Stellungnahme vom 01.03.2004
Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit, noch vor der Sitzung des Wettbewerbsfähigkeitsrates am 11. März 2004 mit ersten Anmerkungen zum Richtlinienentwurf Stellung zu nehmen.
Der Deutsche Notarverein begrüßt das Ziel des Richtlinienentwurfs, die bestehenden Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und für die Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern durch Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung zu beseitigen. Der Abbau von überflüssigen Genehmigungserfordernissen und die transparente und nicht diskriminierende Ausgestaltung der verbleibenden können einen wichtigen Beitrag zu einem funktionierenden Binnenmarkt für Dienstleistungen in Europa leisten. Der Richtlinienentwurf geht allerdings weit über das gesteckte Ziel hinaus und erscheint in der Konsequenz sogar kontraproduktiv. Nach Ansicht des Deutschen Notarvereins bedarf der Entwurf in der vorgelegten Fassung noch grundlegender Überarbeitung.
Anstatt gezielt Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr ins Visier zu nehmen, überzieht der Entwurf das gesamte wirtschaftliche Leben in der Europäischen Union mit einem Regulierungsapparat, der nach Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Vereinbarkeit mit dem bestehenden Europarecht in seiner Tragweite überhaupt nicht abschätzbar ist. Angesichts des vorliegenden Entwurfs steht zudem zu befürchten, dass sich 90 Prozent der Regulierungen allein im nationalen Bereich auswirken. Ein solch grundlegender Eingriff in die nationalen Rechtsordnungen in der Hoffnung, damit den zur Grenzüberschreitung wenig willigen Dienstleistungsverkehr anzukurbeln, ist nicht verhältnismäßig und lässt den Grundsatz der Subsidiarität außer Acht.
Als Beispiel für die Tragweite, mit der in das Recht der Mitgliedstaaten eingegriffen wird, ohne dass eine den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität oder auch nur den Zielen der Richtlinie verpflichtete Regelung zu erkennen ist, lässt sich Artikel 28 des Richtlinienentwurfs aufführen: Nach dieser Bestimmung müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass jeder Dienstleister dem Dienstleistungsempfänger umfassende Informationen über das bestehende Gewährleistungsrecht zur Verfügung stellt. Hier soll zum einen für den Bereich der Dienstleistungen eine vertragliche Nebenpflicht geschaffen werden, ohne dass die Unterschiede im Haftungsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten Berücksichtigung finden. Zum anderen erscheint nicht einsichtig, dass es förderlich für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr sein soll, wenn ein Dienstleister, der beispielsweise im Nachbarland eine kleine Reparatur durchführen möchte, den Empfänger der Dienstleistung in die Einzelheiten des einschlägigen Gewährleistungs-, Verjährungs- und Prozessrechts einweihen soll: Hiermit wird vielmehr eine bisher nicht bestehende Barriere für den freien Dienstleistungsverkehr aufgebaut.
In anderen Punkten bleibt der vorliegende Entwurf zudem unklar: So ist beispielsweise das Verhältnis des Richtlinienentwurfs zu einer zukünftigen Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen undurchsichtig. Die in der Begründung des Richtlinienentwurfs vorgebrachte Einschätzung, die beiden Vorschläge seien „uneingeschränkt kohärent“ vermag nicht zu überzeugen: Nur weil beide Entwürfe ein Ziel (Erleichterung der Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit) und eine Grundidee (Herkunftslandprinzip) gemeinsam haben, ist – anders als die Entwurfsbegründung suggeriert – nicht gewährleistet, dass ohne eine ausdrückliche Abgrenzung der Anwendungsbereiche eine klare, nachvollziehbare und vorhersehbare Abstimmung beider Richtlinien gelingen kann.
Neben den hier nur angerissenen grundsätzlichen Kritikpunkten bestehen notarspezifische Bedenken, die sich aus dem von der Kommission verfolgten horizontalen Ansatz ergeben. Die gewählte Regelungstechnik wird in der Begründung des Richtlinienentwurfs damit gerechtfertigt, dass die bestehenden rechtlichen Schranken, die einem wirklichen Binnenmarkt für Dienstleistungen im Wege stehen, oft unterschiedliche Tätigkeitsbereiche gleichzeitig betreffen und viele gemeinsame Merkmale besitzen.
