Stellungnahme vom 29.02.2012
Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Wie bekannt, gehören aufgrund der Einführung des elektronischen Handelsregisters zum 1. Januar 2007 die Notare gemeinsam mit den Registergerichten zu den Vorreitern auf dem Gebiet des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz. Wir bitten zwar um Verständnis, dass wir uns nicht berufen fühlen, Aussagen zum elektronischen Rechtsverkehr über den Bereich der vorsorgenden Rechtspflege hinaus zu treffen. Dennoch lässt sich unsere im Grundsatz positive Einstellung zu derartigen Projekten nicht verleugnen.
Das elektronische Handelsregister ist ein Erfolg. Es ist schneller und sicherer geworden. Es hat den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig gestärkt. Die nicht abreißenden Berichte über „identity fraud“ im englischen Companies House oder über die Milliardenschäden durch „forged mortgages“ in den USA wirken hierzulande nachgerade wie Horrormeldungen aus „failed states“.
Dass ein solches Erfolgsmodell die Frage nach seiner Verallgemeinerung provoziert, liegt auf der Hand. Aus unserer Sicht lassen sich – noch vor dem IT-technisch deutlich anspruchsvolleren Projekt der elektronischen Grundakte – als mögliche Anwendungsfelder das Nachlass- sowie das Familien- und Betreuungsrecht identifizieren. Hierbei haben wir zum einen die vollelektronische Nachlassakte im Blick. Diese wird durch eine elektronische Einreichung von Erbscheinsanträgen durch die Notare mit den Strukturdaten im *.xml-Format möglich. Gleiches könnte sich bei Anträgen auf Pflegerbestellungen, Anordnungen von Betreuungen, familien- oder betreuungsgerichtlichen Genehmigungen oder bei Abrechnungen von Betreuern realisieren lassen. Was die Prüfung der Abrechnungen von Betreuern betrifft, lassen sich vielleicht unter Rückgriff auf die Software der Finanzbehörden durch automatisierte Plausibilitätsprüfungen Effizienzvorteile im Vollzug generieren. Eventuell bietet sich auch das Adoptionsverfahren an.
Sucht man nach den Gründen für diesen Erfolg und fragt nach den Bereichen, in denen noch Probleme auftreten, so lassen sich hieraus möglicherweise Determinanten dafür finden, die für Ihr sehr viel breiter angelegtes Projekt von Bedeutung sein können.
I. Erfolgsfaktoren
Aus unserer Sicht scheinen folgende Faktoren für den Erfolg des elektronischen Handelsregisters ursächlich zu sein.
(1) Klarer Systemwechsel
Mit Beginn des 1. Januar 2007 hatte jede Notarin und jeder Notar die erforderliche technische Ausstattung vorzuhalten, das heißt einen internetfähigen PC mit ausreichendem Leistungsvolumen, einen Scanner, ein Kartenlesegerät und die Software für Scan2tiff, die elektronische Signatur und die Software zur Strukturdatenaufbereitung.[1] Damit wurden Reibungsverluste durch Parallelbetrieb bei der Justiz minimiert. Von daher stoßen Ausnahmetatbestände wie Art. 1 Nr. 2 DiskE bei uns auf gewisse Skepsis. In unserem Tätigkeitsbereich hätte so etwas den Erfolg des Projekts gefährdet.
(2) Enge Kooperation
Die für das elektronische Handelsregister erforderliche Software und die erforderlichen Mindeststandards für die Hardware wurden in vertrauensvoller enger Zusammenarbeit zwischen der Justiz (vor allem das federführende Land Nordrhein-Westfalen) und der Bundesnotarkammer (über deren Tochtergesellschaft notarnet GmbH und ihre Subunternehmer) entwickelt. Das elektronische Handelsregister wird seither in dieser bewährten Kooperationsform gepflegt.
