Stellungnahme vom 30.12.2003
Ich komme zurück auf unser Gespräch in Ihrem Hause über eine mögliche Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für das Notarrecht vom Bund auf die Länder im Rahmen der Föderalismusreform. Es war unser Eindruck, dass das Bundesministerium der Justiz diesem Ansinnen selbst kritisch gegenübersteht
Da sich unterdessen die Kommission von Bundesrat und Bundestag zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung konstituiert hat, hat das Thema weiter an Dynamik gewonnen. Die öffentliche Expertenanhörung am 12. Dezember 2003 und die in diesem Zusammenhang erstellten Gutachten haben ein uneinheitliches Bild gezeichnet. Eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der Übertragung der Gesetzgebungszuständigkeit für das Notarrecht hat dabei leider nicht stattgefunden. Wir mussten allerdings feststellen, dass in zwei der Gutachten (Prof. Dr. Peter Huber und Prof. Dr. Arthur Benz) ohne nähere Begründung das Notarrecht zum Spielball föderaler Experimente gemacht werden soll. Ein Gutachten (Prof. Dr. Rupert Scholz) schlägt vor, die Zuständigkeit für die Regelung des Notariats aus der konkurrierenden Gesetzgebung in die Rahmengesetzgebung zu übertragen. Prof. Dr. Hans Meyer kann sich in seinem Gutachten allenfalls vorstellen, aus dem Bereich des Notariatswesens „die personellen Bezüge“ herauszunehmen. In den übrigen vier Gutachten wird das Notarrecht nicht behandelt. Keines der Gutachten geht auf den Zusammenhang zwischen materiellem Recht und Notarrecht ein, so dass eine Auseinandersetzung mit den von uns bereits vorgetragenen Gründen, die gegen eine Übertragung des Notarrechts auf die Länder (bzw. entsprechende Öffnungs- oder Experimentierklauseln) sprechen, unterbleibt. Dies ist aus Sicht des Deutschen Notarvereins zu bedauern.
Dabei ist unser Eindruck, dass das Notarrecht keineswegs im Mittelpunkt der Diskussion steht. Vielmehr wird eine grundlegende Reform angestrebt, die der von allen Mitgliedern der Kommission sowie den Experten bemängelten einseitigen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hin zu einem immer unitarischeren Bundesstaat entgegenwirkt. Mit der Föderalismusreform soll eine klarere Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern erreicht werden; die Landtage sollen wieder einen größeren legislativen Gestaltungsspielraum erhalten. Dieses Ziel begrüßt der Deutsche Notarverein. Die Übertragung der Kompetenz für das Notarrecht würde hierzu indes nichts beitragen. Verschiedene Mitglieder der Bundesstaatskommission haben sich in ihren Wortmeldungen entsprechend (wenngleich eher beiläufig) geäußert. Gleichwohl oder gerade weil der Spielraum des Gesetzgebers im Notarrecht als nicht besonders groß eingeschätzt zu werden scheint, befürchten wir, dass die Kompetenz Notarrecht vom Bund geopfert werden könnte.