So wünschenswert eine umfassende und effektive Verwaltungsvereinfachung ist, so wichtig ist es bei der Wahl eines horizontalen Ansatzes, den Anwendungsbereich präzise auszugestalten. Wenn mit einem horizontalen Regelungsinstrument – wie im vorliegenden Richtlinienentwurf – für den Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs zudem das Herkunftslandprinzip eingeführt werden soll, ist sicherzustellen, dass die angestrebte Verwaltungsvereinfachung nicht das hohe Schutzniveau nationaler Verfahren aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gefährdet. Zudem sollte für die Bereiche der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit auf die Kohärenz der Regelungen geachtet werden. Vor diesem Hintergrund möchte der Deutsche Notarverein auf zwei aus notarieller Sicht zentrale Gesichtspunkte des Richtlinienentwurfs eingehen.
1. Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs
Mit dem Richtlinienentwurf soll ein sehr weiter Bereich wirtschaftlicher Tätigkeiten erfasst werden, darunter auch freiberufliche Tätigkeiten wie die in Erwägungsgrund 16 erwähnte „Rechts- und Steuerberatung“. Auf die notarielle Tätigkeit ist der vorliegende Richtlinienentwurf dagegen nicht anwendbar: Eine Richtlinie kann wie jede Norm des Sekundärrechts die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nur soweit ausgestalten, wie die Grundfreiheiten nach dem EG-Vertrag reichen. Für diejenigen Tätigkeiten, die Artikel 45 EGV vom Anwendungsbereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ausnimmt, kann die vorgeschlagene Dienstleistungsrichtlinie keine Regelungen treffen. Nach zutreffender Ansicht fällt die notarielle Tätigkeit unter die Bereichsausnahme des Art. 45 EGV. Eine zukünftige Dienstleistungsrichtlinie ist damit auf Notare nicht anwendbar.
Dies gilt unabhängig davon, ob die Richtlinie im Text, in den Erwägungsgründen oder in der Begründung auf Artikel 45 EGV verweist. Somit ist es letztlich ohne Bedeutung, dass im veröffentlichten Text des Richtlinienentwurfs der in den bereits seit einiger Zeit zirkulierenden Arbeitsfassungen noch enthaltene Verweis auf Artikel 45 EGV nicht mehr enthalten ist und sich der entsprechende Hinweis jetzt nur noch in der Begründung findet.
Gleichwohl fordert der Deutsche Notarverein, die Nichtanwendbarkeit der Richtlinie auf Notare ausdrücklich klarzustellen. Denn die bislang unangefochtene rechtliche Einordnung der notariellen Tätigkeit in wird jüngster Zeit von Seiten der Europäischen Kommission in Frage gestellt: Zum einen ist in diesem Zusammenhang auf das zuletzt in einem weiteren Aufforderungsschreiben der Kommission vom 10. Juli 2002 in Aussicht gestellte Vertragsverletzungsverfahren gegen den Staatsangehörigkeitsvorbehalt für Notare in § 5 BNotO hinzuweisen. Zum anderen bezieht die Kommission in ihrem Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen vom 9. Februar 2004 (KOM (2004) 83 endg.) Notare undifferenziert in ihre Untersuchung ein und kommt dabei aufgrund falscher Prämissen zu unzutreffenden Ergebnissen. In beiden Fällen lässt die Kommission dabei Verständnis für die besondere Stellung der Notare lateinischer Prägung vermissen:
Der Notar in Deutschland übt – ebenso wie die Notare in den meisten kontinentaleuropäischen Staaten – ein öffentliches Amt aus. Der Notar nimmt unmittelbar staatliche Aufgaben wahr und übt öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 45 EGV aus. An dieser Tatsache ändert sich nichts durch die Form der Ausübung des Notaramtes. In Deutschland übt der Notar sein Amt überwiegend wirtschaftlich selbstständig aus; allerdings gibt es in Baden-Württemberg auch ein staatliches Notariat. Die wirtschaftliche selbstständige Ausübung des Notaramtes führt dabei zu einer besonders effizienten Erledigung der notariellen Amtsgeschäfte. Die Form der Berufsausübung ist lediglich ein dienendes Element; sie dient dem Amt. Der Notarberuf kann daher nur eingeschränkt als freier Beruf bezeichnet werden. Die Bezeichnung trifft allenfalls auf die Ausübungsform zu; funktional ist der Notar der hoheitlichen freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzurechnen.
