Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2011)

Stellungnahme vom 23.12.2010

 

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Da wir den Ansatz des Entwurfs begrüßen, beschränken wir uns hier auf Vorschläge zur erleichterten Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen in die aktienrechtliche Praxis.

 

I.       Namensaktien für nicht börsennotierte Gesellschaften

 

1.      Gründe für Namensaktien

 

Namensaktien für nicht börsennotierte Gesellschaften vorzusehen, entspricht schon jetzt der best practice der notariellen Beratung. Die Gründe hierfür sind z. B.:

 

·           Erleichterte Einberufung der Hauptversammlung nach § 121 Abs. 4 Satz 2 AktG,

·           Erleichterte Beschlussfassung nach § 121 Abs. 6 AktG,

·           die Möglichkeit der Vinkulierung (§§ 68, 180 Abs. 2 AktG),

·           die Möglichkeit der Ausgabe der Aktien nach Einzahlung des Mindesteinlagebetrages (§§ 10 Abs. 2 36, 36a, 54 Abs. 3, 63 Abs. 1 Satz 2 AktG – Einzahlungsaufruf im E-Banz abbedingen!),

·           die Transparenz der Beteiligungsverhältnisse aus Sicht der Gesellschaft.

 

Vermutlich (und hoffentlich) wird daher in der Realität nur eine Minderzahl der nicht börsennotierten Gesellschaften Inhaberaktien ausgegeben haben. Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass einige Anbieter von sog. Vorrats-AG Inhaberaktien ausgeben.

 

2.      Nachteile von Namensaktien

 

Gibt man Namensaktien für nicht börsennotierte Aktien im Interesse der Transparenz der Beteiligungsverhältnisse und zur Bekämpfung der Geldwäsche zwingend vor, so sollte man sich folgender Problemfelder bewusst sein:

 

a)     Treuhandverträge

 

Selbst wenn Namensaktien ausgegeben werden, lassen sich Besitzverhältnisse bei der AG durch Treuhandverträge noch immer einfacher verschleiern als bei der GmbH. Der Grund hierfür ist die Formfreiheit dieser Verträge. Die Folge ist auch, dass § 54 EStDV bei der AG weitgehend leerläuft. Auch wird die Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 2 AktG bei Treuhandverträgen in der Praxis oft übersehen.

 

Das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel wird daher durch die Vorgabe von Namensaktien nur teilweise erreicht (hierzu auch unten bei 4.). Die weitere Entwicklung sollte daher beobachtet werden.

 

b)     Aktienregister

 

Die Geldwäsche kann auch bei Namensaktien nur dann effektiv bekämpft werden, wenn die Transparenz der Beteiligungsverhältnisse auch nach außen hin hergestellt wird. Mittel hierzu ist das Aktienregister, § 67 AktG. Dieses unterliegt u. U. dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden, § 94 StPO.

 

aa)   Verbriefungszwang

 

Nach wohl allgemeiner Meinung liegt ein Aktienregister im Sinne des § 67 AktG nur bei verbrieften Aktien vor.[1] Solange eine Gesellschaft ihre Aktien nicht verbrieft hat, stellt ein von ihr geführtes Verzeichnis der Aktionäre kein Aktienregister im Rechtssinne dar, sondern besitzt nur die Qualität eines privaten Adressbuchs.

 

Damit knüpft das Gesetz an den traditionellen materialisierten Wertpapierbegriff an. Da Aktienurkunden die fatale Tendenz haben, verloren zu gehen, kommen allenfalls Globalaktien in Betracht. Diese müssen jedoch sicher verwahrt werden (etwa bei Banken oder beim Notar), was Geld kostet (Einzelheiten hierzu nachstehend unter 4. b)). Ebenso wie man der nicht börsennotierten AG zur Namensaktie rät, muss man daher von deren Verbriefung abraten. Daher sollte der Gesetzgeber den mit § 10 Abs. 5 AktG vor Jahren schon eingeschlagenen Weg der Dematerialisierung des Wertpapierrechts konsequent weitergehen. Denkbar erscheint folgende Formulierung.