(3) Nachhaltige Aus- und Fortbildung
Ab dem zweiten Halbjahr 2006 führte die Bundesnotarkammer in Trägerschaft des Fachinstituts für Notare im Deutschen Anwaltsinstitut e.V. flächendeckend zahlreiche Veranstaltungen für Notarinnen, Notare und deren Büroangestellte durch. Obgleich die Testversion der Software erst relativ spät zum Einsatz kam, konnte dadurch der Systemwechsel nahezu reibungsfrei bewerkstelligt werden. Hinzu kamen intensive interne Fortbildungen in den einzelnen Büros. So begannen zahlreiche Notarbüros schon lange vor dem 1. Januar 2007, das Scannen der Urkunden in den Arbeitsablauf zwischen Beurkundung, Kostenbewertung, Eintragen in Urkundenrolle sowie Kostenregister und Ausfertigen zu implementieren. Ab dem 1. Januar 2007 kam bei den Handelsregistervorlagen nur noch das Signieren der Scans und das Erfassen der *.xml-Strukturdaten hinzu. Die Aussicht auf einen klaren Systemwechsel hat natürlich – das wollen wir nicht verschweigen – den Fortbildungswillen der Kolleginnen und Kollegen durchaus gefördert.
(4) Strukturdatenerfassung
Das Übermitteln der Strukturdaten einer Handelsregisteranmeldung erleichtert (wenn mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen wird) die Arbeit der Registergerichte erheblich, da große Teile der Eintragungsverfügung bereits im EDV-System des Gerichts digital verfügbar sind und nicht erst dort noch mühsam von Hand eingegeben werden müssen. Gleiches könnte auf Datensätze zum Rubrum zutreffen, möglichst unter Angabe ladungsfähiger Anschriften der Parteien, ihrer Vertreter sowie von Zeugen und Sachverständigen einschließlich Telefonnummern/E-Mail. Auch das Aktenzeichen sollte nach Rechtshängigkeit der Klage als *.xml-Datensatz erfasst werden. Dann könnte ein Richter Zeugen laden, Termine vereinbaren oder verlegen, ohne die Akte aufrufen zu müssen. Ein elektronisch verfügbarer Streitwert kann auch die Kostenabrechnung automatisieren.
Insgesamt lässt sich ein Mehrgewinn für die Justiz unseres Erachtens nur dann erzielen, wenn nicht nur, wie im Disk-E vorgesehen, der elektronische Rechtsverkehr eingeführt wird, sondern parallel bei Gericht auch die E-Akte. Für den Erfolg und die Akzeptanz des Gesamtprojekts müssen Medienbrüche vermieden werden. Gelangten Schriftsätze per elektronischem Rechtsverkehr zum Gericht, müssten dort aber erst für die Papierakte ausgedruckt werden, würde der positive Effekt verpuffen.
Die faktisch bestehende Pflicht der Notare zur Strukturdatenübermittelung hat im elektronischen Handelsregister sicher dem Projekt genützt. Ob bei einer so breit angelegten Maßnahme ein konsensuales Vorgehen mit den betroffenen Berufsständen ausreichen wird, haben wir nicht zu beurteilen. Wir können der Justiz jedenfalls nur empfehlen, auf die Übermittlung von Strukturdaten hinzuwirken.
(5) „Safety first“
(a) Hardware
Elektronischer Rechtsverkehr ist ohne Sicherheit nicht zu haben. Die Alternative wären Zustände wie im Vereinigten Königreich oder den USA. Würden das elektronische Grundbuch, das elektronische Handelsregister oder andere Justizeinrichtungen „gehackt“, wäre das Vertrauen in den Rechtsstaat dahin. Grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen würden massiv teurer. Aus den Diskussionen mit unseren Klienten, etwa über die Zustände in den USA, wissen wir, welchen enormen Stellenwert die Sicherheit unserer Register für die Bürger hat. Die Abwahl der für laxe Sicherheitsstandards verantwortlichen Politiker wäre die ebenso logische wie berechtigte Konsequenz.