Die Aufforderungsschreiben der Kommission zum Staatsangehörigkeitsvorbehalt wie auch der Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen hingegen differenzieren nicht zwischen dem Notar als Träger eines öffentlichen Amtes und einem sonstigen Freiberufler. Die Kommission geht davon aus, dass der Freiberufler (wie ja für Apotheker, Architekten oder Rechtsanwälte zutreffend) seinen Beruf grundsätzlich ohne staatliche Regulierung ausüben könnte und in dieser Freiheit – aus welchen Gründen auch immer – durch staatliche Regulierung eingeschränkt wird. Genau dies trifft aber auf den Notar nicht zu. Den Beruf des Notars kann es aufgrund der von ihm ausgeübten staatlichen Funktionen ohne staatliche Regelung überhaupt nicht geben. Staatliche Regelungen beschränken den Notar nicht, sondern eröffnen ihm erst sein Arbeitsfeld. Dies drückt sich in einer Reihe von im Vergleich mit echten Freiberuflern abweichenden Regelungen aus, von denen hier einige aufgezählt seien:
- Der Notar kann nur auf den Gebieten tätig werden, die ihm vom Gesetz als Tätigkeitsfeld zugewiesen werden; ihm nicht zugewiesene Tätigkeiten sind ihm untersagt;
- der Notar nimmt überwiegend Aufgaben wahr, insbesondere die Aufgabe, öffentliche Urkunden zu errichten, die gar nicht existieren würden, wären sie nicht vorher vom nationalen Gesetzgeber geschaffen worden; schafft der nationale Gesetzgeber die Aufgabe ab, kann es – anders als bei den eigentlich freien Berufen, z. B. Ärzten, Architekten und anders als bei gewerblichen Dienstleistern, z. B. Bäckern, Gärtnern, IT-Dienstleistern – auch den Beruf des Notars nicht mehr geben;
- der Notar wird zur Ausübung seines Amtes vom Justizminister des Landes bestellt;
- das Verhältnis zwischen Notar und Klient basiert nicht auf Zivilrecht, sondern ist ein öffentlich-rechtliches Verfahrensrechtsverhältnis;
- die Zahl der Notarstellen wird vom Staat kraft seiner Organisationsgewalt bestimmt; ausschließliches Kriterium bei der Bestimmung sind die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege.
Aufgrund dieser vollständig anderen Ausgangslage kann der Notar nicht undifferenziert in eine Regelung für Freiberufler klassischer Prägung einbezogen werden, ohne dass den skizzierten Besonderheiten Rechnung getragen wird. Wollte man die im Richtlinienentwurf vorgeschlagenen Regelungen auch auf den Notar als Träger eines öffentlichen Amtes anwenden, hätte dies gravierende Folgen für den Notarberuf und die freiwillige Gerichtsbarkeit insgesamt:
So würde es beispielsweise Artikel 14 Nr. 2 des Richtlinienentwurfs verbieten, einem ausländischen Notar, der in Deutschland tätig werden möchte, die Mitgliedschaft in der örtlichen Notarkammer abzuverlangen. Ebenso wenig könnte nach Artikel 14 Nr. 5 des Richtlinienentwurfs der beabsichtigten Niederlassung eines ausländischen Notars in einem bestimmten Amtsbereich entgegengehalten werden, dass es dort keinen Bedarf an der Schaffung einer neuen Notarstelle gibt. Damit wäre den Landesjustizverwaltungen eine vorausschauende Notarstellenplanung, die in Deutschland Teil der grundgesetzlich geschützten Justiz- und Personalhoheit der Länder ist und die die Versorgung der Bevölkerungen mit den Leistungen der vorsorgenden Rechtspflege garantiert, unmöglich.
Die Möglichkeit der Kontrolle und die Disziplinargewalt durch Notarkammern und Aufsichtsbehörden, die zur hohen Qualität der notariellen Versorgung in Deutschland entscheidend beitragen, wären bei den ausländischen Notaren nicht gegeben. Ohne diese öffentlich-rechtlichen Bindungen und Kontrollen ist kaum vorstellbar, dass den errichteten Dokumenten die Rechtsnatur der öffentlichen Urkunde zukommen soll, begründet sich doch die besondere Natur und Funktion der öffentlichen Urkunde aus ihrer Errichtung durch einen Amtsträger, der bestimmten Bindungen und Kontrollen unterliegt. Das Ergebnis wäre dann eine „Urkunde zweiter Klasse“. Dies wäre ein großer Schritt zurück, ist doch die notarielle Urkunde heute ein über Grenzen hinweg verkehrsfähiges und effizientes Mittel der Rechtsdurchsetzung. Dem in diesem Fall drohenden Qualitätsverlust für den Rechtsuchenden und für die Justiz steht kein ersichtlicher Vorteil gegenüber.