 

 

Vorschlag 1:

 

Neufassung des § 10 Abs. 5 AktG:

 

„In der Satzung kann die Verbriefung von Aktien ausgeschlossen oder eingeschränkt werden.“

 

In der Gesetzesbegründung wäre klarzustellen, dass unabhängig von der Frage der Verbriefung der Aktien jede Gesellschaft, die Namensaktien ausgibt, für diese ein Aktienregister zu führen hat und dass für dieses § 67 AktG gilt. Zu weiteren Argumenten siehe nachstehend 4. b).

 

Allgemein dürfen wir anregen, über das Wertpapierrecht im digitalen und globalen Zeitalter vertieft nachzudenken. Dies muss nicht zwingend im Kontext dieses Gesetzentwurfs geschehen. Allerdings sollte (daher Vorschlag 1) der Gesetzestext zumindest die Möglichkeit anderer Weichenstellungen offen halten. Das Problem des „Aufsetzens“ auf dem traditionellen Wertpapierbegriff zeigt sich im Aktienrecht auch bei der „Ausgabe“ von Aktien, insbesondere aufgrund der Ausübung von Umtausch- oder Bezugsrechten auf solche[2] Zwischen einer in einem Luxemburger Tresor liegenden Globalurkunde aus Papier, einer digital signierten Aktie oder der Eintragung in einer Datei besteht in der Praxis nicht mehr viel Unterschied. Das eine ist aus Aktionärssicht so virtuell wie das andere.

 

bb)   Führung des Aktienregisters

 

Die Qualität der von den „kleinen AG“ mittlerer Art und Güte geführten Aktionärsverzeichnisse liegt in der Praxis auf einer ähnlichen Ebene wie die von den Geschäftsführern geführten Gesellschafterlisten bei den GmbH vor Inkrafttreten des MoMiG. Theoretisch kaum denkbar, in der Praxis aber nicht ungewöhnlich sind etwa unklare Beteiligungsverhältnisse selbst bei kleinen AG mit Namensaktien. Soweit Gesellschaften unabhängig von § 130 AktG ihre Hauptversammlungen notariell protokollieren lassen, kommt dem unter Mitwirkung des Notars erstellten Teilnehmerverzeichnis in etwa die Funktion zu, die bei der GmbH mittlerweile die bescheinigte Gesellschafterliste nach § 40 Abs. 2 GmbHG besitzt.

 

Dem Unterzeichner sind zudem aus der eigenen Praxis die Schwierigkeiten bestens bekannt, die selbst börsennotierte Gesellschaften damit haben, angesichts einer gewissen Personalfluktuation den Überblick über ausgegebene Optionen nach § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG zu behalten.

 

Man darf daher nicht glauben, mit der Namensaktie allein die legislative „Hausaufgabe“ erledigt zu haben, die die Financial Action Task Force (FATF) der Bundesrepublik Deutschland gestellt hat. Auch hier sollte daher die weitere Entwicklung aufmerksam beobachtet werden.

 

3.      Umtausch- und Bezugsrechte

 

Im Sinne der Vorgaben der FATF müssten auch Umtausch- und Bezugsrechte auf Aktien sowie Genussscheine zwingend als analog § 67 AktG zu registrierende Namenspapiere ausgestaltet werden, solange die AG nicht börsennotiert ist. Dies könnte etwa erreicht werden, indem in § 221 AktG auf §§ 10 Abs. 1, 67 AktG verwiesen wird:

 

 

Vorschlag 2:
§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG wird wie folgt gefasst:

 

„Die §§ 10 Abs. 1, 67, 186 und 193 Abs. 2 Nr. 4 gelten sinngemäß.“

Eine solche Vorschrift würde auch die bei „kleinen AG“ in der Praxis oft etwas „lässig“ gehandhabte Anzeigepflicht nach § 221 Abs. 2 Sätze 2-3 AktG mit mehr Leben erfüllen. Sie schafft somit auch mehr Transparenz bei der Ausgabe von Bezugsaktien nach §§ 199, 201 AktG und erleichtert so die Arbeit der Registergerichte.

