Stellungnahme vom 25.09.2020
Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf einer Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie.
A. Allgemeine Einschätzung zu der Verlängerung der Maßnahmen
Aus Sicht der notariellen Praxis haben sich die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen des COVID-19-Folgengesetzes – genauer die §§ 1 bis 5 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.3.2020 – im Wesentlichen bewährt und konnten die negativen Auswirkungen der Pandemie im unternehmensrechtlichen Bereich zumindest zum Teil abmildern. Vor dem Hintergrund des nicht abzuschätzenden und jedenfalls derzeit weiterhin dynamischen Infektionsgeschehens begrüßen wir daher grundsätzlich die Verlängerung dieser Ausnahmeregelungen bis zum Ende des Jahres 2021.
Hat der Gesetzgeber für die bestehende Ausnahmesituation zwar ein praxistaugliches Instrument zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaften geschaffen, sei an dieser Stelle nochmals der Ausnahmecharakter der Maßnahmen und damit einhergehend deren zwingende Befristung betont. Als Vorbild eignen sich die Sonderregelungen weiterhin nicht, da sich die umfangreichen Beschränkungen insbesondere der mitunter europarechtlich bzw. grundgesetzlich vorgeprägten Aktionärsrechte (z.B. Reduzierung der Auskunftsrechte auf eine bloße Fragemöglichkeit und die weitreichenden Einschränkungen des Anfechtungsrechts) allenfalls mit der aktuellen Ausnahmesituation und den öffentlichen Beschränkungen rechtfertigen lassen.[1]
Aus Sicht der notariellen Praxis regen wir im Zuge der geplanten Verlängerung der Ausnahmeregelungen bei Einzelpunkten noch Anpassungen an, sehen aber zugleich auch Erweiterungsbedarf.
B. Zur virtuellen Hauptversammlung nach dem COVID-19-Folgengesetz
Durch § 1 Abs. 2 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG) hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, unabhängig von einer satzungsmäßigen Grundlage die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft (AG) gänzlich ohne physische Präsenz der Aktionäre als virtuelle Hauptversammlung durchzuführen, sofern die Mindestanforderungen von § 1 Abs. 2 Nummern 1 bis 4 GesRuaCOVBekG erfüllt sind.
I. Weitgehende Einschränkung des Rede- und Fragerechts nach § 131 AktG selbst in epidemiologischen Ausnahmelagen nicht erforderlich
Die Durchführung der virtuellen Hauptversammlung nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG führt zu einem weitgehenden Eingriff in die Kernrechte der Aktionäre, was angesichts des verfassungsrechtlichen Ranges einer sorgfältigen Begründung und Rechtfertigung bedarf. Durch § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GesRuaCOVBekG wurde für die virtuelle Hauptversammlung die Möglichkeit geschaffen, das Auskunftsrecht nach § 131 Abs. 1 AktG durch eine bloße Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation zu ersetzen. Dabei kann der Vorstand vorgeben, dass die Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung einzureichen sind (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 GesRuaCOVBekG). Ein Anspruch auf Auskunft haben die Aktionäre dabei nicht, nur eine bloße Chance. Denn ob der Vorstand Fragen beantwortet, entscheidet er nach „pflichtgemäßem, freiem Ermessen“ (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 GesRuaCOVBekG).
Von dem Wahlrecht, dass Fragen nur bis zwei Tage vor der Versammlung elektronisch einzureichen sind, wurde in der Praxis flächendeckend Gebrauch gemacht, da die Vorabeinreichung der Fragen im Vorfeld der Hauptversammlung eine erhebliche Vereinfachung der Verwaltung zur Folge hat und eine sinnvolle Strukturierung der Antworten ermöglicht. Hinsichtlich der Befristungsmöglichkeit kann zur Begründung gewiss auch herangezogen werden, dass epidemiologische Ausnahmesituationen kein hinreichend personalintensives Backoffice zulassen. Nach unserem Dafürhalten stehen einer Verlängerung der Ausschlussfrist i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 GesRuaCOVBekG insoweit keine grundlegenden Bedenken entgegen.
