Stellungnahme vom 16.10.2003
Der Deutsche Notarverein nimmt die Gelegenheit zur Stellungnahme dankend wahr.
1. Allgemeine Bewertung
Der Deutsche Notarverein hält das Rechtsberatungsgesetz (in seiner Fassung vom 21. Juni 2002) auch unter Berücksichtigung neuer gesellschaftlicher Bedürfnisse nicht nur für verfassungsrechtlich gerechtfertigt, sondern im Grundsatz auch für verfassungsrechtlich geboten.
Dies bezieht sich auf die derzeitigen rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen in der Rechtsanwaltschaft. Solange ihr im Mandanten- und im Allgemeininteresse besondere Rechte zugewiesen und besondere Pflichten auferlegt sind, verdient sie aus Gründen der Chancengleichheit einen geschützten Bereich.
Der Bereich der Rechtsbesorgung ist damit durch ein Zwei-Säulen-Modell zum Schutz von Verbrauchern und anderen Rechtsuchenden geprägt: Einerseits wird mit der Rechtsanwaltschaft ein Beruf geschaffen, dessen berufliche Rechte und Pflichten nicht allein eine bestimmte fachliche Qualität, sondern auch weitere Rahmenbedingungen sichern sollen. Die zweite Säule besteht darin, all jene grundsätzlich von der Rechtsberatung und Rechtsbesorgung auszuschließen, die diesen Status nicht haben, weil sie diesen Status wegen fehlender Voraussetzungen nicht erlangen können oder wegen der damit verbundenen Pflichten nicht erlangen wollen. Beide „Säulen“ sind mit Eingriffen in grundrechtliche Positionen verbunden, die gerechtfertigt sein müssen.
2. Rechtfertigung des Rechtsberatungsgesetzes durch den Gesetzeszweck
Indem der Gesetzgeber durch das Rechtsberatungsgesetz die geschäftsmäßige Rechtsberatung grundsätzlich nur durch Rechtsanwälte zulässt (objektive Zugangsbeschränkung in Form des Tätigkeitsverbots für andere), greift er in die allgemeine Handlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit oder die Berufsfreiheit des Bürgers ein. Die Rechtfertigung für diesen Eingriff wird im Gesetzeszweck deutlich: Das RBerG sichert eine qualifizierte unabhängige Beratung und Vertretung der Beteiligten in deren Interesse durch eine Berufsgruppe (Rechtsanwälte), der besondere Pflichten auferlegt sind.
Diese rechtfertigende Schutzrichtung zeigt sich in Folgendem:
2.1 durch Festlegung subjektiver Voraussetzungen beim Zugang zum Anwaltsberuf (z.B. Zweites Juristisches Staatsexamen oder Anerkennungsverfahren);
2.2 durch die Haftung für Beratungsfehler und eine Pflichtversicherung, die die Werthaltigkeit von Ersatzansprüchen garantiert;
2.3 durch ein Berufsrecht, dessen Beschränkungen sich vom Recht der Gewerbetreibenden deutlich abheben und bis in das Strafrecht hineinreichen;
2.4 durch permanente Aufsicht;
2.5 durch die grundsätzliche Bindung an eine Gebührenordnung.
Die Pflichten der Rechtsanwälte im Rahmen der zu 2.1. bis 2.5 bestehenden Regelungen korrespondieren mit der Rechtfertigung der Exklusivität des Rechtsberatungsgesetzes. Mit der Zwangsläufigkeit eines Systems kommunizierender Röhren würde eine Senkung des berufsrechtlichen Standards dazu führen, dass die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Rechte von Nicht-Anwälten neu zu prüfen wäre.
