Änderungen im Umwandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012

Stellungnahme vom 19.12.2012

 

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu zwei Vor­schlägen.

Wir sprechen uns dagegen aus, in einem relativ weit fortgeschrittenen Gesetzge­bungsverfahren Änderungen vorzunehmen, von denen, wie zu zeigen sein wird, vor allem § 72a E-UmwG einen massiven Bruch im seit fast 130 Jahren gewachsenen System von Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung und Kontrolle des Organhandelns beinhaltet. Hierfür sollte man sich unbedingt mehr Zeit nehmen und die Aktiennovelle nicht der Gefahr der Diskontinuität aussetzen.

Nachstehend unter I. stellen wir daher diese Vorschläge in einen größeren gesell­schaftsrechtlichen Kontext, um dann unter II. zu Einzelfragen Stellung zu nehmen. Unter III. werden mögliche Lösungen angedacht.

I. Kontext der Vorschläge

Kapitalgesellschaftsrecht ist die Kunst des Mittelwegs zwischen unternehmerischer Initiative und Kontrolle durch die Eigentümer. Ursache für diesen Zielkonflikt ist der aus der Trennung zwischen Eigentümerstellung und Leitungsfunktion resultierende Interessenkonflikt („Prinzipal-Agenten-Problem“).

Die Lösungswege sind vielgestaltig und werden in Deutschland seit der Aktien­rechtsnovelle 1884 diskutiert.[1] Sie reichen vom einen Extrem öffentlich-rechtlicher Durchregulierung[2] bis zur reinen zivilrechtlichen Kontrolle mit nachträglicher Prüfung auf Sekundärebene über Haftungsklagen der Eigentümer gegen die Unternehmens­führung.[3]

Die rechtspolitischen Grundentscheidungen, die das deutsche Gesellschaftsrecht bis heute prägen, wurden 1884 getroffen. Der Gesetzgeber hat sich im Grundsatz gegen ein Modell kompletter öffentlich-rechtlicher Durchregulierung des Aktienrechts (etwa durch ein öffentlich-rechtlich verfasstes Aktienamt) entschieden. Auch ein reines Sys­tem deliktischer Organhaftung, in dem die einzelnen Aktionären ihre Ansprüche im Wege einer „direct action“ geltend machen können, kennen wir nicht. Statt dessen setzt der Gesetzgeber zum einen auf (öffentlich-rechtlichen[4]) Schutz der Kapitalauf­bringung[5], zum anderen auf nachwirkende Kontrolle des Organhandelns über eine dem einzelnen Aktionär zustehende Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen Be­schlüsse der Hauptversammlung.[6]

Diese Lösung hat Nachteile, die in der missbräuchlichen Ausübung des Anfechtungs­rechts[7] bestehen. Die Aktienrechtsnovellen der letzten zehn Jahre konzentrierten sich darauf, das Geschäftsmodell der als „räuberische Aktionäre“ oder „Berufskläger“ apostrophierten relativ kompakten Aktionärsgruppen zu erschweren. Dies geschieht derzeit durch

(1)      den Ausbau verfahrensrechtlicher Zutrittshürden (Mindestbesitz, Freigabever­fahren), erstmals beschritten mit dem UMAG;[8]

(2)      die Beseitigung des Gegenstandes der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen durch Abbau der Aktionärsmitwirkung, d. h. Abbau von Beschlusserfordernissen („wo kein Klagegegenstand, da kein Rechtsschutz“). Diesen Weg[9] setzen die Vorschläge fort, insbesondere mit § 144a E-UmwG.

Eine weitere Option, nämlich die Schaffung von Waffengleichheit durch Erhöhung des Haftungsrisikos für Anfechtungskläger durch deren über § 826 BGB hinausge­hende deliktische Haftung bzw. Nutzung des Rechtsgedankens des § 945 ZPO, wird derzeit nicht genutzt.

Jenseits rechtssystematischer Argumente, die nachstehend unter II. diskutiert wer­den und die vordergründig auch im Sinne dogmatischer Konsistenz durchaus für sol­che Lösungen sprechen können, sollte nicht verkannt werden, dass es sich primär um politische Entscheidungen handelt. Es geht letztlich darum, die grundlegenden Weichenstellungen im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht erneut zu diskutieren.

Hierfür sollte man sich mehr Zeit nehmen. Zunächst einmal scheint nach einem gu­ten Jahrhundert gesetzgeberischer Maßnahmen gegen Berufskläger (mit erheblicher Zunahme des legislatorischen Tempos in der letzten Dekade) ein Innehalten ange­bracht. Es ist Zeit für eine durch Rechtstatsachen untermauerte Zwischenbilanz.

Denn auf der einen Seite ist festzuhalten: Es scheint nicht gelungen die „rational apathy“ des einzelnen Aktionärs zu durchbrechen. Von den großen traditionellen Ak­tionärsvereinigungen hat sich jedenfalls eine zwischenzeitlich moralisch kompromit­tiert und muss sich das für ihre Tätigkeit unabdingbare Vertrauen mühsam wieder erarbeiten. Das Geschäftsmodell mancher Berufskläger ist abstoßend, wenn nicht gar widerwärtig.

Auf der anderen Seite darf aber nicht verkannt werden, dass gerade die Gruppe der Berufskläger auch als „Gesundheitspolizei des Aktienrechts“ wirkt. Aus der Erfahrung bei der Beurkundung von Hauptversammlungen kann berichtet werden, dass die ho­he Sachkompetenz beeindruckt, mit der manche „kritischen Aktionäre“ die Methodik der Unternehmensbewertung beherrschen.