Schwieriger wird es hingegen bei der gegenüber § 131 AktG weitgehend gelockerten Pflicht zur Beantwortung der Fragen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 GesRuaCOVBekG). Diese erhebliche Beschränkung eines wesentlichen Aktionärsrechts wird in der Gesetzesbegründung zum ursprünglichen COVID-19-Folgengesetz vom 27.3.2020 noch damit begründet, dass nicht vorhergesehen werden könne, in welchem Umfang die Fragemöglichkeit genutzt werde und dabei „eine Flut von Fragen“ sowie „inhaltlich inakzeptablen Entwürfen“ denkbar seien.[2] Schon der damaligen ex ante Beurteilung konnte zu Recht entgegengehalten werden, dass diese Problematik gleichsam bei Präsenz-Hauptversammlungen auftritt und wirksame Möglichkeiten des Versammlungsleiters hiergegen bestehen (s. §§ 129, 131 AktG).[3] Aus Sicht der notariellen Praxis haben zudem die Erfahrungen mit den diesjährigen virtuellen „COVID-19-Hauptversammlungen“ gezeigt, dass sich die Sonderregelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 GesRuaCOVBekG nicht bewährt hat und eine Beantwortung der Fragen nach Maßgabe des § 131 AktG durchführbar und zumutbar ist. Hinzu kommt, dass das Kriterium der Beantwortung der Fragen nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 GesRuaCOVBekG – eine Kombination aus „pflichtgemäßem“ (Hinweis auf mögliche Kontrolle der Ermessensausübung) und „freiem“ (nicht justiziable Entscheidung) – in sich widersprüchlich und damit in praxi mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftet ist.
Nach unserem Dafürhalten sollte der Gesetzgeber es daher bei der Beantwortung der Fragen mit dem § 131 AktG bewenden lassen und insoweit auf eine Verlängerung der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 GesRuaCOVBekG verzichten. Dies gilt umso mehr, als damit auch etwaigen europarechtlichen (s. Art. 9 Abs. 1 und 2 Aktionärsrechte-RL) und verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet werden könnte. Hieran ändert auch die insoweit bemerkenswerte Begründung nunmehr des vorliegenden GesRGenRCOVMVV nichts, wenn sie die Empfehlung ausspricht, dass der „Vorstand das ihm zustehende pflichtgemäße und freie Ermessen dahingehend ausüben [möge], möglichst viele der eingereichten Fragen auch zu beantworten“.[4]
II. Verkürzte Einberufungsfrist nicht erforderlich (§ 1 Abs. 3 GesRuaCOVBekG)
Im Anwendungsbereich des COVID-19-Folgengesetzes ist die Hauptversammlung nach dem nun zur Verlängerung stehenden § 1 Abs. 3 S. 1 GesRuaCOVBekG spätestens am 21. vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Damit wird die reguläre Mindesteinberufungsfrist von 30 Tagen gemäß § 123 Abs. 1 S. 1 AktG erheblich verkürzt. Mag die verkürzte Ladungsfrist mit Blick auf die zuweilen zu beobachtende pandemiebedingte Schockstarre im zweiten Quartal 2020 noch sinnvoll gewesen sein, hat sie diesen Sinn zwischenzeitlich verloren. Uns ist jedenfalls kein Argument ersichtlich, warum ein Unternehmen, das eine virtuelle Hauptversammlung abhalten will, nicht die reguläre Frist des § 123 Abs. 1 AktG einhalten könne.
Wir regen daher an, die verkürzte Einberufungsfrist nicht zu verlängern und auch bei virtuellen Hauptversammlungen zu dem regulären Einberufungsverfahren nach § 123 AktG zurückzukehren.
III. Zur Haftungsfreistellung nach § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG
Mit § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG wurde ein weitreichender Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeiten bei Verstößen u. a. gegen § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG eingeführt, der lediglich unter dem Vorbehalt des Vorsatznachweises steht.