3. Wegfall der Rechtfertigung durch Unterlaufen des Gesetzeszwecks?
Eine Absenkung berufsrechtlicher Standards könnte freilich zur Folge haben, dass auch Sonderrechte nicht mehr gerechtfertigt sind. Je weniger der Gesetzgeber eine bestimmte Qualifikation oder einen bestimmten Status als Voraussetzung der Tätigkeitsaufnahme in einem bestimmten Bereich festlegt, desto weniger gerechtfertigt sind die Auflagen zu Lasten derjenigen, die (noch) dem Beruf angehören. Mit einer unbedachten Öffnung des Rechtsberatungsgesetzes würde sich der Gesetzgeber des Rechtfertigungsgrundes für berufsrechtliche Auflagen an Rechtsanwälte begeben. Darin liegt die eigentliche Gefahr für den Verbraucherschutz:
Aus der Sicht des Verbrauchers ist der Rechtsberatungsmarkt kein vollkommener Markt im Sinne der ökonomischen Theorie. Zum einen besteht eine erhebliche Informationsasymmetrie, was das Wissen der Nachfrager über die Leistungsfähigkeit und die Kosten des Anbieters anbelangt. Zum anderen ist ein echter Leistungsvergleich („beauty contest“) für den Nachfrager schon zeitlich nicht darstellbar und wird vom Markt für Standardprodukte („Allgemeinkanzlei“) auch nicht angeboten. Es ist daher Schutzaufgabe des Staates, Rahmenbedingungen festzulegen, unter denen diese sensiblen Leistungen angeboten werden dürfen.
Im Folgenden sollen Bereiche, in denen rechtliche Interessen wahrgenommen werden, auf Gefährdungspotential für den Gesetzeszweck von Berufsrecht und Rechtsberatungsgesetz untersucht werden:
3.1 Rechtsberatung und die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Kreise der Familie und der Freunde gefährdet dieses Ziel nicht. In der Ehe sowie unter Verwandten in gerader Linie können Rechtsberatung und rechtliche Betreuung u.U. geschuldeten Naturalunterhalt darstellen.
3.2 Unentgeltliche Hilfe in schwierigen Lebenslagen aus altruistischen Motiven entspricht einem moralischen Postulat unserer christlich abendländischen Kultur (vgl. das Gleichnis vom barmherzigen Samariter). Im Einzelfall – weil nicht geschäftsmäßig – ist auch die Rechtsberatung in diesem Bereich zulässig. Problematisch für den Wunsch nach geschäftsmäßiger altruistischer Rechtsberatung in den bestehenden Strukturen könnte allenfalls die regelmäßig angestrebte Unentgeltlichkeit sein. Die Berufs- und Kostenordnungen der rechtsberatenden Berufe sehen vor, dass grundsätzlich die gesetzlichen Gebühren zu erheben sind. Dies wird aber durch ein komplexes System der Prozesskostenhilfe, der Beratungshilfe und des Gebührenerlasses aufgrund sittlicher Pflichten ergänzt. Ziel dieser begleitenden Vorschriften ist, einen Anspruch auf entgeltliche Rechtsberatung der rechtsuchenden Bevölkerung zu schaffen. Auch wer bedürftig ist, soll sich einen Rechtsanwalt nehmen können, der ihm gegenüber ebenso verpflichtet ist wie gegenüber einem „reichen“ Mandanten. Der Anspruch auf qualifizierten Rechtsrat darf nicht dadurch politisch unterlaufen werden, dass auf mildtätig gewährte Unterstützung verwiesen werden kann.
3.3 Rechtsberatung durch Idealvereine ist weit verbreitet (z.B. im Arbeitsrecht durch Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände, im Mietrecht durch Mieter- bzw. Haus- und Grundbesitzervereine, im Verbraucherrecht durch Verbraucherverbände, im Bereich der Landwirtschaft durch Bauernverbände, durch Kammern, Berufsverbände, genossenschaftliche Prüfungsverbände usw.).
Diese Form der Rechtsberatung hat in unserer Gesellschaft eine große Bedeutung erlangt, nicht so sehr wegen überragender inhaltlicher Qualität als wegen
(i) mangelnder Transparenz der mit ihrer Inanspruchnahme verbundenen konkreten und Gemeinkosten für den Beratenen bzw.