Hier muss man deprimiert feststellen, dass das „Grillen“ von Unternehmensorganen auf Hauptversammlungen leider zuweilen notwendig zu sein scheint. Deprimiert muss man auch feststellen, dass – um nur ein Beispiel aus der letzten Zeit zu nen­nen[10] – wenn sogar der Bundesgerichtshof die Pflichtverletzung eines Aufsichtsrats feststellt, dies für den Betroffenen keinerlei spürbare Sanktionen zur Folge hat. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Rechtsordnung schlicht „wegge­lacht“ wird. Bei dieser Sachlage ist es für Mitglieder der Organe von Aktiengesell­schaften sehr schwer, ein klares Bewusstsein vom Primat des Rechts beizubehalten. Ökonomische Anreize für diese „Teflon-Mentalität“ gibt es leider mehr als genug.

Geboten ist daher eine Analyse, inwieweit die jetzt bestehenden Kontrollmechanis­men für das Handeln von Unternehmensorganen sicherstellen, dass deren Mitglieder sich rechtstreu und gesetzeskonform verhalten. Denn wie die europäische Diskussion über Sammelklagen im Vertragsrecht zeigt, kann ein zu starkes Überziehen in eine Richtung schnell zu unliebsamen Weiterungen führen. Direkte Schadensersatz­klagen bzw. Gruppenklagen von Aktionären gegen Organmitglieder wären eine sol­che Weiterung. Das wäre aus unserer derzeitigen Sicht der Dinge der falsche Weg, würde er doch unternehmerische Initiative (und auch den notwendigen Wagemut) ersticken.

Der Deutsche Notarverein empfiehlt, sich in diesen Fragen nicht unter Zeitdruck zu setzen und nach eingehender Rechtstatsachenforschung die damit verbundenen politischen Wei­chenstellungen in aller Offenheit auch politisch zu diskutieren.

II. Einzelfragen

1. § 144a E-UmwG

Flüchtig betrachtet, besticht der Vorschlag aus rechtssystematischer Sicht. § 125 UmwG erklärt zwar § 62 Abs. 1-4 UmwG im Fall der Spaltung für entsprechend an­wendbar. Das bedeutet, dass ein Spaltungsbeschluss auf Seiten einer übernehmen­ den Aktiengesellschaft entbehrlich ist, wenn sie zu mehr als 90 % am übertragenden Rechtsträger beteiligt ist. Erfasst ist damit die „Spaltung von unten nach oben“.[11] Nicht erfasst ist hingegen die „Spaltung von oben nach unten“, also auch die Aus­gliederung von einer übertragenden AG auf ihre mehr als 90%ige Tochter.

Auf den ersten Blick erstaunt dies tatsächlich. Hier scheint der neue § 144a UmwG eine Lücke zu schließen und einen Wertungswiderspruch zu vermeiden. Doch die dogmatische Konsistenz der neuen Vorschrift ist nur vordergründig. Zunächst ist zu fragen: Warum hat der Gesetzgeber des UmwG 1994 in § 125 UmwG nicht die um­gekehrt analoge Geltung des § 62 UmwG angeordnet?

Für Auf- und Abspaltungen leuchtet die Entscheidung von 1994 unmittelbar ein und wird durch den neuen § 144a UmwG nicht in Frage gestellt. Eine Strukturmaßnahme, durch die die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers Anteile am überneh­menden Rechtsträger erhalten, kann nur mit deren Zustimmung erfolgen. Bei einer Ausgliederung ist dies jedoch nicht der Fall. Hier hatte der Gesetzgeber die damalige (und zwischenzeitlich fortgeführte) Rechtsprechung zur Beschlusskontrolle bei Mediatisierungsmaßnahmen in Konzernen[12] respektiert und Wertungswidersprüche zu § 179a AktG vermieden.

Der Gesetzesvorschlag will diese Systembrüche durch eine am Buchwert des über­tragenen Vermögens orientierte Deckelung vermeiden.

Das ist jedoch kein taugliches Mittel, wie folgendes Beispiel zeigt:

Beispiel 1:

Die XY Genetics AG, ein börsennotiertes Biotechnologieunternehmen, entwickelt parallel mehrere Arzneimittel. Entsprechend §§ 248 Abs. 2, 255 Abs. 2a und Abs. 2 HGB sind in ihrem Jahresabschluss die hierfür teils beantragten, teils erteilten ge­werblichen Schutzrechte mit den zugrundeliegenden Aufwendungen für Forschung und Entwicklung aktiviert. Zielmolekül „P 307″, ein vielversprechender Kandidat zur chemischen Lyse amyloider Plaques im menschlichen Gehirn (und damit zur kausa­len Therapie von Krankheiten wie morbus Alzheimer) befindet sich am 31.12. des Jahres 01 in Phase 3 der arzneimittelrechtlichen Zulassung. In der Bilanz zum 31.12.01 ist „P 307″ mit einem Wert angesetzt, der 2 % der Bilanzsumme der XY-AG entspricht. Der Vorstand der XY-AG verhandelt mit einem amerikanischen Pharmakonzern über einen Verkauf des Patents. Verhandlungsführer ist der Forschungsvor­stand V. Als Kaufpreis ist das fünffache der Bilanzsumme der XY-AG im Gespräch für den Fall, dass „P 307″ die Zulassung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) erhält. Um lästigen Fragen der Aktionäre aus dem Weg zu gehen, ist folgende Transaktionsstruktur geplant:

(1)      Die XY-AG gründet eine 100%ige Tochtergesellschaft, die „P 307 Patentverwertungs GmbH“.

(2)      Sie gliedert die gesamten Rechte an „P 307″ nach § 144a E-UmwG auf die GmbH aus.

(3)      Aufschiebend bedingt auf die FDA-Zulassung und auf eine logische Sekunde nach Wirksamkeit der Ausgliederung verkauft sie die Anteile an der GmbH an den Pharmakonzern.

Im März des Jahres 02 erteilt die FDA dem Molekül „P 307″ die Zulassung. Andere Länder folgen sogleich. Wenig später wird die Transaktion vorgenommen. Wenig später wechselt V in den Vorstand der Käuferin. Sein Gehalt vervielfacht sich. Zudem profitiert er von einem lukrativen Aktienoptionsprogramm.

