Generalanwalt: Notarielle Beurkundung ist öffentliche Gewalt, Staatsangehörigkeitsvorbehalt aber unverhältnismäßige Diskriminierung.
In den Vertragsverletzungsverfahren gegen die Notarordnungen zahlreicher Mitgliedstaaten (u.a. Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Luxemburg) hat Generalanwalt Cruz Villalön seine Schlussanträge veröffentlicht. Notarielle Tätigkeiten werden uneingeschränkt unter die Bereichsausnahme des Art. 51 AEUV (bisher: Art. 45 EG) subsumiert. Der Notar nehme „allgemein und als Ganzes“ in unmittelbarer und spezifischer Weise an der Ausübung öffentlicher Gewalt teil. Erst die notarielle Beurkundung, die in allen beklagten Staaten den unabtrennbaren Kern der notariellen Tätigkeit darstelle, verleihe nämlich einer privaten Handlung einen spezifischen und unmittelbar vom Staat abgeleiteten hoheitlichen Charakter. Die EU-Grundfreiheiten sowie die Berufsanerkennungsrichtlinie könnten deshalb auf notarielle Berufsausübungsregeln grundsätzlich keine Anwendung finden. Weil aber vorliegend das Staatsangehörigkeitserfordernis, d.h. eine offene und schwerwiegende Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in Rede stehe, solle im Lichte der Regeln über die Unionsbürgerschaft der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anwendung finden.
Mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes – Große Kammer – ist im ersten Halbjahr 2011 zu rechnen.