(ii) wegen ihrer massiven Subventionierung durch die steuerliche Privilegierung der Träger dieser Beratung (und der damit verbundenen massiven Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe). Über Vereinsbeiträge lassen sich Rechtsberatungskosten steuerlich absetzbar machen, die sonst zu den Kosten der Lebensführung gehören würden. Zudem müssen die Träger der Beratung keine Steuern bezahlen, auch nicht für die Rechtsberatungstätigkeit, während die Steuerlast der rechtsberatenden Berufe dank der geplanten Gemeindewirtschaftsteuer jedenfalls in den Ballungsräumen noch steigen wird. Schließlich werden
(iii) die Kosten der Rechtsberatung hier von allen Verbandsmitgliedern quersubventioniert. Darüber hinaus stellt sich
(iv) bei der Frage der Haftung die Frage nach der insoweit bestehenden Anspruchsgrundlage (Vertrag oder Gefälligkeit). Überdies erfolgt die Beratung
(v) primär im Interesse des Verbandes und nicht im Interesse des Individuums, was schon die Abgrenzung zum wirtschaftlichen Verein gebietet.
3.4 Rechtsberatung erscheint oft als bestehende, vermeintliche oder mindestens praeter legem in Anspruch genommene Annexkompetenz anderer Freier Berufe (z.B. der StB/WP, der Architekten, der Umweltsachverständigen etc.). Auch hier stellt sich das Problem der Kostenintransparenz. Zudem wirkt sich die Beratungstätigkeit auf die Leistungserbringung in den Kernbereichen dieser Berufe aus, da die dort notwendigen unabhängigen Entscheidungen des Berufsträgers von Beratungen im einseitigen Parteiinteresse vorgeprägt sind. Paradigmatisch hierfür sind die nicht erst seit ENRON und Fanny Mae problematischen Verquickungen zwischen Beratungs- und Prüfungstätigkeit von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die die Gefahr eines unwiederbringlichen Verlusts von Vertrauenskapital in sich bergen.
3.5 Rechtsberatung erscheint schließlich als Annex gewerblicher Tätigkeit, wenn rechtliche (insbesondere steuer- und erbrechtliche) Aspekte für die Entscheidung unter bestimmten Produkten ausschlaggebend sind. Zu nennen sind hier Banken, Versicherungen, Anlage- und Vermögensberater, Versicherungsmakler, Vertreiber von Anlageprodukten usw. Denkbar ist Rechtsberatung aber auch bei der Abwicklung von Versicherungsfällen. Hier gehen die Kosten der Rechtsberatung vollends in den allgemeinen Vertriebskosten auf und werden über Provisionen, Bankgebühren oder Versicherungsprämien vom Verbraucher bezahlt bzw. von den Verbrauchern quersubventioniert, die diese Leistungen nicht oder nicht in demselben Maße in Anspruch nehmen. Die hier gegebene Rechtsberatung ist primär vertriebsorientiert, das heißt am gewerblichen Interesse des Beraters und nicht am Interesse des Mandanten ausgerichtet. Allerdings wird die Vertriebsorientierung dem Verbraucher gegenüber typischer Weise verdeckt, z.B. durch Bezeichnungen wie „Vermögensberatung“ oder „Nachfolgeplanung“.
3.6 Denkbar ist Rechtsberatung schließlich in „echter“ Konkurrenz zur Anwaltschaft („Winkeladvokatur“). Dass diese Berufsform selbst einem Volljuristen verschlossen sein sollte, dürfte unstreitig sein.
Diese Analyse zeigt zweierlei: Ein echtes Monopol besteht nur noch im Bereich des Anwaltszwangs nach § 78 ZPO, ein im Rechtsberatungsmarkt zunehmend weniger relevanter Bereich.
Vor allem die Kostenintransparenz der Mitbewerber, die steuerliche Quersubventionierung von Wettbewerbern der Anwaltschaft, die Defizite im Haftungsregime der Mitbewerber und nicht zuletzt die nicht offen gelegte Interessenkollision in der Person des Beraters schwächen die Marktposition der Anwaltschaft.
4. Mögliche Maßnahmen des Gesetzgebers
Der Gesetzgeber könnte auf diese Entwicklung mit einer Freigabe des Rechtsberatungsmarktes reagieren und nur noch bestimmte Bereiche der eigenen Kontrolle unterwerfen, indem er dort etwa die notarielle Beurkundung vorsieht oder ein gerichtliches Registrierungs- und Prüfungsverfahren vorschreibt. Der Preis wäre aber, dass sich berufsrechtliche Beschränkungen im anwaltlichen Bereich als nicht mehr verfassungsmäßig erweisen könnten und dann der dadurch garantierte Drittschutz entfiele.