Um dies zu vermeiden, komme ich auf Ihre Anregung zurück, andere Kompetenzen aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Artikel 74 Abs. 1 GG zu benennen, die sich aus unserer Sicht für eine Übertragung auf die Länder eignen könnten. Wir haben uns bei den nachstehenden Vorschlägen vom Ziel der Föderalismusreform, wie es im Einsetzungsauftrag der Bundesstaatskommission formuliert ist, leiten lassen: Hiernach soll die Reform die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern verbessern, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zuordnen sowie die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung steigern. Vor diesem Hintergrund scheint es uns von zentraler Bedeutung zu sein, die einzelnen Kompetenztitel des Artikel 74 Abs. 1 GG vorbehaltlos und kritisch zu untersuchen. Der Deutsche Notarverein hält die Übertragung folgender Kompetenztitel aus dem Katalog des Artikel 74 Abs. 1 GG auf die Länder für geeignet und sachgerecht:
• Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG – Strafvollzug: Der Strafvollzug ist aus unserer Sicht keine Kompetenz, die bundesrechtliche Regelungen erfordert, zumal die Strafvollstreckung als Teil des gerichtlichen Verfahrens nicht unter diesen Kompetenztitel fällt. Analysiert man die verschiedenen Titel des Strafvollzugsgesetzes von der Planung des Vollzuges bis zu den sozialtherapeuthischen Anstalten, so lässt sich das Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung schwerlich feststellen. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die mit dem Strafvollzug beabsichtigte Resozialisierung eine wichtige Staats- und ordnungspolitische Aufgabe ist. Aber es ist zu beachten, dass das Strafvollzugsrecht eine in besonderem Maße durch die Rechtsprechung der Fachgerichte und insbesondere des Bundesverfassungsgerichts geprägte Rechtsmaterie ist. Ob der im wesentlichen grundrechtlich vorgegebene Rahmen dabei vom Bund oder von den Ländern ausgefüllt wird, sollte danach beurteilt werden, welche Ziele mit dem Strafvollzug erreicht werden sollen. Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Resozialisierungsgedanke). Außerdem dient der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (Präventionsgedanke). Aufgrund der verschiedenen ökonomischen und sozialen Probleme und Besonderheiten in den Bundesländern können die vorstehenden Ziele in verschiedenen Bundesländern am besten durch einen auf die landestypischen Besonderheiten abgestellten Strafvollzug erreicht werden. Der Strafvollzug wird bereits trotz des bundesrechtlichen Rahmens in den Ländern unterschiedlich gehandhabt. Es wäre nur konsequent, den Gestaltungsspielraum, der zur Zeit allein bei den Landesjustizverwaltungen besteht, durch eine Stärkung der Kompetenz der Landtage zu ergänzen. Eine Übertragung der Kompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer würde auch der Kritik der Länder am Regierungsentwurf zum strafrechtlichen Sanktionenrecht Rechnung tragen. Der zusätzliche Spielraum, den der Gesetzentwurf Richtern bei Strafen im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität einräumen soll, würde sich in der korrespondieren Möglichkeit der Länder, den Strafvollzug zu gestalten, widerspiegeln.
• Wie auch Prof. Dr. Rupert Scholz in seinem Gutachten zutreffend herausgearbeitet hat, eignet sich die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG dafür, komplett in die Zuständigkeit der Länder überführt zu werden. Hierfür spricht nicht nur der enge Zusammenhang mit dem ohnehin landesrechtlich geregelten Polizeirecht, sondern auch der stabile grundrechtliche Rahmen, der das Versammlungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland kennzeichnet.
• Aus dem Recht der Wirtschaft (Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) eignen sich Bergbau und Gewerbe für eine Kompetenzverlagerung. Für Bergbau leuchtet dies schon angesichts seiner lediglich regionalen Bedeutung ein; in Hamburg oder Bremen findet Bergbau überhaupt nicht statt. Will man hin zu mehr Wettbewerb im Föderalismus muss den Ländern die Möglichkeit zurückgegeben werden, auch wirtschaftlich relevante Bereiche zu regeln und so unterschiedliche Anreize und Bedingungen für gewerbliche Tätigkeit zu schaffen. Gleiches gilt für den Bereich der außerschulischen beruflichen Bildung. Dagegen erscheint – anders als von Prof. Dr. Arthur Benz in seinem Gutachten vorgetragen – eine Übertragung der Gesetzgebungszuständigkeiten für das Handwerk gerade nicht sachgerecht. Hierdurch würde ein „race to the bottom“ in den Ländern beginnen, der nicht im gesamtstaatlichen Interesse läge.
• Aus dem Katalog des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 17 GG eignen sich neben der Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung, die Sicherung der Ernährung sowie die Hochsee- und Küstenfischerei für eine Übertragung in die Gesetzgebungszuständigkeit der Bundesländer. Während die Sicherung der Ernährung in der Anfangszeit der Bundesrepublik noch eine wichtige Rolle gespielt und eine bundeseinheitliche Regelung erfordert haben mag, ist diese Kompetenz mittlerweile praktisch bedeutungslos. Dagegen kann durch die Übertragung der anderen vorstehenden Kompetenzen ein durchaus nennenswerter gesetzgeberischer Spielraum für die Länder geschaffen werden. Insbesondere den Flächen- und Küstenstaaten sollte es erlaubt sein, die Land- und Forstwirtschaft und die Fischerei so zu gestalten, wie es den regionalen Anforderungen am besten entspricht.