Angesichts der dargestellten Haltung der Europäischen Kommission hält es der Deutsche Notarverein für wünschenswert, die Nichtanwendbarkeit der Richtlinie auf Notare im Richtlinientext ausdrücklich klarzustellen. Vorbild für eine entsprechende Klarstellung könnte aus Sicht des Deutschen Notarvereins die entsprechende Bestimmung im Bericht des Europäischen Parlaments zur Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen sein. Das Europäische Parlament hat vorgeschlagen, Artikel 2 der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen um einen weiteren Absatz mit dem Wortlaut „Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Notare.“ zu ergänzen. Dem Vorschlag des Europäischen Parlaments liegen ausweislich der Begründung des entsprechenden Änderungsantrages weitgehend auch die oben skizzierten Überlegungen zugrunde. Aus Sicht des Deutschen Notarvereins wäre es deshalb richtig, Artikel 2 des Richtlinienentwurfs um eine weitere Nummer zu ergänzen, die etwa lauten könnte: „Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Notare.“ Alternativ könnte wie in Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe d) der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr formuliert werden: „Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Notare oder Angehörige gleichwertiger Berufe, soweit diese eine unmittelbare und besondere Verbindung zur Ausübung öffentlicher Befugnisse aufweisen.“
2. Ausnahmeregelungen vom Herkunftslandprinzip
Der Richtlinienentwurf sieht für die Dienstleistungsfreiheit das Herkunftslandprinzip vor. Nach Artikel 16 Absatz 1 des Richtlinienentwurfs hat jeder Mitgliedstaat dafür Sorge zu tragen, dass ein Dienstleistungserbringer hinsichtlich der Aufnahme und Ausübung der Dienstleistung, ihrer Qualität oder ihres Inhalts, der Werbung, der Verträge, des Verhaltens und der Verantwortlichkeit der Dienstleistungserbringer nur den jeweiligen nationalen Bestimmungen des Herkunftslandes unterliegt. In Artikel 17 Nr. 14 ist eine Ausnahme für diejenigen Rechtsakte vorgesehen, für die die Mitwirkung eines Notars gesetzlich vorgeschrieben ist.
Die Ausnahmebestimmung kann nach ihrem Wortlaut und nach der Begründung, in der von notariellen Akten die Rede ist, nur so verstanden werden, dass dem Erfordernis der notariellen Beurkundung oder Beglaubigung nach nationalem Recht das Herkunftslandprinzip nicht entgegengehalten werden kann. Beispielsweise könnte sich demnach ein im Ausland ansässiger Unternehmer, der in Deutschland die Eintragung einer Zweigniederlassung in das Handelsregister beantragt, nicht darauf berufen, dass er dies in seinem Heimatland auch privatschriftlich könne. Genauso wenig könnte ein Immobilienmakler, der in seinem Heimatstaat auch den Kaufvertrag gestaltet, sich gegenüber der Beurkundungspflicht in Deutschland auf das Herkunftslandprinzip berufen. Einem Unternehmer, der in seinem Heimatland ohne Mitwirkung eines Notars Vorratsgesellschaften zum Verkauf gründet und diese Dienstleistung auch in Deutschland anbieten möchte, könnten die Formvorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts ebenso entgegengehalten werden wie dem ausländischen Rechtsanwalt, der wie in seinem Heimatland auch in Deutschland die Umwandlungen oder Kapitalerhöhungen „aus einer Hand“ anbieten möchte.
Der Deutsche Notarverein begrüßt, dass mit der Ausnahmeregelung in Artikel 17 Nr. 14 des Richtlinienentwurfs der Tatsache Rechnung getragen werden soll, dass in diesem Bereich eine undifferenzierte Anwendung des Herkunftslandprinzips die Funktionsfähigkeit zentraler Schutzmechanismen des deutschen Rechts gefährden würde. Allerdings greift die vorgesehene Ausnahmeregelung zu kurz und ist zudem unklar und umständlich formuliert:
Die Beschränkung der Ausnahmeregelung auf Rechtsakte, für die die Mitwirkung eines Notars gesetzlich vorgeschrieben ist, ist umständlich formuliert und wirft unnötige Qualifikationsprobleme auf. Ist etwa in Deutschland die notarielle Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages „gesetzlich vorgeschrieben“ im Sinne des Richtlinienentwurfs, obwohl eine abweichende Rechtswahl möglich ist? Wenn die Regelung in Artikel 17 Nr. 14 des Richtlinienentwurfs – wie nach Begründung und systematischer Stellung nahe liegend – notarielle Urkunden sachbezogen vom Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips für den freien Dienstleistungsverkehr ausnehmen soll, ist nicht einsichtig, warum das nicht auch so formuliert werden kann. Artikel 17 Nr. 14 des Richtlinienentwurfs könnte dann etwa lauten „notarielle Urkunden“.
