Gegenantragsrecht selbst, sondern lediglich die Publizitätspflicht der Aktiengesellschaft.[9] Vor diesem Hintergrund erscheint uns in Anlehnung an §§ 130a Abs. 2, 5, 131 Abs. 1a AktG-E eine verkürzte Ausschlussfrist von vier Tagen zweckmäßiger und systemimmanenter.

 

b) Auskunftsrecht der Aktionäre (§§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 i.V. m. 131 AktG-E)

Mit der Neuregelung wird ein erheblicher Makel des COVMG, welches lediglich eine Fragemöglichkeit vorsah und dem Vorstand freies Ermessen bezogen auf das „Wie“ der Beantwortung einräumte, bereinigt und den Aktionären ein an die Präsenzversammlung angeglichenes vollwertiges Auskunftsrecht an die Hand gegeben. Dies ist zu begrüßen.

Gesetzessystematisch haben sich alle vier neuen Absätze 1a bis 1d des § 131 AktG-E ausnahmslos auf den Fall der virtuellen Hauptversammlung im Sinne des § 118a Abs. 1 S. 1 AktG zu beziehen. Aus unserer Sicht steht hier allerdings eine potenzielle Fehlinterpretation des Gesetzesanwenders zu befürchten. Denn anders als für die Absätze 1a und 1d ergibt sich der zwingende Konnex zur virtuellen Hauptversammlung für die Absätze 1b und 1c nach unserem Dafürhalten nicht hinreichend deutlich aus dem Gesetzestext oder der systematischen Stellung innerhalb des § 131 AktG-E. Wir regen daher eine Konkretisierung des Gesetzeswortlauts und/oder der systematischen Fassung der Absätze (ggf. in Unterabsätze) an; jedenfalls sollte eine Klarstellung in der Begründung erfolgen.

 

c) Bericht des Vorstands, Recht zur Stellungnahme und Redemöglichkeit (§§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 5-7, 130a AktG-E)

Diese neu eingefügten Beteiligungsrechte stellen im Vergleich zum COVMG ebenfalls eine deutliche Verbesserung der Rechtslage dar. Die Intention des Gesetzgebers, etwa durch §§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 7, 130a Abs. 4 AktG ein „Element des Dialogs“[10] in der Versammlung zu schaffen, ist ausdrücklich zu begrüßen. Gleichzeitig führt die vorgesehene Verlagerung der Beteiligungsmöglichkeiten in das Vorfeld der Hauptversammlung nach Maßgabe der §§ 118a Abs. 1 S. 2, 130a, 131 AktG-E im Vergleich zur herkömmlichen Präsenzversammlung zwangsläufig doch zu spürbaren Beschränkungen der partizipativen Austausch-, Informations- und Auskunftsmöglichkeiten der Aktionäre. So beinhaltet etwa das Rederecht des Aktionärs nach dem vorgeschlagenen § 118a Abs. 1 Nr. 7 AktG in Verbindung mit § 130a Abs. 7 AktG ausdrücklich kein Frage- oder Antragsrecht. Selbst Nachfragen sind im Rahmen eines Redebeitrags per Videokommunikation unzulässig, sie müssen wie Fragen gesondert (etwa über eine Chat-Funktion oder per E-Mail) übermittelt werden.[11] Allein das verdeutlicht schon die Defizite in der Wahrnehmung von Aktionärsrechten nach der Konzeption des Gesetzentwurfs; und auch rechtspraktisch stellen sich Fragen, was in die Rede gehört, was in den Chat, und was gar nur rhetorische Fragen sind.[12]

Diese Maßgaben mögen zum Zwecke der Funktionsfähigkeit und Disziplinierung großer Hauptversammlungen von börsennotierten Aktiengesellschaften zweckmäßig und gerechtfertigt sein, sollten aber mit Blick auf das gesetzgeberische Versammlungsleitbild und das in der Aktie verkörperte Eigentumsrecht nach Art. 14 GG vom Gesetzgeber nur sehr restriktiv angefasst werden. So hat denn auch der Bundesgerichtshof jüngst zum Umwandlungsrecht klargestellt, dass eine virtuelle Hauptversammlung nur dann den Anforderungen an einer Versammlung gerecht werde, wenn

„die Möglichkeiten der Anteilsinhaber zum Meinungsaustausch mit den Gesellschaftsorganen und untereinander einer physischen Versammlung vergleichbar sind.“[13]

Um gerade bei kleineren nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften am Tag der virtuellen Hauptversammlung hinreichend flexibel auf die Frage-/Antwortsituation beziehungsweise Rede-/Gegenredesituation reagieren zu können, ohne von vornherein in den Konflikt mit dem Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG zu geraten, wäre es nach unserem Dafürhalten richtig, § 130a Abs. 7 S. 1 AktG-E ausdrücklich in das Ermessen des Versammlungsleiters zu stellen. Dies ließe sich gesetzestextlich durch die Anfügung des Halbsatzes „;es sei denn, der Versammlungsleiter lässt dies ausdrücklich zu“ oder in der Gesetzesbegründung klarstellen.

 

4. Zur Anwesenheit am Ort der Hauptversammlung (§ 118a Abs. 2 AktG-E)

§ 118a Abs. 2 AktG-E regelt die zwingende Anwesenheit der Mitglieder des Vorstands und des Versammlungsleiters sowie grundsätzlich (unter dem folgerichtigen Vorbehalt des § 118 Abs. 3 S. 2 AktG) auch des Aufsichtsrats und, sofern gesetzlich seine Teilnahme geboten ist, auch die des Abschlussprüfers. Diese Direktive stellt eine direkte Kommunikation zwischen den maßgeblichen Akteuren sicher und gibt den Aktionären durch eine bekannte Wahrnehmung des Vorstands als auf dem „Podium“ sitzend das gebotene Vertrauen im Hinblick auf den virtuellen Versammlungsverlauf. Ihr ist daher vorbehaltslos zuzustimmen.

