Stellungnahme vom 12.11.2018
Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie.
Wir begrüßen die Ziele der Reform, die durch ein Mehr an Transparenz und an Mitwirkungsmöglichkeiten die viel beklagte rationale Apathie der Kleinanleger überwinden will. Unsere Anregungen beschränken sich daher auf Details und folgen im Wesentlichen dem Aufbau des Entwurfs.
1. Klarstellung bei der Gesellschafterliste (§ 67 Abs. 2 Satz 1 AktG-E)
Die Neufassung des § 67 Abs. 2 Satz 1 AktG-E, wonach im Verhältnis zur Gesellschaft bestehende Rechte und Pflichten aus Aktien nur für den im Aktienregister Eingetragenen bestehen, dient in erster Linie der Klarstellung (Seite 56 der Entwurfsbegründung[1]). Dasselbe Klarstellungsbedürfnis besteht indes für § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, eine Norm, deren Formulierung sich bewusst „an das Regelungsmuster des § 67 Abs. 2 AktG“ anlehnt.[2] Insoweit regen wir an nachzuziehen. Andernfalls birgt dies das Risiko einer abweichenden Auslegung dieser Vorschriften.
Bei dieser Gelegenheit könnte im Übrigen auch der Anregung des Bundesrats Rechnung getragen werden, die Zuständigkeit für die Gesellschafterliste allein Notaren zu überantworten. Gäbe es nur noch eine solche von einer neutralen staatlichen Stelle erteilte Gesellschafterliste würde dies auch ermöglichen, einen gutgläubigen lastenfreien Erwerb von Geschäftsanteilen zu regeln, was die Rechtssicherheit erhöhen und Transaktionskosten vermindern würde („Gesellschafterliste 3.0“).[3]
2. Hinterlegung effektiver Aktienstücke beim Notar (§ 67 Abs. 4 AktG-E)
Noch immer scheint in Deutschland die Hinterlegung effektiver Aktienstücke beim Notar als Möglichkeit genutzt zu werden, um die Teilnahmeberechtigung an Hauptversammlungen nachzuweisen. So hat der Unterzeichner jahrelang die Aktien des Alleinaktionärs einer luxemburgischen Société Anonyme verwahrt, damit der Aktionär seine Teilnahmeberechtigung an Hauptversammlungen belegen konnte.
Fraglich ist, ob damit der Aktien verwahrende Notar zum Intermediär im Sinne des Entwurfs wird. Unseres Erachtens fällt der Notar schon deshalb nicht unter § 67a Abs. 4 AktG-E, da er nicht als Dienstleister, sondern nach § 23 BNotO hoheitlich tätig wird. Dennoch würden wir eine entsprechende Klarstellung begrüßen, sei es im Gesetz, sei es in der Begründung.
3. Klarstellung bei Geschäften mit nahestehenden Personen (§ 111a Abs. 1 Nr. 1 AktG-E)
Wir empfehlen, vor dem Wort „überlassen“ die Worte „zur Nutzung“ einzufügen, um den sonst entstehenden Eindruck eines Pleonasmus zu vermeiden.
4. Stimmrechtsausschluss beim Beschluss der Hauptversammlung über die Zustimmung zu einem Geschäft mit einer nahestehenden Person (§ 111b Abs. 4 Satz 2 AktG-E)
Bei einem Beschluss der Hauptversammlung über die Zustimmung zu einem Geschäft mit einer nahestehenden Person (im Falle der Verweigerung der Zustimmung durch den Aufsichtsrat) dürfen die an dem Geschäft beteiligten nahestehenden Personen ihr Stimmrecht nicht ausüben (§ 111b Abs. 4 Satz 2 AktG-E). Im Sinne einer einheitlichen Handhabung mit dem Tatbestand des Stimmrechtsauschlusses nach § 136 Abs. 1 AktG sollte auch in den von § 111b Abs. 4 Satz 2 AktG-E erfassten Fällen das Stimmrecht in der Hauptversammlung nicht für andere ausgeübt (im Wege der Stimmbotschaft) werden dürfen.