 

Eines Verweises auf § 68 AktG bedarf es im Rahmen des § 221 Abs. 4 AktG nicht. Für die Vinkulierung auf den Namen lautender Wandelschuldverschreibungen dürften (erst recht wenn diese gar nicht verbrieft sind) die §§ 399 BGB, 354a HGB gelten.

 

4.      Übergangsbestimmungen

 

Die Übergangsvorschrift des § 26f EGAktG erscheint im Grundsatz sachgerecht, insbesondere auch die Ermächtigung des Aufsichtsrats zur Satzungsänderung. Ohnedies würde die Einführung einer Vinkulierung auf diesem Wege an § 180 Abs. 2 AktG scheitern.

 

Allerdings sollte nicht verkannt werden, dass hierdurch auf die Gesellschaften (d. h. auf deren Berater) ein erheblicher Mehraufwand zukommt, wenn Inhaberaktionäre nicht namentlich bekannt sind.

 

a)     Fallgruppen

 

An dieser Stelle müssten drei Fallgruppen unterschieden werden:

 

(1)    Sind die bisherigen Inhaberaktien nicht verbrieft, kann zwar die Satzung geändert werden. Im Ergebnis ist damit jedoch nicht viel erreicht, da zum einen (ohne die oben vorgeschlagene Änderung) kein Aktienregister im Rechtssinne angelegt werden kann, zum anderen „Otto Normalaktionär“ als unbekannter Aktionär für eine Vielzahl von Aktien eingetragen werden müsste.

 

(2)    Sind die bisherigen Inhaberaktien als Globalurkunde verbrieft, kann diese durch einen Namensglobalschein ausgetauscht werden. Immerhin gibt es jetzt ein Aktienregister im Rechtssinne. Bei der Frage, wem die Aktien gehören, hilft dies aber ebenfalls nicht weiter.

 

(3)    Sind die bisherigen Inhaberaktien als Einzelurkunden verbrieft, sollte die Gesellschaft eine Globalnamensaktie über alle Aktien ausstellen[3] und die einzelnen Aktienurkunden nach §§ 73, 64 Abs. 2 AktG i. V. m. für kraftlos erklären lassen. Ergebnis dieses Verfahrens ist dann allerdings, dass der betreffende Inhaberaktionär sein Mitgliedschaftsrecht noch behält. Dieses verliert nur seine wertpapiermäßige Verbriefung.[4] Soweit Inhaberaktionäre ihre Aktienurkunden verloren haben, müssten sie zusätzlich nach §§ 72 AktG, 433 ff., 466 ff. FamFG vorgehen.

 

Speziell in der letztgenannten Fallgruppe binden die genannten Verfahren in erheblichem Umfang Ressourcen bei der Justiz und bei den betroffenen Gesellschaften. Für Gesellschaften „auf dem Lande“ sind meist kleine Amtsgerichte zuständig, die mit diesen Verfahren wenig Erfahrung haben.

 

b)     Umstellungskosten

 

Sind Aktienurkunden bei Finanzdienstleistern hinterlegt (das trifft z. B. auf die im
Open Market (bis 2005: Freiverkehr) notierten Unternehmen zu), löst der Austausch (Fallgruppen oben a) (2) und (3)) zudem auch Kosten aus, die nicht zu vernachlässigen sind.

 

 

Beispiel (aus der Praxis eines Mitglieds des Vorstands des DNotV)

 

Die X-AG, deren (Inhaber-)Aktien im Open Market gehandelt werden (sie ist also nicht börsennotiert im Sinne des § 3 Abs. 2 AktG), hat ihre Aktien von DM auf Euro umgestellt und will daher neue Aktienurkunden ausgeben. Für die alten Urkunden soll § 72 AktG angewandt werden.

 

Das hier beratende Kreditinstitut verlangt für seine Dienstleistung im Zusammenhang mit diesem Austausch von Urkunden gegen eine Globalurkunde eine Pauschalprovision von EUR 25.000,00 zzgl. USt. und eine Depotbankenprovision von EUR 5,00 je Einreichungsvorgang. Die Gebühren der Clearstream Banking AG (Verwahrstelle für Urkunden) und die Kosten des Verfahrens nach § 72 AktG kommen noch hinzu. Ein Neudruck von Einzelurkunden würde ca. EUR 70.000,00 netto kosten und ist daher keine Alternative. Gleiches gilt für ein Listing in einem unter § 3 Abs. 2 AktG fallenden Segment.