 

III. Ort der virtuellen Hauptversammlung (§ 121 Abs. 4b AktG-E)

Für die Einberufung im Fall der virtuellen Hauptversammlung sieht § 121 Abs. 4b AktG-E vor, dass abweichend von § 121 Abs. 3 AktG statt des Versammlungsortes anzugeben ist, wie die elektronische Zuschaltung der Aktionäre und ihrer Bevollmächtigten zu der Versammlung erfolgen kann. Dies erscheint zweckmäßig, da bei einer für die Aktionäre zwingend ausgestalteten virtuellen Durchführung der Hauptversammlung die Funktion, dass das durch Nennung der postalischen Anschrift das Versammlungslokal gefunden wird, entfällt.

Nach der Gesetzesbegründung behält der Versammlungsort insoweit eine Bedeutung, als an diesem Ort die in § 118a Abs. 2a AktG-E genannten Personen sowie der Notar (§ 130a Abs. 1a AktG-E) zusammentreffen.[14] Zusätzlich ist aus unserer Sicht zu beachten, dass dort auch die elektronische Bild- und Tonkommunikation der in Präsenz teilnehmenden Personen erfolgt. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Angabe des Ortes auch für die Aktionäre eine Berechtigung erhalten, lässt er durchaus Rückschlüsse auf die Datensicherheit und elektronische Kommunikationsfähigkeit zu. Zum Zwecke der Verfahrenstransparenz regen wir daher an, dass der Ort der Versammlung weiterhin im Rahmen der Einberufung mitanzugeben ist.

 

IV. Anwesenheit des Notars am Ort der Hauptversammlung (§ 130 Abs. 1a AktG-E)

Inhaltlich und gesetzessystematisch richtig wird die obligatorische Anwesenheit des Notars am Ort der (virtuellen) Hauptversammlung in § 130 Abs. 1a AktG-E verortet, wonach der Notar seine Wahrnehmungen über den Gang der Hauptversammlung in unmittelbarer Anwesenheit am Hauptversammlungsort zu machen hat.

Damit wird die geltende Rechtslage unter dem COVMG folgerichtig festgeschrieben. Mit Blick auf die besondere Beweiswirkung notarieller Urkunden (§§ 415 ff. ZPO) ist eine unmittelbare und unverfälschte Wahrnehmung der Notarin oder des Notars vor Ort essenziell. Dies garantiert auch bei einer virtuellen Hauptversammlung eine zuverlässige Dokumentation der Willensbildung, die ihrerseits im Interesse der (auch künftigen) Aktionäre, der Gesellschaftsgläubiger sowie der Allgemeinheit der Rechtssicherheit dient. Daneben gewährleistet der Notar als neutrale Instanz präventiv die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs bei Beschlussfassung. Dies erlangt bei der rein virtuellen Hauptversammlung besondere Bedeutung, weil bei dieser die Aktionäre nicht selbst anwesend sein und das Geschehen unmittelbar beobachten können. Wichtig ist dies auch deshalb, dass Notarinnen und Notare vor Ort unverfälscht dieselben Einblicke in die technischen Systeme wie die Verwaltung erhalten.

§ 130 Abs. 1a AktG-E entspricht ferner der jüngsten Klarstellung des Bundesgerichtshofs, der für die virtuelle Versammlung einer Genossenschaft nach § 3 Abs. 1 COVMG vorgab, dass der Notar vor Ort „zugegen ist, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens überzeugt und sodann die Feststellungen des Beschlussergebnisses (…) beurkundet“.[15]

 

Druckfassung

 

Fußnoten:

[1] Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.3.2020, BGBl. I 569, verlängert durch die GesRGenRCOVMVV vom 28.10.2020, BGBl. I 2258, zuletzt geändert durch Art. 15 AufbauhilfeG 2021 vom 14.9.2021, BGB. I 4147.

[2] Stellungnahme des Deutschen Notarvereins vom 25.9.2020, abrufbar hier.

[3] Vossius, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht aktuell April 2020, B. I. 1.; s. auch Forschner, MittBayNot 2020, 546.

[4] Begründung RefE, S. 15, 24, 31.

[5] Vgl. etwa BGH NZG 2019, 505 Rn. 33.

[6] Teichmann/Wicke, Die neue virtuelle Hauptversammlung: Ende der Debatte?, DB 2022 (im Erscheinen), II. 2. lit. c).

[7] Begründung RefE, S. 22.

[8] Deutlich Begründung RefE, S. 24: „Für Gegenanträge nach § 126 AktG muss eine Antragstellung in der Versammlung dagegen nicht mehr ermöglicht werden“; ebenso S. 29: „Diese Anträge […] können dann in der Versammlung nicht mehr gestellt werden“.

[9] Vgl. nur Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 126 Rn. 1.

[10] Begründung RefE, S. 32.

[11] S. auch Begründung RefE, S. 34.

[12] Deutlich Vossius, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht aktuell Februar 2022, A. I. 2.

[13] BGH, Beschl. V. 5. 10. 2021 – II ZB 7/21, NZG 2021 1562 Rn. 16.

[14] Begründung RefE, S. 29.

[15] BGH, Beschl. V. 5. 10. 2021 – II ZB 7/21, NZG 2021 1562 Rn. 20.

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