Wir können daher vor dem Gebrauch von „Einstiegsdrogen“ wie der mangels Identitätsprüfung unsicheren DE-Mail oder dem anderweitigen „Herunterzoomen“ von Sicherheitsanforderungen mit dem Ziel der Verbesserung der Akzeptanz nur eindrücklich warnen. Das wäre kurzfristiges Denken. Die Senkung technischer Hemmschwellen für Internetkriminelle stärkt das Vertrauen in die neue Technologie nicht. Die Strategie, den Teilnehmer über niedrige Einstiegskosten „anzufixen“ und dann, ist der Einstieg erst einmal gelungen, die Anforderungen als Reaktion auf die Bedrohung durch Internetkriminelle Schritt für Schritt anzuheben,[2] ähnelt der Strategie der „Einstiegstarife“ privater Krankenversicherer. Sie mag aus der Sicht eines am Markteintritt und an kurzfristigen Profiten interessierten Unternehmens richtig sein (siehe DE-Mail), ist aber aus der Sicht eines Rechtstaates unangebracht.
Zum Sicherheitsstandard gehört einmal eine entsprechenden Anforderungen genügende IT-Infrastruktur in den Büros der Teilnehmer des elektronischen Rechtsverkehrs, gleich ob Gerichte, Notare oder Rechtsanwälte. Das kostet Geld und das sollte man dem Bürger von Anfang an offen sagen, wenn man ihn zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Sicherheitstechnisch erscheinen daher offene Einrichtungen wie der Terminal im Rathaus ähnlich problematisch wie offene WLAN in Internetcafés. Solche Einrichtungen, die der DiskE – bei allem Respekt – etwas naiv offenbar als Zugangsmöglichkeit für „die Oma“ betrachtet, sind ähnlich leicht zu manipulieren wie Bankautomaten.
(b) Software
Teil des Erfolgs des „elektronischen Handelsregisters“ ist die über die digitale Signatur gewährleistete Sicherheit der Datenübermittlung vom Notar an das Handelsregister. Dieser Technologie verdanken wir, dass es bislang nicht zu Vorfällen gekommen ist, wie sie beim britischen Companies House zum Alltag gehören (Registerfälschung, Identitätsdiebstahl).
Gerade im streitigen Verfahren ist ein sicheres Verfahren zur Identitätsfeststellung jedenfalls bei bestimmenden Schriftsätzen ebenfalls unverzichtbar. Bei vorbereitenden Schriftsätzen lässt sich der Sicherheitsstandard wahrscheinlich absenken. Damit wird aus unserer Sicht auch das gerichtliche Verfahren um die digitale Signatur nicht herumkommen.
Der DiskE scheint hingegen in der digitalen Signatur eine Hauptzutrittsbarriere für den elektronischen Rechtsverkehr zu sehen (S. 92, 127 f.). Die mangelnde Durchsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs wird der digitalen Signatur in die Schuhe geschoben. So lassen sich die Entwurfsverfasser vor den Karren wirtschaftlicher Interessen spannen, die aus Gewinnstreben an einer Senkung der Sicherheitsstandards interessiert sind.
Demgegenüber ist festzuhalten: Die digitale Signaturtechnologie hat keine Probleme bereitet. Die hierzu verfügbare Software ließ sich problemlos in den Büroarbeitsablauf integrieren. Früher unterschrieb der Notar beglaubigte Abschriften seiner Urkunden in der vorgelegten Akte, einer Unterschriftenmappe oder im Postausgangsfach. Heute bedient er sich einer komfortablen Massensignaturtechnologie an seinem Computerbildschirm. Hier wie dort ist eine Kontrolle angezeigt, sei es ob Urkunden vollständig kopiert oder vollständig gescannt wurden.
An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die Entwicklung im electronic banking. Dort werden, angesichts von Sicherheitsproblemen (Internetkriminalität), die technischen Anforderungen seit einigen Jahren Schritt für Schritt hochgeschraubt. Vor einigen Jahren schon wurde das über gesicherte Internetverbindungen abgewickelte PIN-TAN-Verfahren modifiziert und auf indizierte TAN umgestellt. Derzeit stellen die Banken und Sparkassen flächendeckend auf Chip-TAN oder SMS-TAN um. Obgleich es etwas aufwändiger ist, ein Gerät mit eingesteckter EC-Karte an einen auf dem Bildschirm flimmernden Strichcode zu halten, spricht hier niemand von einem „Hemmschuh“ für das electronic banking. Stets wird davor gewarnt, die PIN über das Internet zu übermitteln.
