Referentenentwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (im folgenden „RefE“)

Stellungnahme vom 31.05.2012

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme – der ersten Stellungnahme dieses Verbandes zum materiellen Strafrecht.

Der Vorschlag könnte Notarinnen und Notare zum einen bei der Beurkundung bzw. Beglaubigung von Patientenverfügungen treffen, zum anderen bei Vorträgen hierüber.

Notarinnen und Notare sind bei der Beurkundung von Patientenverfügungen unmittelbar gesetzlich beauftragt, die tatsächlichen Wünsche der Beteiligten zu ermitteln und urkundlich niederzulegen. Regelmäßig werden hierbei Vorstellungen geäußert, deren Umsetzung im Rahmen des rechtlich eindeutig Zulässigen liegt (z.B. Wunsch nach Maximaltherapie oder Wunsch einer Behandlungsbegrenzung in festgelegten Situationen unter palliativmedizinischer Begleitung). Gelegentlich wird aber auch verlangt, dass der Wunsch nach einer derzeit verbotenen Tötung auf Verlangen oder der Beistand bei einer Selbsttötung dokumentiert wird. Durch die beabsichtigte Gesetzesänderung ist die Grenze zwischen Verpflichtung zur Beurkundung und Verpflichtung zur Ablehnung einer Beurkundung neu zu definieren. Insofern sind Notarinnen und Notare von dem Reformvorhaben unmittelbar betroffen. Bei bloßen Beglaubigungen ist zu berücksichtigen, dass hier – im Gegensatz zur Beurkundung – der Notar nicht zur inhaltlichen Prüfung verpflichtet ist (vgl. § 40 Abs. 2 BeurkG).

Wir teilen die grundsätzliche Einschätzung, dass die Teilnahme an der Selbsttötung ein ethisch und rechtlich hoch komplexer Vorgang ist, dem nicht pauschal mit den Mitteln strafrechtlicher Sanktionen begegnet werden sollte. Hingegen birgt die organisierte Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung das Risiko, durch strukturelle und wirtschaftliche Anreize nicht auf eine selbstbestimmte Entscheidung hinzuwirken, sondern einen Selbsttötungswunsch zu bestärken oder zu fördern.

Die vom RefE gefundene Lösung erscheint uns jedoch als problematisch. Sie ist einerseits zu eng, andererseits zu weit.

Zu eng ist sie wegen der Beschränkung auf „gewerbsmäßiges Handeln“ des Täters. In der Rechtswirklichkeit werden die zu pönalisierenden Tatbestände unseres Wissens vor allem durch nicht gewerblich tätige Vereine verwirklicht. In diesem institutionellen Rahmen Handelnde würden mangels eigener Gewinnerzielungsabsicht jedoch meist nicht in vollem Umfang erfasst (§§ 28, 14 Abs. 1 StGB). Um die unter dem Schutz des Vereinsrechts handelnden Täter zu erfassen, müsste man anstelle von „gewerbsmäßig“ ein Tatbestandsmerkmal einführen, wie etwa „um sich oder einen Dritten zu bereichern“ (vgl. § 259 Abs. 1 StGB). Denkbar wäre auch, auf „gewohnheitsmäßiges Handeln“ (§ 292 StGB) oder auf „geschäftsmäßiges Handeln“ abzustellen.

Andererseits läuft die Lösung des RefE Gefahr, an anderer Stelle zu weit gefasst zu sein und  konturenlos zu werden. Das zeigen folgende Beispielsfälle:

Beispiel 1:

Internet-Provider P hostet die Website eines Vereins, der dort anbietet, gegen eine Spende Adressen von Euthanasie-Ärzten in den Niederlanden oder der Schweiz zu nennen. Die Vorstände des Vereins bleiben zwar mangels Gewerblichkeit straflos. Aber: Haben sich die für das Hosting dieser Website Verantwortlichen strafbar gemacht, und zwar nicht als Teilnehmer, sondern als Täter einer Straftat nach § 217 StGB in der Fassung des RefE?

Besonders hoch erscheint uns die Gefahr der Konturenlosigkeit in Fällen der Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) an einer Tat nach § 217 StGB-RefE:

Beispiel 2:

Aufgrund der vom Patienten P bezahlten Vermittlung des so handelnden Täters T verschafft der Arzt A, der in die Weitergabe seiner Kontaktdaten durch T eingewilligt hat, dem Patienten P eine tödliche Dosis eines Medikaments. P nimmt diese in Abwesenheit des A selbst und unbeeinflusst ein und verstirbt. Die von A dem P geleistete Beihilfe zur Selbsttötung ist zwar straflos. Ist A aber als Gehilfe der Haupttat des T strafbar?

Beispiel 3:

V (Notar, Rechtsanwalt, Arzt oder gar Justizminister) hält auf Einladung des Täters T einen Vortrag über Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Dadurch gelingt es T, in den Kreisen potenzieller zu vermittelnder Patienten bekannt zu werden. Aufgrund des Vortrags meldet sich Patient P bei T, lässt sich an einen Arzt vermitteln und begeht Selbstmord. Hat V sich als Gehilfe der Haupttat des T strafbar gemacht oder handelt es sich um die Teilnahme an einer straflosen Vorbereitungshandlung?

Beispiel 4:

Patient P möchte bei Notarin N eine Patientenverfügung beurkunden lassen. Er bittet, seinen Wunsch zu protokollieren, dass ihm die dann pflegenden Personen im Fall eines bestimmten Krankheitsbildes die Gelegenheit zur Selbsttötung verschaffen sollen und untersagt für den Fall einer Selbsttötungshandlung Wiederbelebungsmaßnahmen. Hat sich N wegen  Anstiftung zu einer Tat nach § 217 StGB strafbar gemacht?

Die Patientenverfügung selbst ist durch den Gesetzgeber in §§ 1901a f. BGB, 291a Abs. 3 Nr. 5 SGB-V anerkannt und gefördert. Gerade die uferlosen Teilnahmemöglichkeiten könnten dazu führen, dass sich die medizinischen und rechtsberatenden Berufe von jeglicher Information darüber fernhalten. Damit würde § 217 StGB-RefE erheblichen rechtspolitischen Kollateralschaden anrichten, insbesondere dann, wenn ein Teilnehmer selbst nicht in Gewinnerzielungsabsicht oder sogar altruistisch handelt, aber die subjektiven Tatbestandsmerkmale des Täters kennt (Doppelvorsatz).

Um das Ziel zu erreichen, organisierten Vermittlern von Gelegenheiten der Selbsttötung „das Handwerk zu legen“, erscheint es uns daher zielführender, entsprechend Tatbestände zur Gewerbeuntersagung bzw. für Vereinsverbote zu schaffen. Sanktionsbedürftig erscheint uns nicht die Tathandlung als solche, sondern die Schaffung und Nutzung eines organisierten Rahmens für die Tathandlung aufgrund der damit einhergehenden besonderen Risiken.

Statt einer Änderung des Strafgesetzbuchs befürworten wir daher entsprechende Ergänzungen der Gewerbeordnung und des Vereinsgesetzes. Einer Ergänzung der Berufsrechte der Freien Berufe, etwa der Bundesärzteordnung, bedarf es aus unserer Sicht nicht.

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