Das Beispiel zeigt die Nebenwirkungen, die mit dem scheinbar rechtssystematisch konsistenten Vorschlag verbunden sind. Ein Abbau von Aktionärsrechten beinhaltet zugleich immer einen Abbau von Kontrolle und damit das Entstehen von Vollzugsde­fiziten. Ist es dem „Betheiligten“ nicht mehr möglich, sich auch bei Anwendung der „eigenen Sorgsamkeit“ gegen „Täuschung und Irrthum, lllusion und Leichtsinn“ zu sichern, dann steht ihm das Gesetz nicht mehr „schützend zur Seite“.[13] Vollzugsdefi­zite rufen immer den Bedarf nach ihrer Kompensation hervor. Es wird daher nicht allzu lange dauern, und die US-Amerikaner werden uns hier die direct action bzw. die class action als Lösung empfehlen.

Im Vergleich dazu: Wäre es wirklich so schlimm, wenn der Vorstand der XY-AG sei­nen Aktionären in einer Hauptversammlung erläutern müsste, wie der Kaufpreis für die Rechte an „P 307″ ermittelt und verhandelt wurde?

2. Überlange Dauer von Spruchverfahren

Die lange Dauer von Spruchverfahren bringt für alle Beteiligten erhebliche Nachteile mit sich. Die Kläger müssen oft mehrere Jahre auf ihr Geld warten und tragen wäh­rend dieser Zeit das Insolvenzrisiko der Beklagten. Ein Anspruch auf Sicherheitsleis­tung, vergleichbar § 327b Abs. 3 AktG, besteht nicht.

Das Unternehmen ist während der gesamten Verfahrensdauer mit einer ungewissen Verbindlichkeit belastet, für die oft noch nicht einmal eine Rückstellung der Höhe nach beziffert und gebildet werden kann. Das erweist sich besonders bei weiteren Transaktionen (etwa einer weiteren Verschmelzung), einem Übernahmeangebot oder einem Verkauf als äußerst misslich. Mangels sicherer Grundlage einer Unter­nehmensbewertung kann keine Verschmelzungswertrelation bzw. kein marktgerech­ter Preis in einem Übernahmeangebot oder in einem Kaufvertrag festgelegt werden.

Lange Spruchverfahren können folgende Ursachen haben:

(1)      Prozessvertreter der Parteien, die das Verfahren bewusst in die Länge ziehen: In diesem Fall sind die bestehenden prozessualen Handlungsoptionen zu prü­fen.

(2)      Überlastete Richter: Hier sind durch entsprechende Geschäftsverteilung Rechtspflegeressourcen zweckentsprechend zu allokieren.

(3)      Überlastete Gutachter (u. E. eines der Hauptprobleme): Hier ist die Frage zu stellen, warum dieselben Sachverständigen, die vor größeren Transaktionen problemlos binnen kurzer Zeit aussagekräftige Expertisen liefern können, dies im gerichtlichen Auftrag nicht mehr bewerkstelligen. Offenbar wirken hier die falschen ökonomischen Anreize.

Der Deutsche Notarverein verfügt nicht über die prozessuale Expertise, um hier Vor­schläge zur Abhilfe im Einzelnen zu kommentieren oder gar solche zu unterbreiten. Aus unserer Sicht fällt nur auf, dass die Beteiligten über die Dauer der Beweisauf­nahme in solchen Verfahren klagen. Offenbar gehen die vom Gericht bestellten Sachverständigen für Unternehmensbewertung ihre Aufgabe zögerlicher an, als wenn sie etwa als Privatgutachter zur Vorbereitung von M & A Transaktionen beauf­tragt werden. Zudem scheint die Qualität des Gutachtens außer von der Person des Gutachters vor allem davon abhängig zu sein, wie viele abrechenbare Stunden Zeit man ihm für das Erstellen des Gutachtens gibt, das heißt, wie groß sein Budget ist. Wer hier spart, der spart am falschen Ende und muss sich in der Hauptversammlung einem mündlichen Examen zur Unternehmensbewertung durch kritische Aktionäre stellen.

Unsere Vermutung lautet daher schlicht und einfach: Könnte es am Geld liegen, dass die Erstellung von Gutachten in Spruchverfahren oft so lang dauert? Dann wäre ver­mutlich das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) der bessere Ort für Regelungsansätze als das Spruchverfahrensgesetz.

Eines ist jedenfalls klarzustellen: Die Schaffung zusätzlicher Gestaltungsalternativen für beklagte Aktiengesellschaften, die nach Abschluss des Spruchverfahrens auszu­üben sind, haben auf dessen Dauer keinen Einfluss. Diese beiden Aspekte sollten auseinandergehalten werden.

3. § 72a E-UmwG

Auch der Ansatz des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, durch die Gewährung von Anteilsrechten die Liquidität des Unternehmens zu scho­nen, verdient nähere Betrachtung.

a) Grundsätzliche Überlegungen

Zwei übergeordnete Aspekte sprechen allerdings gegen diesen Vorschlag.

aa) Fehlgeleitete Anreizwirkung

Rechtsökonomisch liefert die Einräumung eines Optionsrechts auf Anteilsrechte ei­nen Anreiz, bei der Festlegung der Verschmelzungswertrelation oberflächlich zu ar­beiten.

Das Damoklesschwert von Ausgleichszahlungen hängt über der Kasse der Gesell­schaft. Dieser Parameter bestimmt damit die Vergütung des Vorstands (allerdings wegen der Dauer des Spruchverfahrens zumeist nicht mehr des Vorstands, der die Verschmelzung vereinbart hatte).

Diesen Vorstand sollte die drohende Liquiditätsbelastung allerdings dazu anhalten, in eine korrekte Unternehmensbewertung Geld zu investieren. Denn bereits eine relativ geringe Mehrinvestition in die Verschmelzungsprüfung erhöht die Aussagekraft des Gutachtens und schont die Liquidität des Unternehmens.