Das Beispiel zeigt vielmehr, dass die Wirtschaft dann in Sicherheitstechnologie investiert, wenn die Rechtsprechung bei kriminellen Eingriffen in den elektronischen Rechtsverkehr die einseitige Auferlegung des Risikos auf den Kunden nicht mehr akzeptiert, sondern mit Beweislastumkehr arbeitet. Sekundäre Haftungsfolgen schaffen eben den nötigen Druck.
Da hat es ein Staat natürlich einfacher. Er legt mit DE-Mail dem Bürger das Zustellungsrisiko einfach per Gesetz auf und zeichnet sich von der Haftung frei. Für den zunehmend IT-sensibleren Bürger gibt es dann allerdings die Wahlurne.
II. Probleme
Die Frage nach den aufgetretenen Problemen lässt sich wie folgt beantworten:
(1) Akzeptanz nur durch Zwang
Der DiskE gibt (S. 92) zu, dass der elektronische Rechtsverkehr sich nur dort durchgesetzt hat, wo er zwingend vorgeschrieben ist. Allerdings hängt dies nicht mit der digitalen Signatur zusammen, sondern zum einen mit den erforderlichen Investitionen in IT-Sicherheitsarchitektur und zum anderen damit, dass der Staat im Interesse seiner eigenen „Verschlankung“ Datenerfassungsaufgaben auf den Bürger delegiert hat, ohne dass man an die Attraktivität der Nutzung von IT denkt.
Welcher Unternehmer würde sich mit Programmen wie „ELSTER“ bei der Lohn- und Umsatzsteueranmeldung bzw. der Umsatzsteuererklärung herumplagen, wenn er dies nicht müsste? Gleiches gilt für das inzwischen gescheiterte Projekt „ELENA“.
Im allerdings stark gesellschaftsrechtlich ausgerichteten Notariat des Unterzeichners führt der mit dem Scannen und der Strukturdatenerfassung verbundene Mehraufwand zu einer zusätzlichen Vollzeitstelle, mithin zu Mehrkosten von etwa 50-60 T Euro/Jahr (brutto, einschließlich Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, zzgl. Sachkosten des Arbeitsplatzes[3]). Verglichen damit ist der zweistellige Euro-Betrag für eine Signaturkarte und der Aufwand für sonstige Hardware vernachlässigbar. Bei aller Liebe zur Technik: Niemand kann erwarten, dass solche Mehrkosten aus Opferbereitschaft fürs Vaterland erbracht werden.
Es wäre ein Zeichen ehrlichen und transparenten Umgangs des Staates mit dem Bürger, wenn man offen sagen würde, dass es beim elektronischen Rechtsverkehr um eine Verlagerung von Aufgaben des Staates auf den Bürger geht, statt dieses mit Formulierungen wie „durchgehender elektronischer Geschäftsverkehr vom Bürger zum Gericht“ (S. 77) zu vernebeln. Das Verhalten der Bevölkerung in der derzeitigen Finanzkrise zeigt, dass man hier durchaus Vernunft erwarten kann. Für den DiskE heißt das: weniger Rhetorik und mehr Ehrlichkeit würden die Akzeptanz des Projekts erhöhen.
(2) Strukturdatenerfassung
Das Programm „x-Notar“ zur Strukturdatenerfassung wies am Anfang noch einige Kinderkrankheiten auf, die jedoch rasch behoben wurden. Desiderate sind jetzt zum einen aus der Sicht der Notare noch mehr Anmeldefälle, zum anderen aus der Sicht der Gerichte eine noch bessere – vielleicht sogar auf die Gepflogenheiten des adressierten Gerichts – genauer abgestimmte Vorgabe vorgeschlagener Eintragungstexte.