 

Der Austausch von Inhaber- in Namensaktien wäre diesem Beispielsfall, was die Kosten betrifft, vergleichbar. Gerade im Open Market notierte Gesellschaften, die nach der jetzigen Entwurfsfassung ihre Aktien auf Namensaktien umstellen müssten, haben mit erheblichen Umstellungskosten zu rechnen. Weitaus die meisten der im Open Market gehandelten Wertpapiere dürften auf den Inhaber lauten. Auch diese Überlegung spricht für die vorgeschlagene Änderung des § 10 Abs. 5 AktG. Verlässliche Statistiken, wie viele deutsche Aktiengesellschaften hiervon betroffen sind, haben wir allerdings nicht finden können.

 

c)      Weitere Konsequenzen

 

Vor diesem Hintergrund kann man den Beteiligten eigentlich nur raten, nicht verbriefte Inhaberaktien auch nach Umstellung auf Namensaktien weiterhin unverbrieft zu lassen und sich, was die Transparenz der Beteiligungsverhältnisse betrifft, weiter „durchzuwurschteln“. Das bedeutet insbesondere, dass Hauptversammlungen ohne die Erleichterungen der §§ 121 Abs. 4 und 6 AktG durchgeführt werden müssen. Umwandlungen in eine an sich angemessenere Rechtsform (z. B. KG) sind erheblich erschwert.[5]

 

Die Möglichkeit, einen Pfleger für die unbekannten Aktionäre nach § 1913 BGB zu bestellen, scheitert in der Praxis zum einem an dem damit verbundenen Aufwand, zum anderen daran, dass man auf die Person des Pflegers keinen Einfluss hat. Bestellt werden von den Betreuungsgerichten dort bekannte Berufspfleger, die jedoch mit Aktienrecht typischerweise nicht vertraut sind und daher eher mehr Probleme bereiten als lösen.

 

Ursache dieses Problems ist, dass für den Ausschluss des Inhabers eines Mitgliedschaftsrechts das Verfahren nach §§ 447 ff. FamFG nicht zur Verfügung steht. Damit wird das Ziel, sich im Verborgenen aufhaltende Aktionäre ans Licht zu zerren, nicht erreicht. Die Geldwäschebekämpfung wäre erheblich effektiver, wenn man einen Aktionär, der sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu erkennen geben will, nicht nur des Rechtes am Papier, sondern auch des Rechtes aus dem Papier (bzw. seines Mitgliedschaftsrechtes ohne Papier) für verlustig erklären könnte.

 

 

Vorschlag 3:

 

Zumindest in den Übergangsbestimmungen des EGAktG und zumindest für eine bestimmte Frist wird die analoge Anwendung der §§ 447 ff. FamFG auf den Ausschluss unbekannter Aktionäre angeordnet. Es wird vorgesehen, dass die Aktien dieser ausgeschlossenen Aktionäre zu eigenen Aktien der Gesellschaft werden. Die mit ihrem Recht ausgeschlossenen Aktionären haben dann gegen die AG einen Anspruch auf Wertersatz nach den Grundsätzen der Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB). Für diesen Anspruch gilt neben dem Bereicherungsrecht auch die Rücklagenbindung nach § 57 Abs. 1 AktG. Solange die Gesellschaft diese Aktien noch hält, sind sie auf die Entreicherten[6]. zurückzuübertragen. Andernfalls ist bis zur Grenze der §§ 57 AktG, 818 Abs. 3 BGB Wertersatz zu leisten.

 

Die eigenen Aktien könnten aber auch nach § 237 AktG eingezogen und das Grundkapital herabgesetzt werden. Soweit Einlagen an die verbleibenden (bekannten) Aktionäre zurückgewährt werden, haben die Entreicherten dann nach § 822 BGB einen Anspruch gegen die Aktionäre.

 

Falls diese Anregung aufgegriffen werden sollte, sind wir gern bereit, einen Formulierungsvorschlag zu unterbreiten.