Demgegenüber schadet die Schaffung zusätzlicher Aktien nur den Aktionären, da ihre Beteiligung verwässert wird. Die Liquidität des Unternehmens wird gar nicht be­lastet, eine Rückstellung muss nicht gebildet werden, da man immer auf den gesetz­lichen „Plan B“ verweisen kann. Das wirkt sich zugunsten des Bilanzgewinns und damit zugunsten der Tantieme des Vorstands aus. Ähnlich wie bei der Abwägung zwischen Gehalt bzw. phantom stock einerseits und Aktienoptionen andererseits wird der Vorstand sich leichter dafür entscheiden können, Kosten auf die Aktionäre abzu­wälzen.

Allerdings wird der Verwässerungseffekt auch einen potenziellen Übernehmer der betreffenden Aktiengesellschaft beschäftigen. Dieser ist möglicherweise an einem niedrigeren Kaufpreis für eine höhere prozentuale Beteiligung interessiert (z. B. zur Vorbereitung eines Squeeze-out) und wird Minderheitsaktionäre daher lieber gegen Geld abfinden wollen.

bb) Abbau von Aktionärsrechten

Zum anderen werden damit wiederum Aktionärsrechte abgebaut. Möglicherweise wird während des Spruchverfahrens die beklagte AG übernommen und der Markt für ihre Aktien wird enger bzw. es erfolgt ein Delisting. Dann erhalten die Kläger am En­de Aktien, mit denen sie nichts anfangen können. Nachfolgend b) wird hierauf noch näher eingegangen.

b) Detailkritik

Im Detail ist darüber hinaus Folgendes anzumerken:

aa) Ersetzungsbefugnis

aaa) Ausübung

Die Ersetzungsbefugnis ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der ein Vertragsteil (hier der Schuldner) die von Anfang an geschuldete Leistung (= Zahlung von Geld) durch eine andere Leistung (= Lieferung von Aktien) ersetzt.

Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis bestimmt sich nach § 72a Abs. 10 E-UmwG (Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern). Gerade wegen der inter-omnes- Wirkung des § 13 Satz 2 SpruchG ist dies zwar zweckmäßig, aber ebenfalls ein Ein­griff in Aktionärsrechte. Man sollte sich des Letzteren bewusst sein.

Wird das Spruchverfahren nicht durch gerichtliche Entscheidung, sondern durch Vergleich beendet, so wirkt dieser Vergleich nicht erga omnes.[14] Konstruktiv ist daher die Fiktion der Einlage des Anspruchs in § 72a Abs. 2 lit. a) E-UmwG nur schwer nachzuvollziehen. Es dürfte zwar in Ausnahmefällen mit rechtsstaatlichen Grundsät­zen vereinbar sein, der Entscheidung eines gesetzlichen Richters Wirkung gegen Dritte beizumessen, auch wenn diesen kein rechtliches Gehör gewährt wurde. Ob dies allerdings auch kraft privatautonomer Gestaltung möglich sein soll wie beim Vergleichsschluss, erscheint mehr als fraglich.

bbb) Leistungsstörungen

Des Weiteren ist fraglich, welche Auswirkungen Leistungsstörungen nach ausgeüb­ter Ersetzungsbefugnis haben. Hierzu

Beispiel 2:

Einen Tag nach wirksamer Ausübung der Ersetzungsbefugnis geht bei der Gesell­schaft eine Anzeige nach § 21 WpHG ein, dass der Hedge-Fonds „Cayman White Shark L.P.“ 15,7 % der Aktien erworben hat. Der Kurs der Aktie steigt rasant. In den letzten Jahren lag die Präsenz in Hauptversammlungen der AG bei maximal 50 % des Grundkapitals. Das Fondsmanagement teilt mit, dass es, den Stimmempfehlun­gen von Institutional Shareholder Services folgend, gegen eine Sachkapitalerhöhung stimmen wird. Damit ist die Erfüllung der aus der Ersetzungsbefugnis geschuldeten Leistung subjektiv unmöglich geworden. Die Berechtigten verlangen jetzt Schadens­ersatz nach §§ 275, 280 BGB in Höhe des Wertes, den die Aktien jetzt (d. h. nach dem Kurssprung) hätten.

Die Lösung des § 72a Abs. 12 E-UmwG macht es sich zu einfach. Offen bleibt näm­lich, aus welchen Gründen die Übergabe der Aktien an den Treuhänder unterbleibt. Die Gesellschaft kann sich auch einfach anders entscheiden. Die Anspruchsberech­tigten dann wieder auf den Geldanspruch zu verweisen, nur weil die Gesellschaft plötzlich keine Lust mehr hat, die Aktien auszugeben, greift zu kurz. So leicht sollte man die Anspruchsberechtigten im Spruch verfahren nicht abspeisen können. Das ist alles andere als interessengerecht. Schwächer lässt sich die Stellung des Gläubigers bei Ersetzungsbefugnis des Schuldners kaum mehr ausgestalten. Man denkt nur noch an das Sprichwort: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.

Beispiel 3:

Die Gesellschaft übt die Ersetzungsbefugnis aus und bestellt einen Treuhänder, an den sie eigene Aktien oder aus genehmigtem Kapital geschaffene Aktien zum Zweck der Weitergabe an die Ausgleichsberechtigten liefern will. Nach Ausübung der Erset­zungsbefugnis, aber vor Lieferung an den Treuhänder steigt der Aktienkurs um 50 %. Die Gesellschaft entscheidet sich um, verkauft die eigenen Aktien über die Börse und zahlt den baren Ausgleichsbetrag. Sie streicht damit einen Gewinn ein, der an sich den Ausgleichsberechtigten gebührt hätte. Nach der Entwurfsfassung hilft hier allen­falls § 826 BGB.

bb) Lieferung der Aktien

aaa) Zeitpunkt

§ 72a Abs. 11 E-UmwG verlagert den Zeitpunkt der Lieferung der Aktien (zu) weit nach hinten.