Kein Problem der Justiz, aber aus unserer Sicht kritisch zu bewerten ist, dass die Anbieter von Softwarelösungen für die Notare bislang noch keinen Weg gefunden haben, *.xml-Strukturdaten in Textdokumenten zu identifizieren, in *.xml-Format und automatisiert in den für das Gericht bestimmten Datensatz zu konvertieren. Gleiches gilt für den umgekehrten Prozess der Umwandlung der von der Justiz bereitgestellten Datensätze in Text. Ursache hierfür könnte zum einen sein, dass das Notariat seinen EDV-Partnern noch keine ausreichend definierten Schnittstellen zur Verfügung gestellt hat, zum anderen die Enge des Markts für Notarsoftware, die angesichts des mit einer derartigen Entwicklung verbundenen Aufwands keine oder nur geringe Gewinne erwarten lässt.
(3) Layout
Ein guter Anwalt schreibt Schriftsätze so, dass der Richter möglichst viel daraus für sein Urteil verwenden kann. Ein guter Notar baut Urkunden so auf, dass der Grundbuch- oder Registerrichter sein Prüfungsschema möglichst ohne lang zu blättern anwenden kann. Lohn des Ersteren ist der Prozesssieg, Lohn des Letzteren die rasche Eintragung. Das ist eine Binsenweisheit und gilt natürlich auch im elektronischen Rechtsverkehr. Desiderat des Notariats ist, die richterliche Herangehensweise im elektronischen Rechtsverkehr noch besser zu kennen, um die Urkundsgestaltung optimieren zu können. Zwangsweise Vorgaben würden die Unabhängigkeit des Notars zwar beeinträchtigen, sind jedoch nicht nötig. Kaum eine Kollegin oder ein Kollege wird es als Beeinträchtigung seiner Unabhängigkeit empfinden, wenn man sich dem Arbeitsstil des Gegenübers anpasst.
Hingegen nicht zielführend ist die in § 14 Abs. 4a FamFG (sowie in § 130a Abs. 4 ZPO) vorgesehene Ermächtigungsgrundlage, verbindliche elektronische Formulare „in geeigneten Fällen“ einzuführen. Anders als vernünftig aufbereitete *.xml-Datensätze versprechen diese keinen Mehrwert, und zwar weder für Anwälte noch für Gerichte. Der jeweilige Tatsachenvortrag sollte dem Einzelfall vorbehalten bleiben und nicht durch ein bestimmtes Raster vorgegeben (und vorgeprägt) werden. Jeder der versucht hat, als Geschädigter ein Formular des Haftpflichtversicherers des Schädigers auszufüllen und dennoch seine Rechtsposition konsistent darzustellen, weiß das. Es beschleicht den Verwender ohnedies der Verdacht, mit dem Versicherungsformular gehe es darum, den Geschädigten von rechtlicher Beratung abzuhalten. Mit einem (Anwalts-)Brief lässt sich ein Tatbestand selbst in der Standardsituation einer Verkehrszivilsache erheblich besser darstellen.
Die überwiegende Anzahl an Verfahren der streitigen (und auch der freiwilligen) Gerichtsbarkeit lassen sich ohne rechtliche Beratung und Betreuung nicht vernünftig und einem Rechtsstaat entsprechend durch ein Schema führen. Die Grenze zwischen Verwaltungsvereinfachung und dem Abbau des Rechtsstaats ist fließend.
(4) Kommunikationsplattform
Der einzige Punkt, der derzeit im elektronischen Handelsregister Probleme bereitet, ist der EGVP, also das eingesetzte Programm zur Übermittlung einerseits der Strukturdatensätze und der zugehörigen Dokumente durch den Notar an das Handelsregister und andererseits der Vollzugsmitteilungen sowie Zwischenverfügungen durch das Handelsregister an den Notar. Kritisch hieran zu bewerten sind:
(a) Unzeitgemäße Beschränkung der Dateigrößen: Bei umfangreichen Dokumenten wie z. B. Einbringungsverträgen oder Prüfungsberichten bei Sachkapitalerhöhungen sowie Spaltungsverträgen und -plänen nach § 126 UmwG mit umfangreichen Anlagen stößt das Programm rasch an Grenzen. Dann müssen Dateien geteilt übermittelt werden, was den Büroablauf stört und bei Gericht oft zu Verwirrung führt.