Unabhängig von seiner Formulierung greift Artikel 17 Nr. 14 des Richtlinienentwurfs zu kurz: Die Vorschrift ist nach Wortlaut und Systematik eine Ausnahme von den Bestimmungen zum freien Dienstleistungsverkehr in den Artikeln 16 ff. des Richtlinienentwurfs. Eine entsprechende Ausnahmeregelung für die Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit in den Artikeln 5 ff. enthält der Richtlinienentwurf dagegen nicht. Systematisch drängt sich der Schluss auf, dass für den Bereich der Niederlassungsfreiheit die Richtlinie auch für solche Rechtsakte gelten soll, für die das nationale Recht ein Erfordernis der notariellen Beurkundung oder Beglaubigung vorschreibt.
Das würde bedeuten, dass beispielsweise ein Dienstleistungserbringer, der zum Zweck der Niederlassung in Deutschland den Sitz seiner Personen- oder Kapitalgesellschaft nach Deutschland verlegen will, nach Artikel 6 Buchstabe a) des Richtlinienentwurfs auch die Eintragung ins Handelsregister bei dem zu schaffenden „einheitlichen Ansprechpartner“ erledigen kann. Die nach deutschem Recht vorgeschriebene notarielle Beglaubigung der Anmeldungen zum Handelsregister könnte nicht mehr gefordert werden. Die Ansiedlung neuer Beglaubigungskompetenzen bei der als einheitlicher Ansprechpartner zu schaffenden Stelle würde nicht nur dem Ziel den Staat zu verschlanken zuwiderlaufen und erhebliche Subventionen erfordern, sondern würde den Erfordernissen der Richtlinie nur vorübergehend Genüge tun: Nach Artikel 8 des Richtlinienentwurfs Nr. 1 müsste die Anmeldung zum Handelsregister ab 2008 in elektronischer Form möglich sein – die öffentlich beglaubigte Form als Garant für die hohe Qualität des deutschen Handelsregisters könnte nicht mehr verlangt werden. In der vorliegenden Form hat der Richtlinienentwurf somit erhebliche Auswirkungen auf das System der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Deutschland und gefährdet die Qualität der deutschen Register.
Der Richtlinienentwurf liefert weder im Text noch in der Begründung einen Grund für die unterschiedliche Behandlung von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Ein solcher Grund ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr liegt ein offensichtlicher Wertungswiderspruch darin, dass ein Dienstleister, der nur gelegentlich oder vorübergehend Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringen will, mit guten Gründen die in diesem Mitgliedstaat bestehenden Beurkundungs- und Beglaubigungserfordernisse erfüllen muss, während derjenige, der sich mit der Niederlassung für eine dauerhafte Teilnahme am Wirtschaftsleben des anderen Mitgliedstaats entscheidet, ebendies verweigern kann.
Aus den vorgenannten systematischen Erwägungen sollte eine einheitliche Ausnahmeregelung für den Bereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit geschaffen werden. Aus Sicht des Deutschen Notarvereins wäre es systematisch richtig, die Ausnahmeregelung in Artikel 17 Nr. 14 vor die Klammer zu ziehen und Artikel 2 des Richtlinienentwurfs um eine Bestimmung zu ergänzen, die den Anforderungen an eine klare Formulierung Rechnung trägt. Die Bestimmung könnte etwa lauten: „Die Richtlinie findet keine Anwendung auf notarielle Urkunden.“ Alternativ könnte eine dem wie vorgeschlagen klarer formulierten Artikel 17 Nr. 14 entsprechende Ausnahmeregelung in Artikel 5 oder 6 der Richtlinie verankert werden.
Zu einem weiterführenden Gespräch oder für ergänzende Informationen stehen wir gerne zur Verfügung.