Beispiel 4:

Die Ersetzungsbefugnis wird im September des Jahres 01 ausgeübt. Sofern das Ge­schäftsjahr der Gesellschaft dem Kalenderjahr entspricht, soll die nächste ordentliche Hauptversammlung bis zum 31.8. des Jahres 02 stattfinden. Das ist mehr als elf Mo­nate später. Bis dahin kann sich der Wert der zu liefernden Aktien erheblich verän­dert haben.

Auch hierin liegt eine erhebliche Verkürzung der Rechte der Ausgleichsberechtigten. Während dieses Zeitraums laufen noch nicht einmal Zinsen auf.

bbb) Übergabe der Aktien

Der Vorschlag will dem Problem, Aktien an unbekannte Beteiligte leisten zu müssen (siehe oben aa)) dadurch entgehen, dass die Aktien von einem Treuhänder entge­gengenommen werden (§ 72a Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 E-UmwG i. V. m. § 71 UmwG). Damit ist das Problem jedoch nur verlagert. Es ist dann Sache des Treuhänders, die Aktien an die wirklichen Berechtigten „loszuwerden“. Ist der Berechtigte in Annahme­verzug (§§ 293 ff. BGB), kann er nach § 372 Abs. 1 BGB die Aktien hinterlegen. Wie wird das eigentlich bewerkstelligt, wenn die Aktien nur in einer bei Clearstream ver­wahrten Globalurkunde verbrieft sind?

§ 72a Abs. 5 E-UmwG schafft eine komplexe Situation. Die Aktien „entstehen in der Person des Anspruchsberechtigten“. Dennoch sind die „Aktienurkunden“ dem Treu­händer zu übergeben. Die „Aktienurkunden“ liegen in Gestalt einer Globalurkunde bei Clearstream. Wie erfolgt diese Übergabe und welche Art von Besitz hat dann der Treuhänder? Ist er nur Besitzdiener des wirklichen Berechtigten, der Besitzer wird? Bei dieser Sachlage ist kein Treuhänder mehr nötig, da dieser kein Recht im eigenen Namen für fremde Rechnung ausübt.

cc) Bewertungsfragen

Der Vorschlag unterscheidet zwischen börsennotierten (§ 72a Abs. 7 E-UmwG) und nicht börsennotierten (§ 72a Abs. 8 E-UmwG) Gesellschaften.

aaa) Nicht börsennotierte Gesellschaft

Bei nicht börsennotierten Aktien sind so viele Aktien zu gewähren, wie zur Herstel­lung des nach § 15 UmwG angemessenen Umtauschverhältnisses erforderlich sind. Diese Formulierung ist reichlich allgemein gehalten.

Beispiel 5:

Die Verschmelzung wurde zum Umtauschverhältnis von 1:0,5 durchgeführt, das heißt, für zehn Aktien an der Übertragerin gab es fünf Aktien an der Übernehmerin. Im Spruchverfahren stellt sich heraus, dass ein Umtauschverhältnis von 1:0,55 an­gemessen gewesen wäre, das heißt, für 20 Aktien an der Übertragerin hätte es elf Aktien an der Übernehmerin geben müssen. Je volle 20 Aktien eines Anspruchsbe­rechtigten ist also eine neue Aktie zu schaffen. Teilrechte sind nach Abs. 9 (mit Recht) ausgeschlossen.

Solange bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis die Aktie an der Übernehmerin ge­nauso viel wert ist wie bei Verschmelzung, ist das problemlos möglich. Ein über Jah­re kontinuierlich gleicher Aktienwert ist eher unwahrscheinlich. Was aber ist, wenn sich der Wert der Aktie an der Übertragerin verändert hat oder die Beteiligungsquote zwischenzeitlich durch Kapitalmaßnahmen verwässert wurde?

Beispiel 6:

Bei der übernehmenden Gesellschaft kam es zu einem Aktiensplitt im Zuge einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Zur Bedienung von Umtausch- bzw. Be­zugsrechten wurde bedingtes Kapital geschaffen. Gegen Bar- und Sacheinlagen wurde aus genehmigtem Kapital das Kapital der Gesellschaft erhöht.

Wie die in Ausübung der Ersetzungsbefugnis zu liefernden Aktien zu bewerten sind, lässt der Entwurf offen. Für nicht börsennotierte Gesellschaften wird keinerlei Bewer­tungsverfahren vorgegeben.

§ 72a Abs. 8 Satz 2 E-UmwG entwertet die Ersetzungsbefugnis nicht unerheblich. Dauert das Spruchverfahren fünf Jahre, so belaufen sich die Zinsen auf zwischen 25 und 30 % des geschuldeten Ausgleichsbetrags.

Zudem trifft § 72a E-UmwG (mit Recht) keine Aussage zu weiteren Schadensersatz­ansprüchen nach § 15 Abs. 2 Satz 2 UmwG.

bbb) Börsennotierte Gesellschaft

Bei börsennotierten Aktien knüpft § 72a Abs. 7 E-UmwG den „Umrechnungskurs“ zwischen barer Aufzahlung und Anzahl der zu liefernden Aktien an den „gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs dieser Aktien während der letzten drei Monate vor der Ersetzungsentscheidung der übernehmenden Aktiengesellschaft“. Die Verweisung auf § 31 WpÜG im folgenden Halbsatz trägt immerhin der Tatsache Rechnung, dass der Börsenkurs nur einen Anhalt für die angemessene Bewertung liefert. Anstelle von „Rechtsordnung“ muss es im Entwurf wohl „Rechtsverordnung“ heißen (siehe § 31 Abs. 7 WpÜG). Hier dürfte ein Diktatversehen vorliegen.