 

Dieser Vorschlag würde auch über den Entwurf hinaus zahlreiche praktische Fälle lösen helfen. Sollte der Gesetzgeber jedoch nicht so weit gehen wollen, so kommt anstelle von § 1913 BGB die Bestellung eines Treuhänders für die unbekannten Aktionäre durch das hier sehr viel sachnähere Handelsregister[7] in Betracht. Vorteil der Treuhänderlösung wäre die Verminderung des Aufwands bei Hauptversammlungen wegen § 121 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 6 AktG.

 

 

II.      Wandlungspflicht

Der Vorschlag wird ebenfalls begrüßt. Damit wird eine bereits bestehende Kautelarpraxis Gesetz (und bekommt so eine sicherere Grundlage). Auch bisher hat die Praxis schuldrechtlich Wandlungspflichten bei Wandelschuldverschreibungen vereinbart, die dann typischerweise als vinkulierte Namenspapiere ausgegeben wurden (um den Rechtsnachfolger zu binden). Bekannt ist diese Gestaltung unter dem Begriff der reverse convertibles. Mit der gesetzlichen Neuregelung können nun auch Inhaber-Wandelschuldverschreibungen als reverse convertibles gestaltet werden.

 

Die Änderung des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG ist insoweit nur konsequent. Das Herangehen des Gesetzgebers an diese Norm könnte allerdings auch genutzt werden, um den nach allgemeiner Meinung unklar formulierten § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG besser zu fassen. Seit 1937 (damals § 161 Abs. 1 Satz 2 AktG-1937) steht die Vorschrift unverändert im Gesetz.

 

Die Vorschrift sollte nur die Selbstverständlichkeit ausdrücken, dass das bedingte Kapital zur Gewährung von Umtauschrechten an die Inhaber von Wandelschuldverschreibungen einen gesetzlich geregelten Fall der verdeckten Sachkapitalerhöhung darstellt.[8] Problematisch wird aufgrund der Formulierung aber die Abgrenzung zwischen bedingtem Bar- und Sachkapital.

 

Im Wesentlichen will die Vorschrift zwei Fälle ausschließen

 

(1)    Hingabe einer Sachleistung an die AG gegen Hergabe einer Wandelanleihe, die anschließend in Aktien getauscht wird.

 

(2)    Nachträgliche „Umwidmung“ einer normalen Darlehensforderung in eine solche mit Umtauschrecht.[9]

 

Gesetzlich vorausgesetzter Normalfall ist der Umtausch einer Wandelschuldverschreibung in Bezugsaktien, die aufgrund eines Hauptversammlungsbeschlusses ausgegeben wurde, in dem der Vorstand sowohl hierzu ermächtigt wurde (§ 221 Abs. 1 AktG) als auch ein bedingtes Kapital zur Bedingung des Umtauschrechts geschaffen wurde (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Die zeitliche Reihenfolge ist also:

 

(1)    Ermächtigungsbeschluss;

(2)    Ausgabe der Wandel-SV gegen Barleistung,

(3)    Anzeige nach § 221 Abs. 2 AktG,

(4)    Eintragung bedingten Kapitals (kann auch vor Schritt (2) und/oder (3) erfolgen),

(5)    Umtauscherklärung nach § 198 AktG,

(6)    Änderung der Satzungsfassung durch den Aufsichtsrat sowie

(7)    Anmeldung nach § 201 AktG.

 

Problematisch sind dagegen Fälle, in denen Wandelanleihen einfach ausgegeben werden, ohne dass das gewährte Umtauschrecht mit bedingtem Kapital unterlegt oder anderweitig gesichert ist (z. B. durch eigene Aktien; siehe die beigefügte Anfrage an das Deutsche Notarinstitut – DNotI). Die von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht beantwortete Rechtsfrage lautet:

 

Steht die Aufwertung eines ins Leere gehenden (vgl. § 187 Abs. 2 AktG) Umtauschrechts zu einem vollwertigen Recht der nachträglichen Umwidmung einer „nackten Schuldverschreibung“ in eine Wandelanleihe gleich?