Auch diesbezüglich stehen wir einer Verlängerung der Sonderregelung, jedenfalls in dieser Absolutheit, kritisch gegenüber. Wird eine der Mindestanforderungen i. S. d. § 1 Abs. 2 Nummern 1 bis 4 GesRuaCOVBekG gänzlich nicht erfüllt, dürfte dem Aktionär zwar regelmäßig der nach § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG notwendige Vorsatznachweis gelingen. Dafür, dass etwa die in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG normierte Schwelle der groben Fahrlässigkeit für technische Störungen im Rahmen von virtuellen Hauptversammlungen nicht gelten soll,[5] erscheint hingegen kein Rechtfertigungsgrund ersichtlich, sondern dürfte vielmehr zur Verunsicherung der Aktionäre beitragen. Auch im Übrigen dürften die weitreichenden Einschränkungen des Anfechtungsrechts, etwa in Bezug auf die Reduzierung des Auskunftsrechts, nur schwer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sein; auch deshalb sollte „sicherheitshalber“ von einer Verlängerung der systemwidrigen Haftungsfreistellung jedenfalls in dieser weitreichenden Fassung abgesehen werden.
C. Umwandlungsrecht; Verlängerung der Bilanzstichtagsfrist auch für Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln (§§ 57c ff. GmbHG; §§ 207 ff. AktG)
Mit § 4 GesRuaCOVBekG ist die in § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG geregelte achtmonatige Regelfrist für den Stichtag der Schlussbilanz vor dem Tag der Anmeldung auf zwölf Monate verlängert worden. Diese Verlängerung auf ein Jahr gilt nun unverändert auch für das Jahr 2021, was der Kohärenz der gesellschaftsrechtlichen „COVID-19-Maßnahmen“ dient und zu begrüßen ist.
Nachdem sich diese Sonderregelung in der epidemiologischen Ausnahmezeit aus Sicht der notariellen Praxis bewährt hat, regen wir angesichts der jeweiligen Vergleichbarkeit der Situation mit der des Umwandlungsrechts an, eine entsprechende Fristverlängerung auf ein Jahr auch für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln sowohl bei der GmbH (§§ 57c ff. GmbHG) als auch bei der Aktiengesellschaft (§§ 207 ff. AktG) zu kodifizieren. Eine Ausdehnung der Achtmonatsfrist auf ein Jahr für die dem Kapitalerhöhungsbeschluss zugrunde zu legende Bilanz betrifft normativ
- bei der GmbH: § 57e GmbHG sowie die §§ 57f Abs. 1 S. 2 und 57i Abs. 2 GmbHG;
- bei der AG: § 209 AktG sowie § 210 Abs. 2 AktG.
Die Verlängerung des Bilanzstichtags auch in diesen Fällen ist nach unserem Dafürhalten nur konsequent und dient der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.
D. Schuldverschreibungsgesetz (Gläubigerversammlung)
Trotz der Vergleichbarkeit der Gläubigerversammlung nach §§ 5 ff. SchVG sind diese Versammlungen auch künftig grundsätzlich nur als Präsenzversammlung zulässig.
Hier wäre ebenfalls eine entsprechend befristete Sonderregelung für epidemiologische Ausnahmelagen, die eine Versammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz ohne physische Präsenz der Gläubiger ermöglicht (z. B. mittels einer entsprechenden Anwendung des § 118 AktG), wünschenswert. Dies gilt gleichsam für die Gläubigerversammlung nach der Insolvenzordnung (§ 74 ff. InsO).
Fußnoten:
[1] Vgl. Vossius, notar 2020, 177, 180 f.; Herrler, DNotZ 2020, 468 ff.; Wälzholz/Bayer, DNotZ 2020, 285 ff. jew. mit weit. Nachw.
[2] Begr. BT-Drucks. 19/18110, S. 26.
[3] S. etwa Vossius, notar 2020, 177, 180.
[4] Begründung Referentenentwurf GesRGenRCOVMVV, S. 6.
[5] So etwa Herrler, DNotZ 2020, 468, 501.