Allerdings laufen die Definitionen in § 3 Abs. 2 AktG und in § 31, § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 7 WpÜG nicht völlig parallel. Das WpÜG erfasst liquidere Märkte als der weiter gefasste Begriff der Börsennotierung in § 3 Abs. 2 AktG. Der Kurs im Freiverkehr gehandelter Aktien ist leichter manipulierbar. Dies kann zu auch verfassungsrechtlich (Art. 14 Abs. 1 GG) relevanten Defiziten im Rahmen des § 72a Abs. 7 E-UmwG füh­ren.

Problematisch ist weiter der festgelegte Bewertungszeitraum, da dieser durch die übernehmende AG manipulierbar ist. Denn maßgebend ist weder der Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung oder des Vergleichsschlusses im Spruchverfahren noch der der Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch die Gesellschaft. Es kommt nach dem Wortlaut des Vorschlags vielmehr auf die innere Willensbildung der Gesellschaftsor­gane an. Das ist nicht sachgerecht. Anknüpfungspunkt sollte die Beendigung des Spruchverfahrens sein.

dd) Notwendige Kapitalmaßnahmen

§ 72a E-UmwG lässt die Schaffung der zu liefernden Aktien sowohl durch nachträgli­che Kapitalerhöhung als auch durch (bei Fassung des Verschmelzungsbeschlusses) geschaffenes bedingtes Kapital zu. Auch die dritte Möglichkeit, nämlich die Ausnut­zung genehmigten Kapitals, wird in Betracht gezogen.

Auch die Verwendung eigener Aktien wäre möglich. In der Gesetzesbegründung soll­te klargestellt werden, dass für Zwecke des § 72a E-UmwG das Bezugsrecht der Ak­tionäre bei der Lieferung eigener Aktien ausgeschlossen werden kann.

aaa) Nachträgliche Kapitalerhöhung

(i)        Zeitpunkt

Wie oben schon angedeutet, ist der durch § 72a Abs. 11 E-UmwG geschaffene zeit­liche Spielraum zu lang. § 72a Abs. 12 E-UmwG macht zudem die Ausgleichsbe­rechtigten zu wehrlosen Opfern räuberischer Aktionäre, die den Beschluss über Ka­pitalerhöhung anfechten. Denn die dort bestimmte Dreimonatsfrist beginnt erst mit der „Bestandskraft“ (was auch immer das heißen mag) des Beschlusses. Gemeint ist wohl die Unangreifbarkeit nur mit der Anfechtungsklage, wohl nicht mit der Nichtig­keitsklage, denn sonst würde u. U. ein Zeitraum von drei Jahren vergehen müssen (§ 242 Abs. 2 Satz 1 AktG).

(ii)       Prüfung der Kapitalaufbringung

§ 72a Abs. 3 Satz 1 E-UmwG will auf diverse Erfordernisse, die für die normale Sachkapitalerhöhung gelten, verzichten. Auf die Problematik fehlender erga-omnes-Wirkung des Prozessvergleichs im Spruchverfahren und der Einlagefiktion in § 72a Abs. 2 Satz 2 lit. a) E-UmwG wurde oben bereits hingewiesen.

Ein Systembruch für das deutsche Recht und darüber hinaus europarechtlich prob­lematisch ist der Verzicht auf eine Prüfung der Sachkapitalerhöhung (die Anwendung des § 183 Abs. 3 AktG wird in § 72a Abs. 3 Satz 1 E-UmwG ausgeschlossen; siehe auch § 72a Abs. 6 Satz 2 E-UmwG). Der bislang einzige Fall gesetzlich geregelter prüfungsfreier Sachkapitalerhöhung ist der der Ausübung des Umtauschrechts bei einer Wandelanleihe, § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG. Sowohl bei der normalen Kapitaler­höhung als auch bei der Inanspruchnahme genehmigten Kapitals ist eine solche Ausnahme nicht vorgesehen. Eine analoge Anwendung des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG ist darüber hinaus auch nicht veranlasst. Im Fall der Wandelanleihe hat deren Zeichner der Gesellschaft „frisches Geld“ gewährt und übt später sein Umtausch­recht aus. Hier wird die Werthaltigkeit seines Rückzahlungsanspruchs nicht geprüft, was europarechtlich wegen der effektiven Barmittelzufuhr auch unbedenklich ist.[15] Im Fall der Einlage eines Anspruchs auf Ausgleichszahlung fehlt es jedoch an der Ge­währung frischen Geldes.

Europarechtlich verstieße ein Verzicht auf Prüfung der Sachkapitalerhöhung gegen Art. 8 Abs. 1, Art. 10, Art. 27 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie (RL 77/91/EWG v. 13.12.1976, ABI. EG vom 31.1.1977 L 26,. S. 1). Der Entwurf ersetzt auf Seite 7 in­soweit Argumente durch Behauptungen („die besseren Gründe“ – welche eigent­lich?). Selbst der im Entwurf zitierte Generalanwalt Tesauro[16] geht von der Hingabe frischen Geldes aus und verlangt für die Qualifikation als Bareinlage eine „zweifels­freie, fällige und liquide Forderung“. Abgesehen davon, dass der EuGH dem nicht gefolgt ist: Das wäre für den Ausgleichsanspruch im Spruchverfahren erst einmal zu beweisen.

Damit ist auch hier eine Prüfung durch einen gerichtlich bestellten Prüfer erforderlich. Der in § 72a Abs. 12 bestimmte Zeitraum von drei Monaten wäre dann etwas sport­lich bemessen, sprich in vielen Fällen zu kurz.

(iii) Anmeldung zum Handelsregister

Problematisch ist auch § 72a Abs. 6 E-UmwG. Es reicht nicht, wie dort in Nr. 2 vor­gesehen, die „Erklärung der Aktiengesellschaft“ über die Ausübung der Ersetzungs­befugnis vorzulegen. Erforderlich ist im Sinne des § 26 FamFG der Beleg über die erfolgte Veröffentlichung in den Gesellschaftsblättern nach § 72a Abs. 10 Satz 2 E- UmwG.

