Stellungnahme vom 14.01.2010
Der Deutsche Notarverein dankt für die Möglichkeit einer Stellungnahme zu dem oben genannten Gesetzentwurf.
I. Allgemeines
In zahlreichen Fällen beanstanden die Gerichte Belehrungen des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht als inkorrekt. Folge ist, dass dieser sein Widerrufsrecht oft noch Jahre nach dem Vertragsschluss ausüben kann.[1] Das kann mehrere (u. U. kumulative) Ursachen haben. Als solche (erst noch empirisch zu verifizierende) Gründe kommen in Betracht:
(1) Seitens der Unternehmen wird zu wenig Sachverstand auf die Formulierung dieser Belehrungen verwendet (und evtl. zu viel Kapazität auf anderes wie z. B. auf die Konzeption innovativer Finanzprodukte);
(2) Die Gerichte versuchen eher, Verträge über die Suche nach Formalverstößen zu Fall zu bringen, als in die Prüfung der Vertragsbedingungen anhand der §§ 305 ff. BGB einzutreten[2].
(3) Die gesetzlichen Anforderungen sind nicht erfüllbar.
(4) Das auf ein „Alles-oder-Nichts“ ausgerichtete Verbraucherschutzkonzept über Lösungsrechte, die an eine fristauslösende formalisierte Belehrung anknüpfen, ist ein zu „grobes“ Instrument.
Die Antwort des Entwurfs ist ein gesetzlich vorgegebenes Muster. Mit diesem sollen – ohne dass eine europarechtliche Vorgabe insoweit erkennbar ist – die Mängel zu (1) behoben und den Gerichten die Grundlage ihrer Praxis zu (2) entzogen werden. Damit sollen analog zum „bail-out“ der Banken durch den SoFFin die „Hausaufgaben“ der Verwender vom Staat erledigt werden.
Dieser Ansatz ist aus folgenden Gründen nicht erfolgversprechend:
(a) Die kautelarjuristische Praxis entwickelt Vertragsmuster nach den evolutionären Prinzipien des Marktes im „Trialog“ von Praxis, Rechtsprechung und Wissenschaft. Jede verwendete Gestaltung muss sich dem Markt in Gestalt der Kritik der Fachöffentlichkeit und der Gerichte stellen. Die Gestaltungen, die dieser Kritik standhalten, „überleben“ und werden Teil der best practice. Dank einer Vielzahl der Akteure steht ein ausreichend großer „Ideen-Pool“ zur Verfügung, aus dem Neues entstehen und Bewährtes weiter entwickelt werden kann. Entspricht die Evolution der kautelarjuristischen best practice dem marktwirtschaftlichen Modell, so lässt sich ein gesetzlich vorgegebenes Muster am ehesten mit der Staatswirtschaft vergleichen. Diese ist mangels Reaktionsgeschwindigkeit der Marktwirtschaft grundsätzlich unterlegen. Nur bei einem evidenten Marktversagen wäre der Einsatz staatlicher Ressourcen hier gerechtfertigt. Ein solches Marktversagen ist hier jedoch nicht erkennbar.
(b) Ein gesetzlich vorgegebenes Muster ist trotz allen Bemühens nicht „neutral“. Unter Berufung auf die staatliche Autorität kann der Verwender dem Verbraucher das Formular einfach vorlegen und Fragen mit dem Hinweis abwehren, es handele sich um eine gesetzliche Vorgabe („reine Formsache, vom Gesetz vorgeschrieben“). Bei Unklarheiten des Musters kann der Verwender seine für ihn günstige Interpretation als von Staats wegen gewollt darstellen. Damit schützt der Staat im Ergebnis den Stärkeren, also den Verwender, und nicht den Schwächeren, also den Verbraucher. Zudem verkommt die formalisierte Widerrufsbelehrung so zum Formalismus, ja zur Förmelei. Damit wird ihr Sinn verfehlt.
(c) Der Entwurf scheint auf der Prämisse zu beruhen, ein einheitliches Muster für Widerrufsbelehrungen sei möglich. In der Ausführung falsifiziert er jedoch diese Prämisse. Die Anwendung der Gestaltungshinweise auf das Muster Anlage 6 führt überschlagsmäßig (ohne die „Sternchen“) zu mindestens 144 verschiedenen Varianten, unter denen die richtige gefunden werden muss. Die Wahrscheinlichkeit, das für den jeweiligen Fall passende Muster zu treffen, liegt damit unter einem Prozent.[3] Durch Art. 247 § 12 Abs. 1 Satz 4 EGBGB wird zudem die Verwendbarkeit aller möglichen Muster nochmals relativiert, da die Information dem „im Einzelfall vorliegenden Vertragstyp“ anzupassen ist. Damit ist letztlich vom Verwender wieder Kautelarjurisprudenz auf hohem Niveau gefragt.