Die deshalb näherliegende Reaktion wäre, die bereits eingetretenen wirtschaftlichen Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, etwa wie folgt:
(1) Schaffung gleicher steuerlicher Rahmenbedingungen für die Kosten von Rechtsberatung, unabhängig davon, ob sie von Rechtsanwälten oder von Verbänden erbracht werden. Das kann zu einer Einschränkung des Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzugs für Beiträge zu Kammern und Berufsverbänden (einschließlich der Verbände im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG) führen, insbesondere dadurch, dass individuelle Beratungsleistungen dieser Verbände, die ein Äquivalent auf dem allgemeinen Beratungsmarkt haben, nur im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art erbracht werden dürfen. Diese Maßnahme dürfte zugleich ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zum Abbau wettbewerbsverzerrender Subventionen sein.
(2) Klarstellung im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass alle Rechtsberater und ihre Träger für Beratungsfehler nach den selben Regeln haften, die für Rechtsanwälte gelten, Gefälligkeitsverhältnisse mithin für die Fallgruppen 3.2. bis 3.6. ausgeschlossen sind, d.h. auch für die „altruistische“ Beratung. Wenn unentgeltliche Beratung eine Frage der Ideologie wird, sind die Gefahren des Interessenkonflikts bekanntlich am größten.
(3) Verbot der Mischkalkulation in der Rechts- und Wirtschaftsberatung, d.h. gesonderter Ausweis der entstehenden Kosten für Beratungsleistungen (außerhalb von Vertriebsprovisionen, Prüfungsgebühren, Steuerberaterhonoraren etc.). Diese Kosten müssen den mit der Beratung verbundenen Aufwand decken, was zugunsten des Beraters dann vermutet wird, wenn das Beratungshonorar der Vergütung entspricht, die ein Rechtsanwalt für dieselbe Leistung erhalten hätte.
Diese Mittel sind aber nur geeignet, die Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Sie sind hingegen nicht geeignet, den durch das Berufsrecht garantierten Schutz für die „nicht-anwaltliche“ Beratung und Rechtsbesorgung zu gewährleisten.
Diese Mittel wirken insbesondere nicht dem Interessenkonflikt in der Person des Beraters zwischen den Interessen des Mandaten und seinen eigenen Interessen entgegen. Hier bleibt keine andere Möglichkeit als das Verbot. Selbst eine gesetzliche Vermutung des Interessenkonflikts bei Beratung durch Nichtanwälte mit der daraus folgenden Beweislastumkehr im Haftpflichtfall reicht nicht aus; denn die Haftpflichtsanktion ist für ein Großunternehmen ein wegen des Massengeschäfts kalkulierbares Risiko, da in einer Vielzahl von Fällen die Betroffenen aus Angst vor gerichtlichen Schritten zurückschrecken werden. Hier würden nur „punitive damages“ helfen, um den kalkulatorischen Vorteil abzuschöpfen. Dies wäre jedoch ein deutlich tieferer Einschnitt in unser Rechtssystem als die Abfederung berufsrechtlicher Auflagen durch eine maßvoll eingeschränkte Exklusivität, wie sie das Rechtsberatungsgesetz gewährt.
5. Fazit
Aufgrund dieser Abwägungen ist der Deutsche Notarverein zu folgender Überzeugung gelangt: Solange der Staat zu Recht seine Verantwortung für den Verbraucherschutz durch berufsrechtliche Regelungen wahrnimmt, ist er – einerseits zum Schutz der regelunterworfenen Berufe, andererseits aber auch und gerade zum Schutz der Rechtssuchenden – gehalten, eine angemessene Ausschließlichkeit der Rechtsberatung und Rechtsbesorgung für diejenigen festzulegen, die sich durch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft diesen Regeln unterwerfen.
Daher besteht derzeit kein Anlass, Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes zu lockern.
Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.