(iv) Unter-Pari-Emission

Die durch den Ausschluss des § 36a Abs. 2 Satz 3 AktG hergestellte Zulässigkeit der Unter-Pari-Emission verstößt gegen Art. 8 Abs. 1 der RL 77/91/EWG. Die so mögli­che Ausgabe von nur durch heiße Luft gedeckten Aktien ist vor dem Hintergrund un­seres bisherigen Systems der Kapitalaufbringung und -erhaltung schlichtweg aben­teuerlich.

Beispiel 7:

Der Aktienkurs der AG liegt unter dem der Betrag der baren Zuzahlung. Damit läge eine Unter-Pari-Emission vor (§ 9 Abs. 1 AktG). Gilt die Vorschrift auch hier? Aus § 72a Abs. 6 Satz 2 E-UmwG, der aber nur für die Anmeldung gilt, könnte man das Gegenteil schließen.

Beispiel 8:

Bei Abschluss des Spruchverfahrens ist die beklagte AG in Insolvenz. Der Insolvenz­verwalter könnte sich von der Zahlungspflicht einfach dadurch befreien, dass er wert­lose Aktien an die Gläubiger des Ausgleichsanspruchs ausgibt. Diese können ihren Anspruch dann nicht einmal mehr zur Tabelle anmelden. Die Quote der anderen In­solvenzgläubiger steigt durch die erzwungene Umwandlung des Ausgleichsanspruchs in Eigenkapital.

Anleger- und Gläubigerschutz scheinen offenbar gar nicht zu zählen.

(v) Kosten Verzeichnis

Der Ausschluss von § 188 Abs. 3 Nr. 3 AktG in § 72a Abs. 6 Satz 2 E-UmwG beruht wahrscheinlich auf einem Schreibversehen. Gemeint dürfte § 188 Abs. 3 Nr. 2 AktG sein. Ein Interesse des Rechtsverkehrs, etwa die Kosten des Treuhänders zu erfah­ren, die mit zu den Kosten der Ausgabe der neuen Aktien gehören, besteht sehr wohl.

bbb) Anfängliches bedingtes Kapital

Im systematisch kohärenten Kontext des deutschen Aktienrechts läge es daher allen­falls, die Befugnis zur Ausgabe von Aktien an die Inhaber eines Anspruchs auf Aus­gleichszahlung durch vor Ausübung der Ersetzungsbefugnis geschaffenes bedingtes Kapital zu sichern. Hierzu enthält der Entwurf ebenfalls Änderungsvorschläge, zu denen Folgendes zu bemerken ist.

(1)      Soweit man das geltende Recht hier nicht für bereits ausreichend hält (wofür wegen des Wortes „soll“ in § 192 Abs. 2 AktG vieles spricht), müsste zur Klar­stellung allenfalls § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG wie folgt gefasst werden:

„2. zur Vorbereitung und Durchführung eines Zusammenschlusses von Unter­nehmen. “

(2)      Einer Änderung des § 193 AktG bedarf es nicht, da sich der Umtauschkurs nach der am Börsenkurs orientierten Bewertung bestimmt.

(3)      Für dieses bedingte Kapital gilt in vollem Umfang § 194 AktG. Das heißt, im Zeitpunkt der Beschlussfassung über das bedingte Kapital ist die Werthaltigkeit des durch den Ausgang des Spruchverfahrens bedingten Ausgleichsanspruchs gegen die Gesellschaft zu prüfen. Der Vorschlag eines neuen § 194 Abs. 5 AktG ist vor dem Hintergrund der grundlegenden Systementscheidungen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts und der europäischen Rechtslage ebenso abzulehnen wie der oben unter aaa) ii) dargestellte Weg bei der ordentlichen Kapitalerhöhung.

ee) Rechtsschutzfragen

Stellt man die Frage nach dem Rechtsschutz der betroffenen Anspruchsinhaber, so zeigen sich die Defizite der Vorschläge.

Ein Bedürfnis nach Rechtsschutz kann etwa in folgenden Situationen entstehen:

(1)      Angriffe gegen die Bewertung, sei es durch Anspruchsberechtigte im Spruch­verfahren, sei es durch Aktionäre, die sich gegen ihre Verwässerung durch eine zu günstige Bewertung wehren wollen (nur bei „richtiger“ Bewertung ist der Bezugsrechtsausschluss gerechtfertigt).

(2)      Rechtsschutz gegen Leistungsstörungen bei der Lieferung der Aktien.

Die Anspruchsberechtigten im Spruch verfahren sind hierbei auf das allgemeine Schuldrecht verwiesen. Ihre Rechtsbeziehung zur Gesellschaft dürfte ein gesetzli­ches Schuldverhältnis eigener Art sein, für das jedoch weitgehend die für vertragliche Schuldverhältnisse (Rechtskauf von Aktien) geltenden Vorschriften anwendbar sind. Zuständig wären damit die allgemeinen Zivilgerichte, bei Kleinanlegern zumeist das Amtsgericht. Bei einer Vielzahl von Klägern käme es zu einer Vielzahl von Gerichts­verfahren. Hier setzt der Entwurf wohl auf die Zersplitterung und die Zermürbung der Anspruchsberechtigten. Das ist nicht unbedingt rechtsstaatlich und auch kein öko­nomischer Umgang mit der Ressource Justiz.

Den sich gegen Verwässerung wehrenden Aktionären stehen die aktienrechtlichen Instrumente zur Kontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen bzw. der einstweilige Rechtsschutz bei Inanspruchnahme genehmigten Kapitals zur Verfügung.