II. Einzelpunkte
Kritikpunkte ergeben sich zunächst einmal im Vergleich zum Muster im Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie vom 29.09.2009, BGBl I, S. 2355 (Anlage 1 zu Art. 2 Nr. 7, a.a.O., S. 2389 und Anlage 2 zu Art. 246 § 2 Abs. 3 Satz 1, a.a.O., S. 2391). In diesen Mustern wird der Verbraucher wenigstens direkt angesprochen („Sie können Ihre Vertragserklärung …“), außerdem werden keine Gesetzesvorschriften zitiert.
Demgegenüber
(1) wird im vorliegenden Entwurf der Verbraucher in der dritten Person angeredet, was den Text schwer verständlich macht (welcher Laie weiß schon, was ein „Darlehensnehmer“ ist?);
(2) werden in großem Ausmaß Gesetzesvorschriften zitiert, die dem Verbraucher zum einen nicht leicht zugänglich sind, zum anderen teilweise in einen Verweisungsdschungel führen (§ 492 Abs. 2 BGB n. F. i.V.m. Art. 246 §§ 6-13 EGBGB, die wiederum auf Art. 247 § 3 EGBGB weiter verweisen);
(3) wird dem Verbraucher z. B. nicht klar, welche konkrete Folgen der Widerruf hat (welche Pflichten ergeben sich für ihn eigentlich aus § 312e Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 246 § 3 EGBGB? Ergibt sich der „Sollzins“ aus § 489 Abs. 5 BGB oder aus Art. 247 § 3 EGBGB?);
(4) werden unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet [§ 495 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 346 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB sowie Gestaltungshinweis 5 (wie hoch ist der „verminderte Betrag“, den der Verbraucher zu zahlen hat?)]. Hier ist der Willkür des Verwenders bei der Abrechnung über die Darlehensrückabwicklung unter Berufung auf die Autorität des Gesetzes Tor und Tür geöffnet. Gleiches gilt für die Verwendung von Begriffen, deren Bedeutung dem Laien unbekannt ist (wer kennt den Unterschied zwischen „Rückgabe“ und „Widerruf“ in Gestaltungshinweis 3?).
III. Lösungsvorschlag
Wir regen an, wenn man schon das bisherige Schutzkonzept nicht in Frage stellen, sondern konsequent weiter entwickeln will, für alle Widerrufsbelehrungen die nachfolgenden Vorgaben zu machen, wobei Standort hierfür durchaus § 355 BGB sein könnte. Hierbei sollte der Gesetzgeber generalklauselartig Vorgaben für die Widerrufsbelehrung machen, aber auf gesetzliche Muster aus den vorgenannten Gründen verzichten. Die Umsetzung sollte dann der kautelarjuristischen Praxis – dem vorerwähnten „Markt“ – überlassen bleiben.
Inhaltlich sollte die Widerrufsbelehrung folgende Punkte umfassen:
(i) Tatsache des Bestehens eines Widerrufsrechts.
(ii) Wem gegenüber kann widerrufen werden (Name und Anschrift)?
(iii) Wie kann widerrufen werden?
(iv) Bis wann kann widerrufen werden?
(v) Welche Folgen hat der Widerruf bzw. was muss der Verbraucher tun, wenn er widerrufen hat?
Formal sollte für die Widerrufsbelehrung Folgendes gelten:
(i) Sie bedarf der Textform.
(ii) Sie ist drucktechnisch deutlich zu gestalten.
(iii) Sie ist deutlich vom übrigen Text abzusetzen.
(iv) Sie muss einfach und verständlich abgefasst sein.
Letzteres orientiert sich an § 477 BGB, der wiederum die Vorschriften über plain language Klauseln des US-amerikanischen Rechts aufgreift. Die dortige Praxis zeigt, dass sich Texte linguistisch auf ihre Verständlichkeit hin untersuchen und bewerten lassen (Scoring-Methode).[4] Das Über- bzw. Unterschreiten einer bestimmten Punktzahl in diesem linguistischen Test begründet im Prozess eine widerlegbare Vermutung dahingehend, dass ein Text einfach und verständlich ist bzw. nicht ist.[5] Solche sprachwissenschaftlichen Untersuchungen dürften auch (und sogar) im Deutschen möglich sein.