(b) Verschwinden von Vorlagen: Leider kommt es immer noch oft genug vor, dass Handelsregistervorlagen, Vollzugsmitteilungen oder Zwischenverfügungen aus ungeklärter Ursache nicht beim Empfänger ankommen, obgleich der Absender eine Bestätigung über deren Übermittlung an den Justizintermediärserver in Händen hält. Immerhin sorgt inzwischen das rote Ausrufezeichen, das mit Abruf durch das Gericht beim Server erlischt, für gewisse Sicherheit.
(c) Häufige Systemausfälle: Die Übermittlung von Daten mittels des EGVP ist allzu oft „Glückssache“. Erst jüngst, im Dezember 2011, fiel das System während einer ganzen Woche nahezu komplett aus. Grund war offenbar ein unzureichend getestetes Softwareupdate. In einer Situation, in der sich Vorlagen häufen, die noch vor Jahresende eingetragen werden müssen (z. B. Unternehmensverträge, Geschäftsjahresänderungen, u. U. Änderungen von Hafteinlagen von Kommanditisten), ist das misslich. Gleiches gilt typischerweise für den Monat August, an dessen Ende oft Umwandlungen eingereicht werden (Frist des § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG).
Die unter (b) und (c) geschilderten Probleme können, da es sich hierbei um Fristsachen handeln, gravierende Folgen haben. Eine Schlussbilanz bei einer Verschmelzung könnte wegen verfristeter Einreichung unverwertbar sein, eine Organschaft könnte nicht in einem bestimmten Jahr steuerlich wirksam werden, eine Beanstandung durch das Gericht könnte mangels Zugang unbearbeitet bleiben. Die freiwillige Gerichtsbarkeit hat sich in den letzten Jahren hier mit dem ihr eigenen Pragmatismus und auf Basis des Vertrauensverhältnisses zwischen Gerichten und Notaren geholfen. Mal wurden Vorlagen auf Papier oder CD-ROM akzeptiert. In einzelnen Fällen wurde so getan, als sei de facto Wiedereinsetzung gewährt worden (obgleich es keine Rechtsgrundlage außer dem kirchengewohnheitsrechtlichen Satz „Not kennt kein Gebot“ dafür gibt).
In kontradiktorischen Verfahren können solche „entspannten Problemlösungsstrategien“ keinen Bestand haben, da sie den Anspruch des Prozessgegners auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren verletzen würden.
Will man, wie der DiskE, an die Übermittlung von bestimmenden Schriftsätzen und gerichtlichen Rechtsakten Zustellungswirkungen knüpfen, so empfehlen wir aus unserer Sicht zum einen die Prüfung, ob die bestehenden Vorschriften über Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Prozessordnungen ausreichen.
Zum anderen sollte technisch zuverlässige Software zum Einsatz kommen. Weder der EGVP noch Produkte wie etwa DE-Mail gewährleisten dies derzeit. Zur technischen Anfälligkeit kommt noch die Eignung gerade von DE-Mail für den Identitätsdiebstahl hinzu. Wir würden beispielsweise erwarten, dass ein Rechtsanwalt sich mit seiner Signaturkarte bei seinem Postfach anmelden muss, um sicher zu gehen, an wen der Zugang erfolgte. Dies ist eine schon unter Rechtsstaatsgesichtspunkten (Grundrecht auf faires Verfahren) unverzichtbare Mindestanforderung, um die Überbürdung des Zugangsrisikos auf den Empfänger elektronischer Post zu rechtfertigen.