Wir regen daher an, das Wort „nicht“ zu ersetzen durch die Worte „weder für sich noch für einen anderen“ zu ersetzen.
5. Veröffentlichung des Beschlusses und der Vergütungspolitik (§ 120a Abs. 2 AktG-E)
In § 120a Abs. 2 AktG-E sollten die Worte „und datiert“ entweder durch die Worte „unter Angabe des Beschlussdatums“ ersetzt oder ganz gestrichen werden. Im Gegensatz zu Art. 9a Abs. 7 der Richtlinie 2017/828 könnte man die Umsetzung sonst so verstehen, dass nicht das Datum des Beschlusses, sondern das der Veröffentlichung gemeint ist. Ohnedies gehört zu einem Beschluss nicht nur sein Inhalt, sondern auch, wer ihn wann gefasst hat.
6. Auskunftsrecht des Aktionärs über Stimmzählung (§ 129 Abs. 5 AktG-E)
Die Vorschrift betrifft auch viele kleine Gesellschaften, bei denen durch Handaufheben oder durch Zuruf abgestimmt wird. Um sich für die Zukunft zu rüsten, wird deren Protokollführer (Notar oder Vorsitzender des Aufsichtsrates) stets namentlich abstimmen lassen.
7. Sprachliche Klarstellungen sowie Sanktionsbewehrung bei Offenlegungspflichten (§§ 134a bis 134d AktG-E)
Begrüßenswert ist, dass der Entwurf bestimmte Formulierungen der Richtlinie nicht übernimmt, wie z. B. „unmissverständlich“ in Art. 3g Abs. 1 Satz 1, 3h Abs. 2 Satz 2 RL 2017/828. Über eine solche Formulierung könnten Sprachphilosophen trefflich diskutieren, denn eine „unmissverständliche Sprache“ gibt es nicht.
Dennoch erstaunt die Sprache des Entwurfs unter einem anderen Aspekt der sprachlichen Gestaltung von Rechtsvorschriften. Die §§ 134b bis 134d AktG-E verwenden den Indikativ Präsenz. Dieser ist indes Programmsätzen vorbehalten. Unzweifelhaft verlangt die Richtlinie vom deutschen Gesetzgeber aber Sollenssätze. Sollenssätze, die die Normunterworfenen zu etwas verpflichten, werden in deutschen Rechtsvorschriften allerdings üblicherweise mit „müssen“, „haben“ oder „sind“ normiert. Die Normen sollten daher entsprechend formuliert werden. Hierdurch kann u. U. sogar der Text kürzer werden. Beispielhaft sollte § 134b Absatz 4 AktG-E wie folgt gefasst werden:
„Sofern institutionelle Anleger oder Vermögensverwalter die Vorgaben der Absätze 1 bis 3 nicht oder nicht in vollem Umfang erfüllen, haben sie dies zu begründen.“
Zudem ist nur das Vorhalten der hiernach geforderten Erklärungen auf der Internetseite (bzw. teilweise alternativ auch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger) nach § 405 Abs. 2a Nrn. 8 bis 10 AktG-E sanktionsbewehrt, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit (mit Ausnahme der Offenlegung von Interessenkonflikten nach § 134d Abs. 4 AktG-E gem. § 405 Abs. 2a Nr. 11 AktG-E, die auch bei inhaltlicher Unrichtigkeit bußgeldbewehrt sind). Alle diese Erklärungen können jedoch den betroffenen Gesellschaften Anhaltspunkte für ein mögliches treuwidriges Stimmverhalten von Stimmrechtsberatern liefern. Wie die Erfahrung lehrt, ist dies ansonsten praktisch nur sehr schwer nachzuweisen.