Die weitere Praxis wird sodann zeigen, ob möglicherweise die Annahme oben I. (3) zutrifft.[6] Ist die Praxis trotz zumutbarer Anstrengung nicht in der Lage, einer Rechtsnorm zu genügen, ist allerdings die Rechtsnorm verfehlt. In diesem Fall wäre somit das Gesamtkonzept des Verbraucherschutzes national wie europäisch einer unvoreingenommenen Evaluierung zu unterziehen, die insbesondere auf Erkenntnissen der Rechtstatsachenforschung aufbauen müsste. Ein solches Ergebnis erscheint uns nicht völlig fernliegend.
Man müsste dann nach anderen Schutzkonzepten suchen. Auch uns ist klar, dass die notarielle Beratung und Belehrung zwar sehr effektiv ist, aber eine knappe Ressource darstellt, deren Einsatz daher genau überlegt sein muss. Denkbar (und von uns bereits wiederholt vorgeschlagen) sind aber z. B. Vorschriften, wonach das Zustandekommen bestimmter Geschäfte (insbesondere z. B. im Telefonmarketing) von einer schriftlichen Bestätigung durch den Verbraucher abhängig gemacht wird. Denkbar sind auch Vorschriften zur Beweislastverteilung über die ordnungsgemäße Information oder die verfahrensrechtliche Besserstellung des Verbrauchers. Bei der Suche nach geeigneten Schutzinstrumentarien bietet sich auch ein Rückgriff auf die gemeinrechtlichen privilegia miserabilium personarum an. Dank der eindrucksvollen Untersuchung von Thomas Duve[7] ist das entsprechende Material jetzt leicht zugänglich. Das jahrhundertealte „Verbraucherschutzrecht“ des Ius Commune kennt viele Lösungen, interessanterweise aber keine schriftliche Belehrung über ein Widerrufsrecht. Das gibt zu denken.
[1] Statt aller siehe nur BGH v. 23.06.2009 – XI ZR 156/08, ZIP 2009, 1512; BGH v. 10.03.2009 – XI ZR 33/08, BB 2009, 1549 = ZIP 2009, 952; BGH v. 12.04.2007 – VII ZR 122/06, BB 2007, 1296 = ZIP 2007, 1067. Die Datenbank der LexisNexis Bibliothek (Stand Oktober 2009) weist allein zu § 355 BGB 185 Gerichtsentscheidungen aus (zu § 305c BGB allerdings 678, zu § 307 BGB 1431 Gerichtsentscheidungen, was gegen eine Annahme einer „Flucht der Rechtsprechung in den Formalismus“) spricht.
[2] Das erscheint zwar zunächst plausibel, da letzteres aufwändiger ist. Das oben in FN 1 dargestellte Zahlenverhältnis der Entscheidungen stützt diese These jedoch nicht.
[3] Allein die Begründung hierzu umfasst 7 Seiten und gelangt zu eindrucksvollen Sätzen wie beispielsweise (S. 41): „Der Gestaltungshinweis „***“ ist eine Konsequenz des Gestaltungshinweises „**“.“ Die Auswahl unter den Gestaltungshinweisen 6 ist nur etwas für Spezialisten.
[4] Hierzu Scott J. Burnham, Drafting And Analyzing Contracts, 3rd ed. 2003, S. 271 ff. (§ 18).
[5] Scott, J. Burnham, a.a.O, bes. S. 272-274, 287-288: Kriterien, mit denen das Scoring günstig beeinflusst werden kann, sind z. B.: Anrede in der ersten Person, kurze Sätze, Strichaufzählungen und Tabellen.
[6] Scott J. Burnham, a.a.O, S. 271: “New York’s efforts (aus 1977) seem to have been inspired by the fact that its largest bank, Citibank, developed readable consumer credit forms, which were a success with the public. Other businesses followed suit, demonstrating that the regulation would not be perceived as “anti-business”.”
[7] Thomas Duve, Sonderrecht in der Frühen Neuzeit. Studien zum ius singulare und der privilegia miserabilium personarum, senum et indorum in Alter und Neuer Welt, Frankfurt am Main, 2008 (passim, bes. S. 181-193). Die Untersuchung zeigt ein in früheren Zeiten deutlich höheres juristisches Diskussionsniveau des Ius Commune im Vergleich zum heutigen Europarecht.