(5) Elektronische Ausfertigung, elektronischer Auszug, elektronische Apostille
Medienbrüche im elektronischen Handelsregister bestehen derzeit noch in drei Bereichen:
(a) elektronische Ausfertigung
Das materielle Recht lässt in bestimmten Fällen die Vorlage einer elektronisch beglaubigten Abschrift nicht genügen, sondern verlangt die Vorlage einer Ausfertigung (z. B. bei Handelsregistervollmachten, Erbscheinen, Zeugnissen als Testamentsvollstrecker, Betreuer oder Insolvenzverwalter). Eine elektronische Ausfertigung gibt es (derzeit noch) nicht.[4] Hier wird wahrscheinlich auch die Organisationssignatur gemäß DiskE keine Lösung bringen, jedenfalls nicht für privatrechtliche Vollmachten. Auch im gerichtlichen Verfahren gibt es „Ausfertigungen“, die auch mit der Organisationssignatur nicht elektronisch abbildbar sind.[5] Die Registerpraxis dürfte sich derzeit überwiegend zu dem Standpunkt durchgerungen haben, dass man sich auf das Vorliegen der entsprechenden Ausfertigungen beim einreichenden Notar verlässt. Wie aber wird dies im Urkundenprozess möglich sein, wenn der Beklagte allein deshalb auf der Vorlage von Originalen besteht, weil er damit Zeit gewinnen kann?
(b) elektronischer Auszug
Bestellt man in Deutschland einen beglaubigten Handelsregister- oder Grundbuchauszug, so bekommt man einen Ausdruck auf bläulichem Papier mit einem Wasserzeichen. Im Ausland stößt dies nach unseren Erfahrungen zuweilen auf gewisse Skepsis. Hier könnte die Organisationssignatur, verstanden als ein „elektronisches Dienstsiegel“ von Nutzen sein. Beim Registre de Commerce et des Sociétés in Luxemburg kann man Handelsregisterauszüge in digital signierter Form bereits heute bestellen. Diese sind etwas teurer und zwischen Bestellung und Übermittlung vergehen etwa zwei Stunden (gegenüber ca. 15 Minuten).
Nach unserem Verständnis muss die Organisationsstruktur zum einen zwingend auf Behörden und Gerichte beschränkt sein. Für Rechtspersonen des Privatrechts ein „electronic corporate seal“ zu verlangen, würde eine Rechtsfigur des common law in das deutsche Recht verpflanzen. Die Folgewirkungen eines solchen Schritts (das corporate seal ist an die Person des corporate secretary gebunden) für das deutsche Privatrecht wären erheblich.
Zum anderen müssten ebenso wie bei einem Dienstsiegel in solchen Organisationen klare Zuständigkeiten vorhanden sein, welcher Beamte (!) dieses führt. Hierauf will der DiskE (S. 127 ff.) jedoch verzichten. Das Fehlen klarer Zuständigkeiten führt jedoch zu Verantwortungsdiffusion und ist damit missbrauchsanfällig. Ist der Signaturschlüssel der Organisationseinheit als solcher zugeordnet, ist für seine Sicherheit und Integrität letztlich niemand mehr verantwortlich. Die jetzigen Regelungen (vgl. etwa Art. 25 Abs. 2 BayAGO, Ziffer 3.5.1 der Dienstordnung für die Landesverwaltung Baden-Württemberg, § 33 Abs. 3 Ziffer 4 VwVfG) haben Vorbildcharakter und sind daher beizubehalten. Im Übrigen scheint die immanente Sicherheit von Unterschrift und Papier bei behördlichen Urkunden erheblich besser zu sein, als die Verfasser des DiskE meinen (S. 127), gerade weil sie eben nicht einfach zu imitieren sind.
Die beabsichtigte Änderung von § 137 GBO wird daher von uns aus vorstehenden Gründen abgelehnt.