 

Im AktG 1937 erschien das Problem deshalb leichter lösbar, als § 159 AktG-1937 im Gegensatz zum heutigen § 192 AktG von einem „unentziehbaren Umtausch- oder Bezugsrecht“ sprach.

 

Um die Abgrenzung zwischen bedingtem Bar- und Sachkapital deutlicher zum Ausdruck zu bringen, könnte § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG wie folgt gefasst werden:

 

 

Vorschlag 4:

 

§ 194 Abs. 1 Satz 2 AktG wird wie folgt gefasst:

 

„Als Sacheinlage gilt nicht der Umtausch gegen Barleistungen ausgegebener Wandelschuldverschreibungen in Bezugsaktien unter Inanspruchnahme dieses bedingten Kapitals.“

 

 

III.     § 108 HGB

Keine zwei Wochen nach Inkrafttreten des MoMiG hatte der Unterzeichner, dem gesunden Menschenverstand folgend, die Anmeldung der Geschäftsanschrift einer KG nur durch den Komplementär unterzeichnen lassen. Seit der hierauf ergangenen Zwischenverfügung ist zumindest dem Unterzeichner die durch die Neufassung des § 108 HGB geschaffene Problematik bekannt. Der Änderungsvorschlag ist daher zu begrüßen. Für eine Sitzverlegung gilt ohnedies weiter § 108 Satz 1 HGB (Anmeldung durch alle Gesellschafter). Fragen des Minderheitenschutzes sind damit nicht aufgeworfen.

 

 

IV.    Weitere Anregungen

1.      „Scheinaufsichtsräte“

 

Fast noch häufiger als unbekannte Aktionäre bei „kleinen AG“ sind Scheinaufsichtsräte, deren turnusmäßige Wiederwahl vergessen wurde. Dieses Phänomen der aktienrechtlichen Praxis folgt aus dem Ansatz der ganz herrschenden Meinung, wonach die Amtszeit eines gewählten Aufsichtsrats erlischt, falls keine Wiederwahl stattfindet, und zwar nach überwiegender Ansicht mit dem Ablauf des achten Monats des Geschäftsjahres, in dem eine Wahl erfolgen hätte sollen.[10]

 

Während die unterlassene Wiederbestellung eines Vorstands nach Ablauf seiner Amtszeit nach § 84 AktG nur innenrechtliche Konsequenzen hat (kein wirksamer Anstellungsvertrag) und sein Handeln im Außenverhältnis unberührt bleibt (§ 15 HGB), sind die Folgen eines unerkannt nicht (wieder)bestellten Aufsichtsrats dramatisch. Alle Rechtshandlungen, die dieser Scheinaufsichtsrat vornimmt, sind unwirksam, von der Vorstandsbestellung über die Zustimmung zu bestimmten Geschäften bis hin zum Auftrag an den Abschlussprüfer und zur Feststellung des Jahresabschlusses. Ohne festgestellten Abschluss ist z. B. auch jede Dividendenausschüttung mangels rechtlichen Grundes jedenfalls kondizierbar. Ein genehmigtes Kapital ist u. U. nicht wirksam in Anspruch genommen, Umtausch- oder Bezugsrechte bei bedingtem Kapital sind u. U. nicht wirksam entstanden.

 

Werden dann neue Aufsichtsräte gewählt, könnten die bisherigen Nicht-Beschlüsse durch Bestätigungsbeschlüsse des neuen Gremiums zwar grundsätzlich geheilt werden. Dies scheitert jedoch in der Praxis oft an der Weigerung der neuen Aufsichtsräte, für die Handlungen ihrer „Vorgänger“ (haftungsrechtlich) geradezustehen.

 

Hier könnte erwogen werden, in Analogie zu § 68 BGB und §§ 16 Abs. 3, 40 GmbHG der eingereichten Liste des Aufsichtsrats eine Vertrauensschutzfunktion für Dritte zuzuweisen. Als Standort einer solcher Regelung kommt § 106 AktG in Betracht.