Vergegenwärtigt man sich die Problemlagen, zeigt sich, dass nur das vorher ge­schaffene bedingte Kapital das potenzielle Chaos verschiedener Klagen etwas ver­mindern kann. Alles andere schafft ein Eldorado für auf aktienrechtliche Streitverfah­ren spezialisierte Juristen.

III. Lösungsansätze

Denkbar scheint eine Ersetzungsbefugnis der übernehmenden Gesellschaft unter folgenden Voraussetzungen:

(1)      Die satzungsmäßige Grundlage zur Lieferung der Aktien an Berechtigte des Ausgleichsanspruchs muss bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis bereits vor­handen sein. Es gelten keine Besonderheiten für die notwendigen Kapitalmaß­nahmen bzw. die Verwendung eigener Aktien. Ein Bezugsrechtsausschluss liegt in der Natur der Sache.

(2)      Die Ersetzungsbefugnis ist bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Spruch­verfahren auszuüben. Die Aktien sind mit Rechtskraft der Entscheidung zu lie­fern. Ein Zurück gibt es nach wirksamer Ausübung der Ersetzungsbefugnis nicht mehr.

(3)      Das Spruchverfahren wird dann durch gerichtliche Entscheidung beendet, in der der Umtauschkurs bezüglich der zu liefernden Aktien mit Wirkung erga omnes festgelegt wird. Ein gerichtlicher Vergleich ist nicht mehr statthaft. Das Gericht bestimmt zugleich auch den Treuhänder. Zinsen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 UmwG können bis zur Fälligkeit des Anspruchs auf Lieferung der Aktien in den Umtauschkurs mit einbezogen werden.

 

 

[1] Zu dieser Diskussion Sibylle Hofer, Das Aktiengesetz von 1884 – ein Lehrstück für prinzipielle Schutzkonzeptionen, in: Walter Bayer/Mathias Habersack (Hg.), Aktienrecht im Wandel, Band I, Tü­bingen 2007, 388-414, 400-402 sowie Oliver Vossius, Entwicklung und Zukunft des geltenden Kapital­schutzrechts, NotBZ 2006, 373-381, 375-378, bes. Fn. 30, 33, 35, 36, 48, 57-59 zur Schicksalsstunde des deutschen Aktienrechts, der Reichstagsdebatte über die Novelle am 24.3.1884.
[2]          Heute ist dieser Ansatz in Gestalt des öffentlich-rechtlich durch die Bundesanstalt für Finanz­dienstleistungsaufsicht kontrollierten Kapitalmarktrechts zurückgekehrt. Der Verzicht auf einen Hauptversammlungsbeschluss beim übernahmerechtlichen Squeeze-out (§§ 39a ff. WpÜG) im Gegensatz zum aktienrechtlichen Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) zeigt die Austauschbarkeit öffentlich-rechtlicher und zivilrechtlicher Kontrollmechanismen deutlich.
[3]          Rudimentär besteht die direct action in den Fällen weiter, in denen gegen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen wird, wie z. B. §§ 197, 199 AktG. Gegen ein Ausufern von Haftungsgefahren aus Vertrag wirkt die inzwischen in § 93 Abs. 1 Satz 2 kodifizierte business judge- ment ruie. In der Insolvenznähe verschärft sich die Organhaftung allerdings erheblich, vgl. § 64 GmbHG.
[4]          Bis heute wirkt dieser Schutz vor allem über das Strafrecht, vgl. etwa §§ 399 AktG, 82 GmbHG.
[5]          Hierzu auch Jan Lieder, Die 1. Aktienrechtsnovelle vom 11. Juni 1870, in: Bayer/Habersack (Fn. 1), 318-387, 345.
[6]          Hofer (Fn. 1), 409-413.
[7]           Nachgerade prophetisch der der Industrie nahestehende Wilhelm Oechelhäuser, Die Nacht­heile des Aktienwesens und die Reform der Aktiengesetzgebung, Berlin 1878, S. 77 unten: „Die Indi­vidualrechte des Aktionärs sind ein zweischneidiges Schwert, das mit grosser Vorsicht gehandhabt sein will [..] Aus diesem Grunde dürfte es namentlich auch sehr bedenklich sein, dem einzelnen Aktio­när Klagerechte, behufs Herbeiführung richterlicher Inhibitorien, gegen Beschlüsse der Gesellschafts­organe, einzuräumen.“
[8]           Das Erfordernis des Widerspruchs zur Niederschrift (heute § 245 Nr. 1 AktG) geht allerdings bereits auf das HGB 1897 zurück. Die Mittel gegen die „nachgeschobene Nichtigkeitsklage“ in der jetzt anstehenden Aktienrechtsnovelle sind die jüngste rechtspolitische Neuerung auf diesem Feld.
[9]          Siehe etwa § 62 Abs. 5, Abs. 4 Satz 2 UmwG, § 39a WpÜG.
[10]           Siehe etwa die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde im Fall Porsche/Piëch, hierzu http://beck-aktuell.beck.de/news/bgh-bestaetigt-piech-hat-pflichten-als-aufsichtsrat-der-porsche- holdinq-verletzt.
[11] Hierzu Rieger in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 62 UmwG Rz. 6.
[12] BGH v. 25.2.1982, II ZR 174/80, BGHZ 83, 122-144 = ZIP 1982, 568-575 (Holzmüller): BGH v. 26.4.2004, II ZR 154/02, ZIP 2004, 1001-1003 (Gelatine I).
[13]               So wörtlich die Begründung des Entwurfs der Aktiennovelle 1884, zitiert bei Hofer (Fn. 1), 403.
[14]               Ganz h. M., siehe nur Wälzholz in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Anhang 13, § 13 SpruchG Rz. 5.1 mit weit. Nachw.
[15]               Siehe Fuchs in Münchner Kommentar/AktG, 3. Aufl. 2011, § 194 Rz. 7-8.
[16]               Schlussanträge im Verfahren EuGH Rs. C-83/81, ZIP 1992, 1036, 1044.

 

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