Im Sinne der Erleichterung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaften nach § 826 BGB läge es, die entsprechenden Normen erstens als Sollenssätze im o. g. Sinne zu formulieren und zusätzlich auch hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der veröffentlichten Erklärungen eine Sanktionsbewehrung vorzusehen.
Methodisch nicht nur interessant, sondern eher fragwürdig ist die aus der Richtlinie stammende Verweisung auf einen „Verhaltenskodex“ in § 134d Abs. 1 AktG-E. Was ein „Kodex“ ist, definiert die Richtlinie nicht. Es ist auch alles andere als klar. Dem Wortsinn nach ist Kodex eine Ansammlung verschiedener Schriften (im Mittelalter Handschriften) in Buchform, wie z. B. der Codex Aureus oder der Codex Manesse. Kodifikatorischen Charakter (auch das ist ein kaum zu definierender Begriff) hat etwa der Codex Iuris Canonici als Kodifikation des katholischen Kirchenrechts. Im EU-Recht begegnet uns der Begriff als Bezeichnung für die Verordnung (EU) 952/2013 – der Unionszollkodex.
Das ist hier wohl nicht gemeint. Was aber dann? Ein Kodex könnte auch eine Sammlung selbstgegebener Regeln sein, also interne Anweisungen des Stimmrechtsberaters selbst. Das wäre allerdings nicht sachgerecht. Da an die Beachtung oder Nichtbeachtung des § 134a AktG-E sekundäre Rechtsfolgen anknüpfen können (vgl. oben), sollte zumindest der deutsche Gesetzgeber der vagen Begrifflichkeit des EU-Rechts die klare Bestimmung von Außenschranken der Privatautonomie geben.[4]
Daher sollte präzisiert werden, dass Stimmrechtsberater nicht nur erklären müssen, welchen Kodex sie anwenden, sondern dessen Normgeber, Normadressaten, Norminhalt und Normverbindlichkeit angeben. Weiter ist zu regeln, wann eine Ansammlung von Sollenssätzen (Normen) einen „Kodex“ in diesem Sinne bildet. Anhaltspunkte hierfür lassen sich in der Kodifikationsgeschichte finden.[5] Zugegeben stellt solches gegenüber dem „European Vulgar Law“ des EU-Rechts (im Sinne von Ernst Levy[6]) einen qualitativ erheblichen Sprung dar. Diesen sind wir unserer Rechtsgeschichte jedoch schuldig. Der Deutsche Corporate Governance Kodex dürfte ein „Kodex“ im vorbeschriebenen Sinne sein.
Fußnoten:
[1] Siehe insbesondere die Begründung zu Art. 1 Nr. 1 a) aa) am Ende: „Die Neuformulierung ändert inhaltlich nichts, sondern verhindert lediglich Fehlinterpretationen im genannten Sinne.“
[2] Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, S. 37.
[3] Näher zu diesem Vorschlag und den damit verbundenen Vorteilen siehe unsere Stellungnahme zum Entwurf der GesLV vom 30.10.2017, dort am Ende unter Nr. 13 (abrufbar unter https://www.dnotv.de/stellungnahmen/verordnung-ueber-die-ausgestaltung-der-gesellschafterliste/).
[4] Zur Bedeutung von Außenschranken des Rechts anstelle von durch uferlose Generalklauseln gesetzten Innenschranken für eine liberale Rechtsordnung vgl. Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 1968, zitiert nach der 7. Aufl. Tübingen 2012, 364 f. (§ 19 V. 2.).
[5] Siehe etwa Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, § 19 (S. 323-347). Sehr lehrreich hierzu auch Joachim Rückert, Das BGB und seine Prinzipien, Einleitung zum Historisch-Kritischen Kommentar zum BGB, 2003, S. 34-122, bes. 64-68: Kodex als ein nach Prinzipien geordnetes System positiver Rechtssätze.
[6] Nach Ernst Levy, West Roman Vulgar Law: The Law of Property, in: Memoirs of the American Philosophical Society vol. 29, Philadelphia 1951.