 

 

Vorschlag 5:

 

Der bisherige Wortlaut wird zu Absatz 1, es wird folgender neuer Absatz 2 angefügt:

 

„(2)   Wird zwischen der Gesellschaft und einem Aktionär oder sonstigen Dritten eine Rechtshandlung vorgenommen, so kann eine Änderung in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats dem Dritten nur entgegengehalten werden, wenn sie aus einer im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung im Handelsregister aufgenommenen Liste nach Absatz 1 ersichtlich oder dem Dritten sonst bekannt war.“

 

Von diesem Vorschlag erfasste Rechtshandlungen[11] sind neben den Fällen des § 112 AktG insbesondere auch die Ausschüttung von Dividenden oder die Ausgabe neuer Aktien bzw. Bezugsrechte auf solche bei genehmigtem und bedingtem Kapital. Bei nur intern wirkenden Beschlüssen des Aufsichtsrats bleibt es jedoch bei deren Nichtexistenz.

 

2.      Aufhebung des § 30 Abs. 3 Satz 2 AktG

 

Weiter enthält § 30 Abs. 3 Satz 2 AktG bei „kleinen AG“ weitgehend „totes Recht“. Bei Gesellschaften ohne oder mit nur ganz wenigen Arbeitnehmern (typisch für die erste Zeit nach der Gründung) ist die Vorschrift ohnehin ein unnötiger Formalismus. Denn ab der Eintragung der AG gilt für diese bereits § 97 AktG, nach dem eine Bekanntmachung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats vom pflichtgemäßen Urteil des Vorstands abhängig gemacht wird.

 

 

Vorschlag 6:

 

§ 30 Abs. 3 Satz 2 AktG wird aufgehoben.

 

 

3.      Aufhebung des § 20 AktG?

 

Die Pflicht zur Ausgabe von Namensaktien bei nicht börsennotierten Gesellschaften wirft die Frage auf, ob § 20 AktG nach Inkrafttreten der Reform noch sinnvoll ist.

 

Für börsennotierte Gesellschaften gelten ohnedies ausschließlich (§ 20 Abs. 8 AktG) die erheblich strengeren Vorschriften der §§ 21 ff. WpHG.

 

§ 20 AktG, geschaffen durch die Aktienrechtsreform 1965, ist historisch gesehen ein erstes Stück Konzerneingangs- und –ausgangskontrolle.[12] Die Vorschrift schützt somit die Gesellschaft, ihre Gläubiger und die Mitaktionäre. Geschaffen wurde sie in einem rechtssoziologischen Umfeld, in dem die vorhandenen etwa 2.000 AG entweder Konzerngesellschaften oder börsennotierte Gesellschaften waren. „Kleine AG“, die heute die nach Anzahl weit überwiegende Mehrheit der Aktiengesellschaften stellen, waren unbekannt. Gerade durch das Bilanzrecht und die Abschlusspublizität stehen konzernrechtliche Schutzinstrumente bereit, die damals noch nicht so weit entwickelt waren.

 

Nach Inkrafttreten der Reform sind nicht börsennotierte AG bereits durch das Instrument der Namensaktie und des Aktienregisters hinreichend über Veränderungen in ihrem Aktionärskreis unterrichtet. Die Gesellschaften selbst bedürfen des Schutzes durch § 20 AktG daher nicht mehr.

 

Inwieweit die Unterrichtung der Mitaktionäre bei einer nicht börsennotierten AG überhaupt im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignet ist, diese vor Konzernierung zu schützen, bedarf der Diskussion. Immerhin gibt es für deren Aktien keinen effizienten Markt, über den sie sich aus einem Investment zurückziehen könnten. Auch der Open Market leistet dies nur beschränkt. Die Information über eine wesentliche Beteiligung hilft ihnen daher nur wenig. Allerdings haben Mitaktionäre vorbehaltlich einer anderweitigen Satzungsregelung keinen Zugriff auf den Datenbestand des Aktienregisters, § 67 Abs. 6 AktG. Sie sind nach jetziger Rechtslage daher auf die relativ grobe Information durch § 20 AktG angewiesen.