• Artikel 74 Abs. 1 Nr. 18 GG – Landwirtschaftliches Pachtwesen: Die vollständige Übertragung dieser Kompetenz auf die Länder gäbe diesen die Möglichkeit durch kreatives gesetzgeberisches Handeln Impulse in der Landwirtschaft zu setzen, was vor allem für ländlich geprägte Bundesländer von Interesse sein könnte.
• Die Zuständigkeit für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG nennen die meisten Experten als weitere Zuständigkeit, die in die Länderverantwortung übergehen soll. Dem schließt sich der Deutsche Notarverein an.
• Auch die Kompetenz für die Abfallbeseitigung und die Lärmbekämpfung (Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) eignet sich nach unserer Auffassung für eine Übertragung auf die Länder. Aufgrund der hier zu lösenden Fragen und Konflikte mit in aller Regel nur regionaler Auswirkung, erscheinen landesrechtliche Lösungen wünschenswert und sachgerecht. Dagegen erscheint uns die in demselben Kompetenztitel genannte Luftreinhaltung für eine Regionalisierung weniger geeignet, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass einzelne Länder versuchen könnten, ihre Probleme in diesem Bereich auf Kosten anderer Länder zu lösen.
Erlauben Sie mir, auf eine Aussage von Prof. Dr. Dieter Grimm bei der konstituierenden Sitzung der Kommission zurück zu kommen. Prof. Grimm merkte an, dass nach seiner Beobachtung bis vor kurzem dann, wenn die Sprache auf das Grundgesetz kam, von einer der besten Verfassungen der Welt gesprochen wurde. Nun habe er den Eindruck, dass aus einer der besten Verfassungen ohne Änderung des Verfassungstextes eine der schlechtesten geworden sei. Dies Beobachtung bringt meines Erachtens den Stimmungswechsel auf den Punkt. Sie sollte uns aber auch zu Selbstkritik befähigen.
Ein einheitliches Notarrecht in Deutschland ist erforderlich, um der Schlüsselstellung, die das bundeseinheitliche materielle Recht der notariellen Beurkundung in vielen wichtigen Bereichen, wie zum Beispiel dem Liegenschafts-, Gesellschafts-, Familien- oder Erbrecht, einräumt, gerecht zu werden. Auch das bundeseinheitliche Verfahrensrecht spricht der notariellen Urkunde eine besondere Rechtsqualität zu. Eine notarielle Urkunde hat nach §§ 415, 437 ZPO die Vermutung der Richtigkeit und Echtheit für sich. Im Hinblick auf die prozessuale Bedeutung notarieller Urkunden sind an das Verfahren der Errichtung dieser Urkunden keine geringeren Anforderungen zu stellen, als an das Verfahren vor einem staatlichen Gericht. Es ist auch Aufgabe des Notarrechts, die rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien zu sichern. Würde die Kompetenz für diese Rechtsmaterie auf die Länder übertragen, könnten diese rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien kaum mehr in allen Bundesländern gleichermaßen gesichert werden. Eine uneinheitliche Qualität notarieller Urkunden in den verschiedenen Bundesländern wäre die Folge. Dies läge weder im Interesse der Länder noch des Bundes. Ein zersplittertes Notarrecht in Deutschland kann ebenso wenig hingenommen werden, wie verschiedenartig ausgestaltete Gerichtsverfahren in den Bundesländern hingenommen werden könnten. Es wäre für den Rechtsstaat unerträglich, wenn Gerichtsurteile aufgrund von Verfahrensunterschieden nicht in allen Bundesländern anerkannt und vollstreckt könnten. Ebenso abträglich wäre es, wenn die Rechtsqualität notarieller Urkunden aufgrund regionaler Unterschiede des Notarrechts – ähnlich wie in der Schweiz – von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich beurteilt würde. Die Rechtszersplitterung würde in diesem Falle zu einer großen Rechtsunsicherheit führen.
Das Notarrecht ist damit in besonderem Maße ungeeignet für eine Übertragung auf die Länder. Da zugleich genügend andere, bisher nicht ausreichend diskutierte Regelungsbereiche aus dem Kompetenzkatalog der konkurrierenden Gesetzgebung für die Übertragung auf die Länder in Frage kommen, besteht auch kein politisches Bedürfnis dafür, dass der Bund das Notarrecht preisgibt.
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