(c) elektronische Apostille
Bereits heute hat sich im inländischen Rechtsverkehr eingebürgert, dass deren Teilnehmer das Handelsregister entweder selbst einsehen oder ihren Notar bitten, dies für sie zu tun. Für die Gebühr von EUR 4,50 erhält man derart verlässliche Erkenntnisse, dass der amtliche Ausdruck (EUR 18,00) sich für das Inland nicht lohnt (von einigen Banken einmal abgesehen). Amtliche Ausdrucke werden typischerweise zur Verwendung im Ausland angefordert und bedürfen dann zumeist der Apostille oder der Überbeglaubigung. Auch im Verhältnis zu Ländern, mit denen Deutschland ein bilaterales Abkommen über Urkundsanerkennung geschlossen hat (z. B. Frankreich, Italien, Österreich, für gerichtliche Urkunden auch die Schweiz) ist die Urkundsqualität des Computerausdrucks fraglich (siehe oben (b)). Erst recht wirkt es etwas seltsam, wenn diesem ununterschriebenen Computerausdruck dann eine Unterschrift eines Justizangestellten hinzugefügt werden muss, in der er in etwas schiefer Formulierung die Übereinstimmung des Ausdrucks mit dem Handelsregister (das sind doch nur noch bits und bytes) bestätigt, damit dessen Unterschrift durch eine unterschriebene Apostille oder Überbeglaubigung bestätigt wird.
Hier dürfen wir anregen, mit den Partnern bilateraler bzw. multilateraler Abkommen die Auswirkungen der Elektronisierung des Rechtsverkehrs auf den in diesen Verträgen zugrunde gelegten Urkundenbegriff zu erörtern.
III. Öffentliche Bekanntmachung
Abschließend dürfen wir noch einen weiteren Vorschlag unterbreiten. Der DiskE sieht (z. B. für die Bekanntmachung bei öffentlicher Zustellung) ein weiteres Internetportal vor, nämlich www.justiz.de. Dieses Portal tritt neben bestehende Einrichtungen wie etwa www.handelsregister.de, www.handelsregisterbekanntmachungen.de, www.insolvenzbekanntmachungen.de oder www.bundesanzeiger.de. Unter letztgenannter Adresse sind immerhin der elektronische Bundesanzeiger und das Unternehmensregister zusammengefasst und über eine Suchfunktion einheitlich zugänglich. Letzteres ist ein guter Anfang.
Was aber sonst wo im Netz steht, wird allmählich zur Geheimwissenschaft und fördert die Transparenz des Rechtsstandorts Deutschland gerade für Ausländer nicht unbedingt. So finden sich z. B. schon jetzt Einladungen zu Hauptversammlungen von AG und gerichtliche Bekanntmachungen nach § 225 AktG, §§ 22, 61, 62, 122d Satz 2 UmwG in verschiedenen Datenbanken.
Besonders bei § 50 BGB i. d. F. des DiskE ist es für uns auf den ersten Blick nicht ganz verständlich, dass nicht der elektronische Bundesanzeiger als Regelbekanntmachungsblatt vorgesehen wird. Zudem muss der Verein das Portal www.justiz.de noch eigens in seine Satzung aufnehmen. Bei den Handelsgesellschaften wurde zu Recht ungefragt vom Bundesanzeiger auf den E-Banz umgestellt.
Sinnvoll wäre daher eine Vereinheitlichung der elektronischen Bekanntmachungen, so dass diese über eine einheitliche Internetadresse zugänglich sind.
Für weitere Fragen stehen wir gern zur Verfügung.
[1] Siehe auch das am 1.1.2012 in Betrieb genommene Zentrale Testamentsregister.
[2] … oder wie im Vereinigten Königreich (Handelsregister) oder in Schweden (Grundbuch) ähnlich wie bei Impfschäden ein gewisses Schadensausmaß einfach als sozial adäquat zu akzeptieren.
[3] Hierzu gehören etwa anteilige Miete samt Nebenkosten sowie Kosten der Einrichtung des Arbeitsplatzes (Büromöbel, Sozialräume etc.).
[4] Unter anderem wegen der Probleme, die mit ihrem Zurückholen bei einem Vollmachtswiderruf oder der Einziehung eines Erbscheins verbunden sind.
[5] Zusätzlich wäre ein „Ausfertigungsregister“ erforderlich, damit man prüfen kann, ob eine „vollstreckbare Ausfertigung“ überhaupt noch gültig ist. Da eine einmal erteilte elektronische Ausfertigung nicht wieder eingezogen werden kann, bliebe nur noch eine in diesem Register zu verlautbarende „Kraftloserklärung“.