 

Für Gläubiger soll § 20 AktG nach wohl h. M ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen.[13] Allerdings dürfte der Kausalitätsnachweis im Rahmen des Schadensersatzes hier nicht einfach sein. Die zwischenzeitlich geschaffenen Schutzmechanismen im Konzern ohne Unternehmensvertrag (existenzvernichtender Eingriff[14]) führen wohl leichter zum Ziel eines Durchgriffs auf den wesentlich beteiligten Aktionär. Das Fehlen von Judikatur zu dieser in der Wissenschaft diskutierten Streitfrage spricht nicht gerade dafür, dass § 20 AktG praktisch relevanten Gläubigerschutz gewährleistet. Erstaunlich ist der Mangel an Rechtsprechung schon deshalb, weil sich in der Rechtspraxis der „kleinen AG“ § 20 und § 130 Abs. 5 AktG ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, wenn man nach den am häufigsten missachteten Vorschriften des Aktienrechts fragt.

 

Wir dürfen daher anregen, im Anschluss an das Inkrafttreten dieser Reform die Frage zu untersuchen, ob § 20 AktG noch zeitgemäß ist. Entscheidet man sich, wofür manches spricht, für die Aufhebung des § 20 AktG, so wäre auch eine Folgeänderung des § 67 Abs. 6 Satz 2 AktG dahingehend in Betracht zu ziehen, dass bei nicht börsennotierten Gesellschaften die Aktionäre stets einen umfassenden Anspruch auf Einsicht in das Aktienregister haben.

 

Für Rückfragen stehen wir gern zur Verfügung.

 

In Anbetracht der Jahreszeit dürfen wir uns nicht zuletzt für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Abteilung III A herzlich bedanken. Für das kommende Jahr wünschen wir Ihnen und allen Mitarbeitern Gesundheit, Kraft, Erfolg und weiterhin viel Kreativität im Gesellschaftsrecht.

 

Anlagen

Gutachtenanfrage an das Deutsche Notarinstitut vom 26.11.2010 nebst Gutachten

 

[1]           Statt aller Bayer in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 16 und 44.
[2]           Hierzu Vossius, Die Ausgabe von Aktien – ein juristischer Mythos?, Festschrift für Reinhold Geimer, 2002, S. 1393-1409.
[3]           Würde die Gesellschaft Einzelurkunden über die Namensaktien ausstellen, müsste sie diese bei unbekannten Berechtigten gerichtlich hinterlegen; hierzu Oechsler in MünchKomm AG, 3. Aufl. 2008, § 73 Rz. 38-39.
[4]           Siehe Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 72 Rz. 5 und § 73 Rz. 6.
[5]           Siehe hierzu die Kommentierungen zu § 35 UmwG.
[6]           Deshalb stellen sich auch keine Probleme wegen Art. 14 GG.
[7]           Eine gerichtliche Bestellung empfiehlt sich statt des Rückgriffs auf § 71 UmwG wegen der gebotenen Wahrung der Interessen der unbekannten Aktionäre.
[8]           Siehe bereits Baumbach, AktG 4. Aufl. 1941, § 161 Anm. 1.
[9]           Zu diesen Fällen Fuchs in MünchKomm AktG, 2. Aufl. 2005, § 195 Rz. 8.
[10]          Hierzu nur Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 109 Rz. 3 mit weiteren Nachweisen zum Diskussionsstand.
[11]          Der Begriff „Rechtshandlung“ anstelle von „Rechtsgeschäft“ vermeidet z. B. die Festlegung im Meinungsstreit über die Rechtsnatur der Erfüllung.
[12]          Begr. RegE zu § 20, zitiert bei Koppensteiner in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 20 Rz. 1.
[13]          Statt aller Koppensteiner, a. a. O., Rz. 90 mit weit. Nachw.
[14]          Hierzu zuletzt etwa BGH v. 7.1.2008, II ZR 314/05, ZIP 2008, 308 im Anschluss an BGH vom 16.7.2007, II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552 – „Trihotel“.

 

Anlage: Gutachten DNotI zu AktG §§ 192, 194, 221 Bedingtes Kapital; fehlende Absicherung von Wandelschuldverschreibungen durch (ausreichendes) bedingtes Kapital; Abgabe der Bezugserklärung vor Beschlussfassung; Auslegung des § 194 Abs. 1 S. 2 AktG

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